Bayern oder BVB? Ein Wunder ist garantiert!

Es ist schon schräg. Einer der spannendsten letzten Spieltage der Bundesligageschichte steht bevor, ein Kopf-an-Kopf-Rennen biegt auf die Zielgerade ein, und trotzdem tun seit Tagen alle so, als sei Borussia Dortmund schon Deutscher Meister 2023.

Herzlichen Glückwunsch, BVB! Aus für Kahn bei Bayern! Der BVB braucht ja nur Mainz besiegen, und das schafft eh jeder.

Die Wirklichkeit sieht deutlich uneindeutiger aus: Dortmund 70 Punkte, FC Bayern 68. Das ist viel knapper, als es vergangene Woche gehandelt wurde. An der Börse übrigens auch, die BVB-Aktie stieg von 4,50 auf 5,70 Euro.

Gewinnt Dortmund tatsächlich die Schale und schafft damit die Monarchie ab? So richtig glauben kann ich es noch nicht. Ich habe wohl zu viel Bayern erlebt. Ich saß zum Beispiel im Volksparkstadion, als Oliver Kahn noch „Immer weitermachen“ schrie.

Wird Dortmund tatsächlich Meister?

Liebe Dortmunder, vergesst am Samstag bloß nicht: Es gab Vereine, die fluteten das Spielfeld und feierten den Gewinn der Meisterschaft, ihr 34. Saisonspiel war auch schon abgepfiffen - und die Bayern haben sie trotzdem noch abgefangen. Das waren aber andere Zeiten.

Das größte Glück für den BVB ist vielleicht, dass Stefan Effenberg am Wochenende immer im Doppelpass sitzt.

Gewinnt das plötzlich bis zur Unkenntlichkeit nervenstarke Dortmund den Titel, müssen wir uns jedenfalls allesamt auf gravierende Veränderungen einstellen. Nichts wird mehr sein, wie es war.

„What happened in Germany?“, werden uns die Leute im Sommerurlaub am Strand fragen. Was sollen wir darauf antworten - „Brazzo happened“?

Auch die deutsche Sprache wird reagieren müssen, sollte Dortmund die Meisterschaft holen. Formulierungen, deren Verwendung wir nie für möglich gehalten hätten, benutzt dann plötzlich jeder. „Vizemeister FC Bayern“ zum Beispiel.

Vizemeister Bayern? Neuer Sprachgebrauch hält Einzug

Noch versteht kein Kind unter 15 in Deutschland, was zur Hölle das bedeuten soll. Oder: „Meistertrainer Edin Terzic.“ - „Ex-Bayern-Boss Oliver Kahn.“ - „Transferflüsterer Niklas Süle.“ Ja, wir müssen womöglich komplett umdenken.

Sätze wie „Auf die Dortmunder ist halt immer Verlass“ werden auch ganz plötzlich in den Alltagsgebrauch übergehen. Oder: „Erling Haaland war einfach nicht gut genug für den BVB.“

Mats Hummels wird dann übrigens der beste langsamste Bundesligaspieler aller Zeiten sein. Verrückt, oder?

Das Schönste an allem: Komme, was mag, wir Fans sind in einer komfortablen Situation. Wir wissen bereits heute, dass sich morgen ein Wunder ereignen wird.

Das Wunder von Dortmund oder das Bayern-Wunder.

Alex Steudel ist freier Journalist. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter sowie Chefredakteur von Sport Bild. In seiner Kolumne für SPORT1 widmet er sich auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Themen. Steudel-Kolumnen gibt es auch regelmäßig im kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit‘ch von SPORT1-Chefredakteur Pit Gottschalk. Zur Anmeldung geht‘s hier: https://newsletter.fever-pit.ch/