Das gescheiterte Großmaul: Darum wird Embiid nie MVP

Joel Embiid galt bei NBA-Experten vor der Saison als MVP-Kandidat.

Die einzige Sache, die den Center der Philadelphia 76ers nach Meinung vieler davon stoppte, die komplette Liga wie einst Shaquille O’Neal zu dominieren, war seine Verletzungsanfälligkeit.

Der 26-Jährige bringt alle Voraussetzungen mit, neben Giannis Antetokounmpo und Luka Doncic die NBA in den nächsten zehn Jahren zu bestimmen. Embiid kann sowohl in der Offensive als auch der Defensive dominieren wie kein Zweiter.

Die Betonung liegt auf "kann" - denn Embiid zeigt sein ganzes Können bisher nur zu besonderes Anlässen wie bei den Christmas Games im Dezember 2019.

Dank 31 Punkten und elf Rebounds führten die Sixers das Topteam Milwaukee Bucks vor. Der Kameruner ließ MVP Antetokounmpo dabei wiederholt wie einen Schuljungen aussehen.

Wechsel nicht ausgeschlossen

Doch wenn es wirklich ankommt, kann er die hohen Erwartungen nicht erfüllen. So wie in der ersten Playoff-Runde gegen die Boston Celtics, die sie am Sonntag mit 0:4 verloren haben. Ein Sweep, der dann doch große Zweifel an Embiids MVP-Format aufkommen lässt.

Das Ende von Spiel war ein Symbol dafür. Mit 30 Punkten und zehn Rebounds verbuchte Embiid wieder starke Werte. Aber sein Dreier aus über neun Metern kam zu spät. Er sorgte zwei Sekunden vor Schluss lediglich für den 106:110-Endstand.

Nach dem Aus stellte er sogar seine Zukunft in Philadelphia in Frage. "Ich treffe die Entscheidungen nicht. Ich bin hier in Philly", sagte er: "Ich habe immer gesagt, dass ich meine Karriere hier beenden möchte. Wenn das so kommt, gut. Wenn nicht, dann zieht man eben weiter."

Embiid: "Bester Spieler der Welt"

Dabei mangelt es ihm normalerweise weiß Gott nicht an Selbstbewusstsein.

Nach dem All Star Game im Februar bezeichnete sich als "besten Spieler der Welt. Ich beabsichtige einfach nur, an jedem einzelnen Abend hart zu kämpfen und zu versuchen, Siege und eine Meisterschaft einzufahren."

Genau diesen harten Kampf vermissten die Sixers-Fan während der Saison aber. Gerade bei Auswärtsspielen wirkte Embiid oft mäßig motiviert und hatte großen Anteil daran, dass die 76ers auswärts zu den schwächsten Teams der Liga zählte.

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Während Co-Superstar Ben Simmons in der Regular Season defensiv stets vollen Einsatz zeigte, war von Embiid davon nur sehr wenig zu sehen.

Philadelphia ohne Simmons hilflos

Ohne den verletzten Simmons wurde die Playoff-Aufgabe für die Sixers gegen die Celtics zweifelsohne nicht leichter - doch Embiid bekam die Chance zu beweisen, dass er der unumstrittene Franchise-Spieler Philadelphias ist.

"Ich muss mehr tun. Ich habe einen Job zu tun - uns zu tragen", wusste der 2,13 Meter große und 127 Kilogramm schwere Embiid nach der ersten Niederlage in der Serie um seine Aufgabe.

Nach der 0:4-Klatsche lässt sich festhalten, dass er diese nie erfüllen könnte. Manch einer spricht Embiid nach seinen Auftritten sogar die Fähigkeit ab, je ein Team zur Meisterschaft führen zu können.

NBA-Legende O'Neal hatte Embiid bereits im Laufe der Saison scharf kritisiert: "Du spielst nicht hart genug. 22 Punkte bringen dich nicht auf das nächste Level? Willst du großartig sein oder willst du nur einfach gut sein?"

Embiid patzt gegen Celtics

Gut war Embiid auch gegen die Celtics mit im Schnitt 30 Punkten und 12,3 Rebounds. Gegen ein Team, welches keinen Spieler hat, der sich gegen Embiid körperlich annähernd zur Wehr setzen konnte, war dies dennoch zu wenig.

Schlimmer noch: Embiid leiste sich entscheidende Fehler wie in Spiel 3. Als das Spiel auf Messers Schneide stand, warf Embiid den Ball in die Hände von Celtics-Guard Marcus Smart. Dazu erzwang er einen schlechten Wurf, den Jayson Tatum blockte.

76ers-Coach Brett Brown war ebenfalls wenig angetan von der Schlussphase seines Teams: "Diese beiden Spielzüge waren enttäuschend. Das kann man auch nicht kleinreden oder irgendwie anders formulieren."

Embiid geht die Puste aus

Erneut war deutlich geworden, dass ein häufig eingesetzter Embiid maximal Luft für eine Hälfte hat.

Im letzten Spiel der Serie stand Embiid auf den Parkett, als Boston der entscheidende 12:0-Run gelang. Diesmal hatte er die ersten drei Viertel wenig gezeigt, wichtige Freiwürfe vergeben und erst aufgedreht, als die Partie so gut wie entschieden war.

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Dass das Team von den Celtics gesweept wurde, lag jedoch nicht nur an Embiid. Schließlich haben sich die Sixers in den vergangenen Jahren ein Team voller NBA-Stars gebastelt, welches aber null harmoniert.

Das wohl größte Problem im Kader ist: Dem Team fehlt ein echter Leader, der das Team auf und neben dem Feld anführen kann. Embiid ist das ebenso wenig wie Simmons.

Butler fehlt den Sixers

Mit Jimmy Butler hatte die Franchise 2019 noch so einen Spieler der zudem als einziger Sixers-Spieler in Druck-Situationen seinen eigenen Wurf kreieren - und auch treffen - konnte.

Trotz eines angeschlagenen Embiids und einen mäßig spielenden Simmons scheiterte das Team nur haarscharf am späteren Meister Toronto Raptors. Da der ehrgeizige Butler wohl nicht das beste Verhältnis zu Embiid, Simmons und Brown hatte, ließ man ihn dennoch ziehen.

Stattdessen wurde mit Tobias Harris teuer verlängert, zudem kam Josh Richardson aus Miami und Al Horford aus Boston. Besonders Horford, der auch deshalb geholt wurde, damit die Celtics kein Mittel mehr gegen Embiid hatten, passte überhaupt nicht ins Sixers-System.

Embiid geht auf Mitspieler los

Embiid überzeugt bisher nur vor TV-Kameras mit Leader-Qualitäten, wenn er die Schuld an einer Niederlage auf sich nimmt - doch auf dem Court sucht man ähnliche Führungsqualitäten vergeblich.

Im Spiel gegen die Indiana Pacers ging Embiid Anfang August sogar auf Teamkollege Shake Milton los, der sein erstes Spiel als Starting Point Guard der Sixers bestritt. Der überraschte Milton setzte sich verbal zur Wehr, und Teamkollegen mussten beide voneinander trennen.

Zwar versuchte Embiid, den Vorfall nach dem Spiel kleinzureden ("Jeder macht Fehler. Es passiert. Wir müssen besser kommunizieren"). Doch ein echter Leader putzt kaum einen nervösen Spieler bei seinem Debüt in der Starting Five herunter.

Auch abseits des Courts sieht man bei den 76ers anders als bei Teams wie den Dallas Mavericks nur selten gemeinsame Gruppenaktivitäten.

Trade von Embiid oder Simmons?

Die Forderungen einiger Sixers-Fans, dass Embiid oder Simmons getradet werden muss, werden nach dem Aus erneut folgen. Ihr Vorwurf - in der heutigen NBA sind zwei Star-Spieler, die keine Gefahr von außen ausstrahlen, nicht aufzufangen.

Bisher war die knappe Mehrheit der Sixers-Fans dafür, dass im Zweifel lieber Simmons weggeschickt wird. Doch nach der Hilflosigkeit Philadelphias ohne ihren defensivstarken Spielmacher könnte sich das Blatt wenden.

Mit 26 Jahren kann Embiid sich zweifelsohne noch verbessern - aktuell deutet jedoch wenig daraufhin, dass er seine selbst angekündigten Großtaten eines Tages in die Tat umsetzen und ein echter NBA-Superstar wird.