Aufhören, HSV!

Bei den Fans des Hamburger SV ist meistens trauern angesagt.
Bei den Fans des Hamburger SV ist meistens trauern angesagt.

Unerträglich, was der HSV da veranstaltet, findet unsere Autorin, und die ist wirklich nicht verdächtig, Fan des Dinos zu sein. Deshalb sollte es ihm zu denken geben, wenn sie ihm jetzt den Kopf wäscht. Ein offener Brief von Ayla Mayer.

Lieber HSV,

wir müssen reden, das machen wir sonst nie und normalerweise fahren wir da gut mit. Aus gutem Grund. Gäbe es eine Firma, deren Job es ist, den ganzen Tag kleine Spuckekugeln Richtung Stellingen zu werfen, ich wäre ihr CEO. Nicht zuletzt, weil mich vermutlich dreihundert Leute dafür vorgeschlagen hätten.

Aber jetzt habe ich ein ernsthaftes Anliegen, denn heute beginnt die Bundesliga und Du spielst gegen den FC Bayern, also nutze ich die Aufmerksamkeit: Weder ich noch der Rest der Liga haben länger Bock auf den Mumpitz, den Du da veranstaltest.

Was viele gar nicht mehr wissen, HSV: Eigentlich bist Du ja ein Fußballverein, der mit dem Spielen desselbigen unter Wettkampfbedingungen sein Geld verdient. Aber aktuell sorgst Du neben dem Platz für soviel Brennstoff, dass der Senat Hamburg über einen Salzstock unter dem Volksparkstadion nachdenkt.

HSV, du bist der Boris Becker der Bundesliga: Längst nicht mehr in Wettkampfform, aber immer gut für eine Schlagzeile, die in den wenigsten Fällen sportlicher Natur ist – und komplett frei von Gespür, wann man es einfach mal gut sein lassen sollte. Dafür hängt die große Vergangenheit auf den Schultern wie ein Rucksack (gnihihi!) mit Blei.

Vielleicht ist das ein Grund, warum man Euch seit Monaten kübelweise mit Häme übergießt und 100 Prozent der drei von mir befragten Fußballfans als Saisonziel haben, den Meteoriteneinschlag zu Eurem Dino zu geben.  Vielleicht ist ein Grund, dass nach den letzten zwei Jahren niemand ernsthaft erwartet, ein Mittel zu finden, Euch loszuwerden. Gerade die vergangene Relegation gegen den KSC sägte hart am Gerechtigkeitsgefüge. Selbst der objektivste Beobachter konnte das gerade Erlebte nur unter „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ kategorisieren und wird nach dem Spiel das dringende Bedürfnis gehabt haben, zu duschen.

Lewis Holtby: Nach dem Sieg in der Relegation außer Rand und Band. (Bild: Getty Images)
Lewis Holtby: Nach dem Sieg in der Relegation außer Rand und Band. (Bild: Getty Images)

Und was hast Du gemacht, HSV? Anstatt Dich nach Abpfiff in etwas dringend notwendiger Demut zu üben, feiertest Du vor dem Karlsruher Publikum mit Bierduschen Deine gottgegebene Erstligahaftigkeit. Einige von Euch legten da am Glas Reflexe hin, die man in der gesamten Saison nicht gesehen hatte. Deine Marketing-Abteilung verdient sogar Geld mit dem T-Shirt zu Ehren des Freistoßes, der nie hätte gepfiffen werden dürfen. Ball flachhalten? Ist was für Schwächlinge! Nur der HSV!

Und jetzt? Sommerpause ist kaum rum und gefühlt hat hier jetzt schon keiner mehr Lust auf die Saison. Wie immer, wenn’s nicht läuft: Viel Bugwelle, wenig Schiff.

Deine vergangene Woche, HSV: ein sportlicher wie persönlicher Offenbarungseid. Pokal-Aus beim Viertligisten. T-Shirts mit Hertha-Motiven. Rucksackgate. Rucksackgate! Eine Geschichte, die im deutschen Fußball lange Zeit ihresgleichen suchen wird. Gehaltslisten, Scoutingpapiere, Verträge, Schlüssel, Kreditkarten – der Inhalt von Peter Knäbels Eastpak, verstreut im edlen Hamburger Jenischpark, ohne, dass sie jemand vermisst hätte, oder zurückhaben wollte. Was war da eigentlich los, HSV? An der bislang kolportierten Version ist jedenfalls so wenig schlüssig, dass Jan Böhmermanns Twitter-Bekenntnis, der HSV sei eine Erfindung des Neo Magazine Royale, noch die plausibelste Erklärung ist.

Danach seid Ihr natürlich alle „zusammengerückt“, war auch einfach ne blöde Nummer, so wie in Jena. Da habe der „unbedingte Wille“ gefehlt, monierte Bruno. Der Viertligist hatte einfach „mehr Leidenschaft“. Und dann kam der Evergreen: „Ich will, dass die Mannschaft am Freitag Charakter zeigt!“

Bruno Labbadia ist nicht begeistert. (Bild: Getty Images)
Bruno Labbadia ist nicht begeistert. (Bild: Getty Images)

Lieber HSV, wenn ich noch einmal diese inhaltslosen Plattitüden von Dir höre, dann flipp ich. Wer soll da denn Charakter zeigen? Ich hab’ Jakobs, Hrubesch, von Heesen abtelefoniert – haben heute alle keine Zeit. Vielleicht arbeitest Du Dich nicht an Deinen 23-jährigen Spielern ab, sondern an Deiner Außendarstellung. Wo sollen es die Jungs denn herhaben. Wann hast Du denn das letzte Mal für eine Geschichte gesorgt, die Charakter, Selbstironie, eine Kante bewies? Als Du ein Motiv des „Postillon“ ohne Rücksprache auf ein T-Shirt drucken ließest? Als Du die Debatte um Flüchtlingsunterbringung in Deiner Nähe solange ignoriertest, bis die Schlagzeilen lauteten „HSV verhindert Zeltstadt für Flüchtlinge“?

Charakter hat RB Leipzig gezeigt. Ja, ausgerechnet. Natürlich hatte das Angebot eines Wiederholungsspiels nach dem Spielabbruch in Osnabrück das Geschmäckle eines Publicity-Stunts. Zumal Ober-Bulle Rangnick jede Gelegenheit nutzte, in Statements den aufgeblasenen Markenkern der Brause-Fritzen unterzubringen (Zitat: „Wir stehen für Fairness, Fair Play, Familienfreundlichkeit, soziales Engagement, sportlichen Wettkampf und gegenseitigen Respekt“ – uff!). Aber Hand aufs Herz, HSV. Hättest Du einem bereits unterlegenen Gegner einen ähnlichen Deal angeboten, und wenn’s nur fürs Karma und fürs Image ist? Noch schlimmer: Hätte irgendjemand erwartet, dass Du das tust? Oder ist das längst nicht mehr in der DNA des großen HSV?

Und heute also zu den Bayern. Saisonauftakt. Zuschauer in über 200 Ländern. Die letzten fünf Partien in München hast Du mit insgesamt 3:31 Toren verloren. Deine Legende Uwe Seeler schenkt ab: „1:4 ist in Ordnung“. Alle reiben sich die Hände, wenn’s richtig gut läuft, seid Ihr allein durch die Tordifferenz für die nächsten drei Spieltage auf Platz 18 geparkt. Bock auf den Abend?

Lieber HSV, hör auf zu jammern und setz Dich ordentlich hin. Ich hoffe schwer für Dich, dass Du Bock hast. Ich hoffe, Du gehst raus, läufst, grätschst, setzt Nadelstiche. Ich hoffe, Du bekommst den Hintern hoch für die Tausenden, die das weiteste und teuerste Auswärtsspiel der Saison für Dich auf sich nehmen. Ich hoffe, Du ärgerst Dich Schwarz über jedes der Gegentore, weil es heißt, dass es Dich juckt. Ich hoffe, Du bist mit dem Kopf in München, und nicht beim kommenden Heimspiel gegen den VfB. Ich hoffe, Du zeigst Demut, aber wedelst nicht mit den weißen Stutzen. Mein Rat: Vielleicht verlierst Du ja mal den Rucksack mit der VHS der schönsten Szenen Saison 82/83. Denn wenn Du endlich kapierst und für Dich annimmst, dass Niederlagen keine Schmach, sondern immer auch eine Chance sind, dann erst bist Du wirklich ein großer Klub – ganz egal in welcher Liga.

Tschüss,


Deine Ayla