DFB-Aus: Millimeter vom Weiterkommen entfernt: Ist jetzt wirklich alles schlecht?

Jetzt ist es also wirklich passiert. Die deutsche Nationalmannschaft ist zum zweiten Mal in Folge bei einer WM bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Von einem Debakel ist die Rede, wenn nicht gleich von einer Schande. Alles soll jetzt aufgearbeitet, auf den Kopf und in Frage gestellt werden. Dabei hing das Ausscheiden letztlich buchstäblich an ein paar Millimetern.

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Hängende Köpfe auf der DFB-Bank nach dem Ausscheiden. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Hängende Köpfe auf der DFB-Bank nach dem Ausscheiden. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Natürlich ist ein frühes Ausscheiden bei einer Weltmeisterschaft für einen großen Verband wie den DFB mit all seinen Möglichkeiten, den finanziellen, wie den personellen, kein erhoffter Ausgang. Aber ist deswegen gleich alles ganz schlecht, wie es bei einem Blick auf die deutsche Gemütslage scheint? Klar ist es die Aufgabe von Sportjournalisten und Experten, die Gründe zu hinterfragen und Entscheidungen gegebenenfalls zu kritisieren. Doch die Art und Weise, mit der in Deutschland mit diesem (knappen) sportlichen Misserfolg der Nationalmannschaft umgegangen wird, ist doch mehr als fragwürdig.

Hauchdünner Unterschied

Man muss es sich noch einmal deutlich vor Augen führen: Das Flick-Team hat die gleiche Bilanz wie Spanien in dieser Gruppe: Eine Niederlage gegen Japan, ein Unentschieden gegen die Spanier und ein Sieg gegen Costa Rica. Am Ende entschieden Kleinigkeiten wie die Tordifferenz über das Weiterkommen. Oder, wie in diesem Fall, sogar Millimeter. Denn wird der Ball vor dem japanischen Siegtor gegen Spanien Aus gegeben, ist Japan ausgeschieden und Deutschland im Achtelfinale. Fotos aus neuer Vogelperspektive beweisen, dass der Ball wohl mit dem kleinstmöglichen Anteil noch auf der Höhe der Linie war und die Schiedsrichter somit korrekt entschieden haben. Aber das Beispiel zeigt eben, wie hauchdünn der Grat zwischen Turnier-Aus und Weiterkommen sein kann. Es täte vielen vielleicht nicht schlecht, sich das einmal vor Augen zu führen.

Kaoru Mitoma hält den Ball vermeintlich im Spiel und passt zu Japans Siegtreffer (Photo by Robert Cianflone/Getty Images)
Kaoru Mitoma hält den Ball vermeintlich im Spiel und passt zu Japans Siegtreffer (Photo by Robert Cianflone/Getty Images)

Abgesehen davon kann es dem Fußball, der weiß Gott an ausreichend Baustellen zu arbeiten hat, nur gut tut, wenn einmal andere Teams, als die üblichen Verdächtigen weit im Turnier kommen. Die Japaner haben sich das Achtelfinale mit den beiden Siegen über hochfavorisierte Mannschaften auch einfach verdient, so sportlich fair sollte man sein. Aber es gehört auch zur vollständigen Geschichte dieser WM aus deutscher Perspektive, dass die DFB-Mannschaft auf das eher schwache Auftaktspiel mit einer starken mannschaftlichen Leistung gegen Spanien und einem von wenig Glück gekrönten Offensivfeuerwerk gegen Costa Rica reagiert hat.

Wasser auf die Mühlen der Fußball-Nörgler

Nun fährt die DFB-Elf nach Hause und muss sich der hiesigen Kritik aussetzen. Ex-Capitano Michael Ballack fordert einen "radikalen Neustart". Die Fans fallen über das sicherlich ebenso enttäuschte Team her. Sogar die alten längst vergrabenen "deutschen Tugenden" werden wieder ausgebuddelt. Das Team habe keinen Charakter und erst recht keinen der vielbeschworenen Leader. Dabei war es doch genau das Abschütteln dieser "Tugenden", das ab 2006 aus der DFB-Mannschaft ein erfolgreiches, spielfreudiges Team gemacht hat. Ein Team, dem es Spaß gemacht hat, zuzuschauen, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten teilweise begeisternden Fußball gespielt hat und sich dafür 2014 mit dem WM-Titel belohnt hat. Hansi Flick führt diesen von Klinsmann und Löw begonnenen Weg fort, das war auch in Katar in Ansätzen zu sehen. Dies nun alles vom Tisch zu wischen und die komplette Entwicklung schlecht zu reden, mag der deutschen Nörgel-Leidenschaft entsprechen, wird dem Team aber nicht gerecht.

Ein kleiner Umbruch wird sicherlich geschehen bis zur EM im eigenen Land, auch altersbedingt. Aber es kommen dafür auch wieder Spieler, die richtig Spaß machen: Ein Musiala, der bei dieser WM begeisterte. Oder ein Moukoko, der so gut wie keine Chance bekam, sich zu zeigen. Und auch Kai Havertz ist erst 23 Jahre alt. Jetzt schwarzzumalen und das gesamte Trainerteam - und Oliver Bierhoff noch gleich mit - zu feuern, wie es einigen Enttäuschten wohl am liebsten wäre, wäre eine völlige Überreaktion. Stattdessen gilt es, aus diesem Ausscheiden zu lernen und sich weiter zu verbessern, um sich einen Platz in der Weltspitze wieder zu verdienen.

Im Video: Fans reagieren auf WM-Aus: "Verdient" und "Zum Kotzen"