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Bayern und Seifert stehen in der Pflicht

Der Chef der Bundesliga, Christian Seifert, könnte im Moment täglich in drei Talkshows sitzen.

Alle wollen ihn, seine Meinung hören, seine Arbeit besprechen. Doch Seifert bleibt und kämpft und sitzt fast durchgängig in Frankfurt, an seinem Schreibtisch. Im Hauptquartier der Deutschen Fußball-Liga, dem Epizentrum der sportwirtschaftlichen Corona-Krise.

Er führt seinen Sport durch den heftigsten Kampf seit vielen Jahrzehnten, wägt ab, organisiert und vermittelt an allen Fronten, spricht mit seinen Vereinen, der Politik, den Partnern und Geldgebern, dazu seinen wichtigsten Bereichsleitern.

Seiferts Ziel ist zugleich seine größte Aufgabe in über 15 Jahren als DFL-Boss: Er will und muss die Fußball-Bundesliga, Deutschlands wichtigste und bekannteste Sport-Liga, wieder zum Laufen bringen. Sonst droht im Kosmos Profifußball an vielen Stellen der Zusammenbruch.

FC Bayern braucht Bundesliga-Konkurrenz

Den FC Bayern würden weitere Monate ohne Spielbetrieb finanziell nicht umhauen, Deutschlands Super-Klub ist mit den meisten seiner Gegner rein wirtschaftlich nicht mehr zu vergleichen - er spielt längst in einer eigenen Budget-Liga.

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Dennoch brauchen die Bayern die Bundesliga und ihre traditionsreichen Teilnehmer. Denn ohne den nationalen "Alltag", die Spiele am Samstagnachmittag gegen Schalke oder Werder Bremen, die viele Fans und Kunden lieber sehen als die Vergleiche auf europäischer Ebene, würde Deutschlands Nr. 1 eine Menge fehlen.

Eine Menge von dem, was den Unterhaltungskonzern FC Bayern, mit seinen Büros in New York und Shanghai, doch hin und wieder noch mal als vermeintlich normalen Fußballverein erscheinen lässt.

Rummenigge will Exzesse "normalisieren"

Daher kämpfen die Bayern, Seite an Seite mit der DFL, um den Fortbestand der Bundesliga - so, wie wir sie kennen. Mit für viele Beobachter ungewohnten Worten. Einige Tage nach Seifert formulierten auch die Verantwortlichen des Rekordmeisters außergewöhnliche Einsichten und sprachen sich für Veränderungen hin zu mehr Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit im Profifußball aus.

Zum Beispiel Karl-Heinz Rummenigge: "Wir müssen gewisse Exzesse versuchen zu normalisieren", mahnte er, "wenn diese Krise vorbei ist, sind wir verpflichtet, uns damit seriös auseinanderzusetzen, dass man gewisse Dinge mit Augenmaß wieder zurückdreht."

In die gleiche Kerbe schlug Präsident Herbert Hainer im kicker. Er sehe in der Krise "die Chance, über Auswüchse im Fußball nachzudenken und über sie zu diskutieren, um es in Zukunft besser zu machen." Nachhaltigkeit und Ökologie seien für ihn wichtige Ansatzpunkte: "Es muss Leitplanken der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung geben."

DFL-Boss Seifert kündigt Task Force an

Seifert hatte zuvor angekündigt, eine Task Force "Zukunft Profifußball" gründen zu wollen. Es ginge zum Beispiel um "schamlos zur Schau gestellten Reichtum", es sollen Lösungen her, "die nach einem objektiven Maßstab fragwürdige Entwicklungen identifizieren und dann zumindest bremsen, vielleicht auch korrigieren."

Die Sache scheint klar: Deutschlands Fußball-Anführer wollen einen besseren Weg einschlagen - sagen sie. Entscheidend wird sein, dass sie an ihren Worten, allesamt in der Not geboren, in den nächsten Monaten und Jahren gemessen werden, immer und immer wieder. Von den Fans, von uns Journalisten, von der gesamten Fußballfamilie bis runter in die Amateurklassen.

Die Macher und Manager müssen genervt werden, um sich im Zweifel für den sozialen statt wirtschaftlich verlockenden Weg zu entscheiden. Sie müssen ihre Worte in die Tat umsetzen. Und wer den neuen Regeln für einen besseren, bodenständigeren Profifußball nicht folgt, wer seine gesellschaftliche Rolle nicht erfüllt oder auch abseits des Platzes nicht vorbildlich agiert, die Angestellten eingeschlossen, muss auch sportlich sanktioniert werden dürfen.

Ja, der Fußball kann aus dieser Phase etwas mitnehmen. Und die Chance ist sogar groß - wenn den großen Ankündigungen ab sofort Taten folgen.

Tobias Holtkamp, der Autor dieses Textes, war in der Chefredaktion von Sport Bild und Chefredakteur von transfermarkt.de. Heute berät er Sportler und Marken in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung. Für SPORT1 schreibt Holtkamp als Chef-Kolumnist die wöchentliche "Bundesliga-Kolumne".