Bayern-Jäger? Jetzt erst recht!

Nach dem 0:3 gegen Odds BK waren die Dortmunder Spieler erstmal bedient. (Bild: Getty Images)
Nach dem 0:3 gegen Odds BK waren die Dortmunder Spieler erstmal bedient. (Bild: Getty Images)

Nach einem katastrophalen Auftakt gelingt Borussia Dortmund doch noch der 4:3-Sieg gegen die Underdogs von Odds BK. Mit dieser Moral ist dem BVB in dieser Saison alles zuzutrauen. Von Jens Fischer.

Borussia Dortmund  in der 2. Liga? Es ist noch nicht allzu lange her, da schien diese Horrorvision tatsächlich möglich. Dann mobilisierte „Trainer-Gott“ Jürgen Klopp noch einmal die letzten Kräfte, trat seinen müden Starkickern in den Hintern und verhinderte so den sportlichen Supergau. Es kam ein Trainer mit dem Namen Tuchel, dünn und mager, ein wenig verschlagen, und auch ein wenig Nerd, süchtig danach, den simplen Fußball kompliziert zu machen, um ihn - beinahe manisch -  analysieren zu können. Vergleiche mit Klaus Kinski oder auch Sheldon Cooper aus der US-Serie „The Big Bang Theory“ wurden schon gezogen. Naja, why not?

Nach der Partie und dem hart erkämpften 4:3-Erfolg bei der norwegischen „No-Name-Truppe“ von Odds BK muss man sagen: Borussia hat nach dem fulminanten Saisonstart und vielen, vielen Lobeshymnen auf Tuchel und seine geniale Arbeit ein weiteres Ausrufezeichen gesetzt. 0:3 lag man nach 30 Minuten gegen den 329. des Uefa-Rankings zurück, der erste Gegentreffer fiel nach 13 (!) Sekunden, es folgten weitere Treffer nach teilweise dilettantischen Abwehrfehlern. In  der Folge präsentierten sich die Dortmunder kämpferisch und haben nun mit ihren Toren im Rückspiel alle Chancen auf ein Weiterkommen. Letztlich muss man sagen: Borussia Dortmund kann offenbar in dieser Saison nicht nur hervorragend Fußball spielen, sondern hat auch eine Moral, die in den kommenden Monaten vieles möglich macht.

Mit Henrikh Mkhitaryan und Co. kippte das Spiel zugunsten des BVB. (Bild: Getty Images)
Mit Henrikh Mkhitaryan und Co. kippte das Spiel zugunsten des BVB. (Bild: Getty Images)

Dortmund hätte mehr als vier Treffer erzielen können, traf sage und schreibe vier Mal Latte und Pfosten und bewies, dass sie sich trotz desolater erster Halbzeit in erstklassiger Verfassung befinden. Was aber waren die Gründe für diese ersten 45 Minuten? Auf Kunstrasen wurde beim derzeit Fünften der norwegischen Liga gespielt. Dazu ein Ball angeblich schwer wie eine Kanonenkugel, anders jedenfalls als die Edelkugel aus der Bundesliga. Alles Ausreden, natürlich muss ein millionenschweres Starensemble wie die Dortmunder diese zugegeben tapferen Norweger dominieren.

Das Problem liegt tiefer: Der zweite Anzug sitzt (noch) nicht. Tuchel hatte Weidenfeller, Ginter, Castro oder Kampl aufs Feld geschickt – vor allem die drei Erstgenannten zeigten in der ersten Hälfte eine ganz schwache Vorstellung. Ohne Marco Reus, Sokratis und dem jungen Supertalent Julian Weigl war das Dortmunder Gefüge brüchig und ideenlos. „Nach 13 Sekunden ein Gegentreffer, das ist ein beschissenes Gefühl“, sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zur Halbzeit und machte den Neuen indirekt Vorwürfe. „Jetzt dürfen sie spielen und dann, naja …“ Kein Wunder, dass Watzke sauer war: Schließlich wollen die Dortmunder über die Europa League bis zu 30 Millionen Euro verdienen. Auch Mats Hummels („Der Anfang war wie ein schlechter Film“) und Tuchel („Wir waren nicht vorbereitet“) konnten die ersten Spielminuten kaum verdauen.

Die Erkenntnisse des Trips in die Provinz Telemark sind weitreichend: Dortmund kann zaubern und brillieren. Dortmund kann aber offenbar auch zurückfallen in die düsteren Zeiten der vergangenen Saison, als sich Fehler an Fehler reihte und man abstürzte in die finsteren Niederungen der Vereinsgeschichte.

Moral bewiesen: Nach dem 3:3 konnten die Borussen wieder jubeln. (Bild: Getty Images)
Moral bewiesen: Nach dem 3:3 konnten die Borussen wieder jubeln. (Bild: Getty Images)

Tuchel wird das zu verhindern wissen. Er, der vermeintliche „Anti-Klopp“, der Denker, Rationalist, hat längst bewiesen, dass er in einem so emotionalen Umfeld wie in Dortmund  bestehen kann. Gegen Gladbach hatte der 41-Jährige Deutschlands Fußballwelt in einen Rausch versetzt, in Norwegen folgte der erste Kater. Dennoch war immer auch erkennbar, dass Tuchel seinen Taktik-Traum vermittelt. Möglichst viel Ballbesitz, die einzelnen Spieler nur kurz am Ball, technisch feines Kurzpassspiel und das alles in atemberaubender Geschwindigkeit- das sah man auch bei Odds BK, Akteure wie Mkhitaryan, Gündogan oder Aubameyang befinden sich in Top-Form und machen den Unterschied.

Am wichtigsten aber:  Dortmund kann kämpfen. Tuchel erreicht seine Spieler. Der Mannschaftsgeist stimmt. „Wir haben heute eine Moral bewiesen, die bemerkenswert war“, sagte Tuchel nach der Partie. „Wir haben den Glauben behalten.“ Dabei schaute er sehr glücklich drein. Auch er wird wissen: Zaubern wird nicht reichen. Als Bayern-Jäger muss man auch kämpfen, muss man auch leiden können. Und dass sie das können, haben die Dortmunder im hohen Norden eindrucksvoll bewiesen.