Alexander Zverev - bereit für den ganz großen Wurf

Alexander Zverev beim Sieg über Stan Wawrinka (Photo by Recep Sakar/Anadolu Agency via Getty Images)

Alexander Zverev trifft am Freitag im Halbfinale der Australian Open (ab 9.45 Uhr) auf den Österreicher Dominic Thiem. Es könnte der nächste Schritt des Deutschen auf dem Weg ganz nach oben werden.

Alexander Zverev beim Sieg über Stan Wawrinka (Bild: Getty Images)
Alexander Zverev beim Sieg über Stan Wawrinka (Bild: Getty Images)

„Ich bin dieses Jahr hierher gekommen und hatte wirklich keinerlei Erwartungen, weil ich so furchtbar gespielt habe.“ Als Alexander „Sascha“ Zverev diesen Satz sagte, hatte er gerade sein Viertelfinal-Match bei den Australian Open gegen den Schweizer Stan Wawrinka gewonnen und damit das erste Mal in seiner Karriere die Runde der letzten Vier bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht. Das „furchtbar gespielt“ bezog der 22-Jährige auf seinen völlig verpatzen Saison-Start. Es ist gerade mal drei Wochen her, als er in Brisbane im neugeschaffenen Teamwettbewerb, dem ATP-Cup, seine drei Einzelmatches für Deutschland verlor, sich auf dem Platz rüpelhaft verhielt, Schläger zertrümmerte und zu allem Überfluss auch noch seinen Vater, der gleichzeitig sein Trainer ist, lautstark beschimpfte.

Tennis-Experten waren wenig optimistisch

Die Experten waren sich sicher, in Melbourne beim ersten großen Saison-Highlight, würde Zverev früh ausscheiden. Zu schlecht war seine Form und es mangelte ganz offensichtlich auch wieder an der Einstellung. Ein Vorwurf, der sich wie ein roter Faden durch seine Karriere zieht. Bei 19 Teilnahmen an den großen vier Turnieren stand Zverev vor seinem jetzigen Husarenritt lediglich zwei Mal im Viertelfinale. Danach war immer Schluss. Schnell wurde ihm von den Experten ein Grand-Slam-Fluch nachgesagt. Aber auch sein Spielstil wurde bemängelt: „Mit der defensiven Art und Weise, wie er Tennis spielt, wird er nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen“, sagte beispielsweise Patrick Mouratoglou, schillernder Erfolgscoach von Serena Williams, im Spiegel über Zverev. Das war Ende 2019. Wenige Wochen später steht der 1,97-Meter-Schlaks nun also im Halbfinale der Australian Open - und spielt gegen den Österreicher Dominik Thiem, die Nummer 5 der Welt, das Match seines Lebens.

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Wie ist das zu erklären? Sicher, siehe Ausgangszitat, spielt die niedrige Erwartungshaltung eine Rolle. Der Hamburger wirkt in diesen Tagen, auch abseits des Platzes, frei im Kopf und überaus gut sortiert. „Natürlich habe ich auch schon andere Turniere gewonnen, aber immer, wenn es zu den Grand Slams ging, habe ich mich extrem verhärtet und war vielleicht sogar ein Stück weit zu professionell“, sagte er nach dem Viertelfinal-Erfolg über Wawrinka und wurde sogar noch etwas konkreter: „Ich habe nie mit jemandem gesprochen, war nie zum Dinner mal draußen und war vielleicht wirklich zu fokussiert.“ Zverev hat auch sein Privatleben ein bisschen umgekrempelt - was ihm ganz offensichtlich gut tut.

"Ich habe ein ziemlich ruhiges Leben gerade, was schön für mich ist. Ich bin sehr glücklich“, sagte er nach dem 6:2, 6:2, 6:4 in der dritten Runde gegen den früheren spanischen Melbourne-Halbfinalisten und Top-Ten-Spieler Fernando Verdasco. Zverevs neue Freundin Brenda Patea, das ließ sich zwischen den Zeilen daraus lesen, hat vieles zum Positiven verändert.

Zverevs Freundin Brenda Patea sitzt während den Matches in der Box. (Bild: Reuters)
Zverevs Freundin Brenda Patea sitzt während den Matches in der Box. (Bild: Reuters)

Das Model sitzt hier in Melbourne bei jedem Spiel mit in seiner Box, so wie der Vater, Kumpel Marcelo Melo, Physiotherapeut Hugo Gravil, Fitnesstrainer Jez Green und Trainingspartner Sergej Bubka junior. Es ist auch das Gesamtpaket, das Team, das Zverev gerade so stark macht. Aber das allein ist es nicht.

Top-Vorbereitung auf die Australian Open

“Ich habe hart gearbeitet. Ich habe in der Woche vor dem Start mehr trainiert als jeder andere, fünf, sechs, sieben Stunden täglich", sagte der ATP-Weltmeister von 2018 unmittelbar vor dem Start der Australian Open. Das Training zahlt sich aus. Der Problem-Aufschlag ist plötzlich wieder eine Waffe, gegen Wawrinka hatte er eine Aufschlagquote von satten 80 Prozent. Dazu kommt, dass sich Zverev auf dem Platz hervorragend bewegt, fit wirkt - und: seine Nerven im Griff hält. Auch das war nicht immer so. In Sachen Trainingsfleiß ließ er auch während des Turniers nicht nach. An seinen spielfreien Tagen sah man den Deutschen stundenlang auf den Nebenplätzen schuften. „Ich bin älter geworden“, sagte er einmal in einer kleinen Presserunde nach einem Match. Zverev hat hier in Melbourne in mehrfacher Hinsicht den Hebel umgelegt - und ist auch reifer geworden.

Halbfinale der Australian Open: Djokovic schlägt Federer

Nun geht es also im Halbfinale gegen seinen Kumpel Dominik Thiem. Der Österreicher hat in seinem Viertelfinale in einem epischen Match die Nummer 1 der Welt, Rafael Nadal, ausgeschaltet. Thiem hat in Summe in seinen bisherigen fünf Spielen länger auf dem Platz gestanden, während Zverev überhaupt erst einen Satz abgegeben musste. Am Freitagmittag waren es 42 Grad Celsius auf der Anlage. Es ist eine brutale Hitze und auch wenn am Abend in der geschlossenen Rod-Laver-Arena gespielt wird, die körperliche Verfassung wird schon auch entscheidend sein. Und diesbezüglich liegt Zverev vielleicht sogar ein Stück weit vor dem Österreicher, eben weil er weniger Match-Zeit in den Knochen hat. Die Vorzeichen stehen also in vielerlei Hinsicht gut, dass der beeindruckende Zverev-Lauf vielleicht sogar noch weiter geht. Nur noch eine Stufe bis zum Finale …