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Bayern-Spektakel in Amsterdam: War das jetzt geil oder nicht?

Ein wilder Ritt, ein wilder Tritt – das 3:3 des FC Bayern München zum Gruppenphasen-Kehraus der Champions League bei Ajax Amsterdam war nichts für schwache Nerven. Die Beteiligten bewerteten das Spektakel höchst unterschiedlich, allen voran Trainer Kovac und Sportdirektor Salihamidzic.

Aus Amsterdam berichtet Patrick Strasser

Derzeit nicht aufzuhalten: Robert Lewandowski (r.) erzielte in Amsterdam seine Saisontreffer 20 und 21 im 21. Spiel. (Bild: getty)
Derzeit nicht aufzuhalten: Robert Lewandowski (r.) erzielte in Amsterdam seine Saisontreffer 20 und 21 im 21. Spiel. (Bild: getty)

Am Ende, nach fast 100 Minuten Achterbahn-Fußball, nach diesem 3:3-Spektakel bei Ajax Amsterdam wussten die Bayern-Profis wie auch die Verantwortlichen nicht, wie sie dieses Champions-League-Spiel werten sollten. Die Zuschauer, das war klar, hatten in der Johan-Cruyff-Arena “Voetbal totaal” gesehen, Fußball total. In den 70er Jahren hatte die holländische Schule eine Taktik, Denkweise und Spiel-Philosophie hervorgebracht. Cruyff prägte diese Art von Fußball, bei der die gesamte Mannschaft angreifen oder verteidigen sollte.

Sechs Tore, vier davon in der Schlussviertelstunde, zwei Elfmeter, zwei Rote Karten, zweimal führte Bayern, einmal Ajax – totaler Wahnsinn, dieses 3:3. Ein wilder Ritt mit einem wilden Tritt. Thomas Müller, nun mit 105 Einsätzen Deutschlands Rekordspieler in der Champions League (auf einer Stufe mit Ex-Bayern-Kapitän Philipp Lahm) erwischte Nicolás Tagliafico bei einem Kung-Fu-Sprung mit den Stollen am Kopf, der Ajax-Profi musste noch auf dem Platz getackert werden.

“Das war natürlich keine Absicht“, sagte Müller später – aber eben eine klare Rote Karte. Da waren sich alle einig, auch die Bayern. Müller wird für mindestens eine Achtelfinal-Partie gesperrt werden.

Nun drohen Atletico und Liverpool

Dann, wenn die Münchner dank des Gruppensieges auf einen der vermeintlich schwächeren Gegner treffen, die jeweiligen Gruppenzweiten (außer Schalke): Auf Tottenham Hotspur, AS Rom, Olympique Lyon, Manchester United sowie den FC Liverpool oder Atlético Madrid, letztere zwei ja doch größere Kaliber. Die Auslosung findet am Montag um 12 Uhr statt.

Ob man bis dahin die Schlacht von Amsterdam schon verdaut hat? Unmittelbar nach dem 3:3 fielen die Bewertungen der Partie bei Ajax total unterschiedlich aus. “Ich bin zufrieden, kann meiner Mannschaft nur ein Kompliment machen”, sagte Trainer Niko Kovac, “wir haben ein sensationell gutes Spiel gesehen, das war Werbung pur für den Fußball. Schön, dass wir ein Teil dieses Spiels sein konnten gegen eine starke, talentierte Ajax-Mannschaft.” Stimmt.

Salihamidzic wird zum Motzki

Aber die Gegentreffer und das Verspielen der 1:0 sowie 3:2-Führung stellten eklatante Makel dar, ganz zu schweigen davon, dass Ajax mehr Ballbesitz (55 Prozent) hatte, das Spiel weitestgehend dominierte. “Wir haben kein gutes Spiel gemacht, das einzig Positive ist, dass wir Gruppenerster sind”, urteilte Sportdirektor Hasan Salihamidzic ungewohnt harsch.

Das nette Bürschchen Brazzo, plötzlich ein Motzki im Stile von Matthias Sammer, einer seiner Amtsvorgänger: “Der Gegner hat es wirklich gut gemacht und uns dauernd unter Druck gesetzt. Wir konnten uns nur ganz selten befreien, hätten in der ersten Halbzeit drei, vier Chancen nutzen müssen, aber dann haben wir das Spiel komplett aus der Hand gegeben – das darf uns natürlich nicht passieren. Wir lassen uns den Sieg wieder aus der Hand nehmen, belohnen uns nicht für das schwierige Spiel. Wir können es besser, das wissen wir.”

Robert Lewandowski bricht Rekorde

Die Lichtblicke im Bayern-Spiel waren: Die Moral sowie der erneute Doppelpack von Torjäger Robert Lewandowski, schon der fünfte in seinen letzten sieben Pflichtspielen. Mit acht Treffern stellt der Pole den Tor-Rekord für Spieler einer deutschen Mannschaft in der Champions-League-Gruppenphase auf, steht diese Saison bei 21 Toren in 21 Pflichtspielen – Bestwert in Europa. Der eingewechselte Kingsley Coman traf auf Vorlage des eingewechselten Thiago, beide fehlten verletzungsbedingt länger, zum zwischenzeitlichen 3:2, sein erster Saisontreffer. Und doch nur eine Randnotiz.

Denn durch das Remis nach zuvor drei Siegen am Stück überwog bei den Münchner Profis die Selbstkritik. “Ajax hat ganz klar den besseren Fußball gespielt, da müssen wir nicht drumherumreden”, fand Joshua Kimmich, “die besseren Chancen aber hatten wir. Schon in der ersten Halbzeit müssen wir eigentlich zwei, drei Dinger machen – was wir da für Riesenchancen hatten! Drei Gegentore sind nicht so gut, da hätten wir das ein oder andere vermeiden können.”

Ohne Niederlage ins Achtelfinale – das schaffte zuletzt Jürgen Klinsmann

Leon Goretzka meinte: “Wir hätten das Spiel in der ersten Halbzeit schon entscheiden können, standen vier-, fünfmal alleine vor dem Ajax-Tor, weil die so risikoreich nach vorne verteidigt haben. Wenn du da richtig abgezockt bist, gehst du mit einem 4:0 oder 4:1 in die Kabine. Dann ist das Spiel nach der ersten Halbzeit schon gelaufen.”

Wie reif die Bayern in ihrem Jahr des Umbruchs wirklich sind, wird die K.o.-Runde zeigen. Als die ersten Emotionen wichen, freundete man sich mit dem Ergebnis und dem Erreichten an. Schließlich war der Gruppensieg das (Etappen-)Ziel. “Es ist nicht so einfach. Jeder denkt, dass die großen Namen alle 18 Punkte einfahren“, sagte Kovac, “wir haben 14 geholt und sind zufrieden.”

Erstmals seit zehn Jahren blieb man in der Gruppenphase ungeschlagen, letztmals gelang dies 2008/09 – unter Trainer Jürgen Klinsmann.

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