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Darum vergoss Frankreichs Held bittere Tränen

Julian Alaphilippe stand mit Maske und im völligen Gefühlschaos auf dem Siegerpodest von Nizza, nach dem emotionalsten Erfolg seiner Karriere blickte der Mann im Gelben Trikot berührt gen Himmel.

"Diesen Sieg widme ich meinem verstorbenen Vater", sagte der französische Publikumsliebling, nachdem er seinen gebeutelten Landsleuten inmitten der Corona-Tristesse mit seinem Coup auf der zweiten Etappe einen Grund zum Feiern geliefert hatte.

Der über alle Maßen beliebte "Loulou" hatte im Juli seinen Papa verloren, ganz Frankreich zeitgleich um die Tour gezittert. Am Sonntag lief beides in Alaphilippes Triumph zusammen: Die Grande Nation darf unter verschärften Sicherheitsbedingungen mit zwei Monaten Verspätung ihr auf die Reise gegangenes Nationalheiligtum bewundern, und Alaphilippe konnte dem Vater ein spätes Geschenk machen - ein überwältigendes Erlebnis.

Alaphilippe stolz auf das Gelbe Trikot

"Es erfüllt mich mit Stolz. Das Gelbe Trikot zu tragen, ist eine große Verantwortung, ich werde es jeden Tag verteidigen", sagte ein in Tränen aufgelöster Alaphilippe nach seinem fünften Tour-Etappensieg, den er auf der ersten schweren Bergetappe im packenden Sprint einer Dreiergruppe perfekt gemacht hatte. (Die Gesamtwertung der Tour de France 2020)

Nicht ganz so überschwänglich, doch höchst zufrieden bilanzierte derweil Emanuel Buchmann seinen Tour-Auftakt. 15 Tage nach seinem schweren Sturz bei der Dauphine konnte der deutsche Bora-Hoffnungsträger problemlos an den Anstiegen mithalten, kam knapp hinter dem Sieger ins Ziel, die Aussichten sind nicht mehr so düster wie noch vor wenigen Tagen.

"Es hat sich gar nicht so schlecht angefühlt. Am letzten Berg sind wir richtig schnell gefahren, da konnte ich gut mithalten", sagte der Vorjahresvierte, der vor seinem Crash das Podium als Ziel ausgegeben hatte: "Bei 100 Prozent bin ich noch nicht. Aber ich bin auf einem guten Weg. Man kann die Tour jetzt anders angehen als vor einer Woche gedacht."

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Buchmann kommt in Fahrt

Allerdings musste der 27-Jährige seinen strapazierten Körper noch nicht an die Leistungsgrenze bringen. Bei den langen Anstiegen der 1. Kategorie zum Col de la Colmiane (1500 m) und Col de Turini (1607 m) hielten sich die ebenfalls angeschlagenen Mitfavoriten um Titelverteidiger Egan Bernal (Kolumbien/Ineos Grenadiers) und Primoz Roglic (Slowenien/Jumbo-Visma) zurück.

Zumeist kontrollierte bergauf Roglics Jumbo-Team unter der Regie des nimmermüden Arbeiters Tony Martin das Geschehen. Die Anstiege waren dabei über lange Strecken fast verwaist - als Corona-Maßnahme war den Fans das Campieren mit dem Wohnmobil oder die Auffahrt verboten. Am Vortag hatten sich in Nizzas Innenstadt trotz aller Mahnungen noch Fans geknubbelt.

An der letzten Steigung zum Col de Quatre Chemins trat Favorit Alaphilippe an, hatte den Briten Adam Yates und den Schweizer Marc Hirschi im Schlepptau. Im Finale war der Franzose der Stärkste - nach 13 gelben Etappen im Vorjahr gehört das Maillot jaune vorerst wieder dem wohl weltbesten Allrounder.

Schachmann bester Deutscher

Bester Deutscher war am Sonntag Buchmanns Teamkollege Max Schachmann als starker Neunter, sein nicht ausgeheilter Schlüsselbeinbruch scheint den Berliner kaum zu behindern: "Das Ergebnis hat gezeigt, dass ich konkurrenzfähig bin."

Am Samstag hatte Martin eine Hauptrolle auf der Auftaktetappe gespielt, auf der sich der Norweger Alexander Kristoff als Sieger im Massensprint das erste Gelbe Trikot gesichert hatte. Dem Triumph des Norwegers war allerdings ein vogelwildes Rennen vorangegangen: Starkregen hatte die Abfahrten rund um Nizza zu seifig-öligen Pisten gemacht, Fahrer stürzten im Minutentakt.

"Wir hatten keine Chance, ein faires und verantwortungsvollen Rennen auszutragen", sagte Martin, der schließlich die Initiative übernahm, mit Worten und Gesten das Feld einbremste, das schließlich bis zum Massensprint freiwillig neutralisiert fuhr. Die Bilanz war dennoch erschreckend: Drei Fahrer konnten die Tour nicht fortsetzen, darunter Klassikerjäger John Degenkolb, viele andere setzten die Tour gezeichnet fort - harsche Kritik gab es für den Weltverband.

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