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Bilic: "Neuer wie eines unserer eigenen Kinder"

Nur wenige Tage nach dem Aufstieg in die Premier League mit West Bromwich Albion reiste Slaven Bilic erstmal nach Kroatien. Der 51 Jahre alte Trainer, der in seiner aktiven Zeit von 1993 bis 1996 beim Karlsruher SC spielte, will in seiner Heimat abschalten und den Erfolg genießen.

Doch für SPORT1 nimmt sich Bilic ein bisschen Zeit.

West Brom ist nach West Ham United schon der zweite englische Verein in seiner Vita. Bilic war auch bereits in Russland, in der Türkei und in Saudi-Arabien tätig.

Im SPORT1-Interview spricht der Vater von fünf Kindern über den Erfolg mit den Baggies, die englische Liga, Jürgen Klopp, Niko Kovac und die Coronakrise.

SPORT1: Glückwunsch zum Aufstieg, Herr Bilic. Wir fühlen Sie sich?

Slaven Bilic: Ich bin happy, weil ich einen guten Job gemacht und dem Klub diesen Erfolg geschenkt habe. Ich habe die Spieler, die Fans und die Verantwortlichen glücklich gemacht und mich selbst. Insbesondere in der schweren Corona-Zeit. Ich freue mich vor allem für die Angestellten im Verein, weil Ihre Jobs durch den Aufstieg für die nächsten Jahre gesichert sind. Diese Finanzspritze, die wir in der Premier League erhalten, sichert den Verein finanziell ab. Ich spreche von den kleinen Angestellten, den Köchen, den Bedienungen, den Masseuren, den Wachleuten - sie werden alle ihre Jobs behalten können. Es ist natürlich auch sportlich ein sehr großer Erfolg.

SPORT1: Wie ist dieser Erfolg einzuordnen?

Bilic: Man kann es schwer vergleichen. Egal, auf welchem Niveau man ist, es ist das größte, was man in dieser Situation erreichen kann. In der Regionalliga denkt kein Mensch über die Bundesliga oder die Champions League nach. Es kommt immer auf die jeweilige Situation an. Dann fühlt man sich gut, fühlt sich stolz und weiß, dass man seinen Job gut gemacht hat. Nun gilt es sich für die nächste Saison zu rüsten. Ich kann es nicht mit meinen anderen Jobs in Kroatien oder Istanbul vergleichen. Ich versuche jedes Mal, das Maximum in der Liga zu erreichen, in der ich mich gerade befinde.

SPORT1: Was sind die Gründe für den Aufstieg?

Bilic: Zuerst mal die Qualität des Teams und unsere freundliche und familiäre Atmosphäre im ganzen Verein. Dem Team wurde ein gutes Umfeld gegeben, um sich zu entfalten und wohl zu fühlen. Die Saison war sehr lang und extrem schwierig. Wir hatten die Vor-Corona-Zeit, den Lockdown und nun die Nach-Corona-Phase, in der wieder gespielt werden durfte. Es war fast wie eine zweite Saison. Vor der Pause waren wir fit, und die Krise hat uns dazu gezwungen, die Fitness neu aufbauen zu müssen.

Bilic: "Die Fans sollten zurück ins Stadion"

SPORT1: Als emotionaler Trainer erleben Sie die Corona-Einschränkungen sicher noch mal anders. Wie sehr fehlt Ihnen das Spiel vor vollen Rängen?

Bilic: Man muss nicht sehr emotional sein, um die Fans zu vermissen. Ich vermisse es aber wahrscheinlich schon etwas mehr als jeder andere Trainer, Fan oder Spieler. Es war sehr hart, aber unglücklicherweise war das Spiel ohne Zuschauer immer noch das beste Szenario, die Liga weiter zu führen. Nicht zu spielen, wäre die andere Option gewesen. Und das hätte sich für die Vereine weitaus schlimmer ausgewirkt. Es war gut für den Fußball, um für eine kurze Zeit überleben zu können. Aber es ist einfach insgesamt nicht gut und kann nicht lange so bleiben. Jetzt sollten die Fans zurück ins Stadion, um den Sinn des Spiels wieder zu beleben.

SPORT1: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es ab September wieder mit Zuschauern klappt?

Bilic: Niemand kann das wissen. Wir warten alle ab und verfolgen die Presse. Und wir warten auf die Modelle aus Deutschland, auch hier in England. Wenn Deutschland nicht wieder vor den Fans spielen lässt, glaube ich auch nicht, dass England starten wird. Deutschland gibt hier die Regeln für die ganze Welt vor. In erster Linie muss es sicher für die Besucher sein. Ich hoffe, dass die Fans sogar vor September zurückkommen können. Nicht die volle Kapazität. Schritt für Schritt, eine langsame Öffnung. Möglicherweise mit 20.000 Besuchern in einem großen Stadion und danach weitere Öffnungen, wenn alles sicher ist. Niemand mag die momentane Situation.

Musik? "Muss mich auf den Job konzentrieren"

SPORT1: Auf dem Rasen spielt bei Ihnen die Musik, privat auch noch?

Bilic: Nein, ich mache gerade keine Musik. Dafür bin ich als Trainer viel zu sehr eingespannt. In dem Job ist man wie ein Chirurg, der seine Kapazität auf das Team, seine Familie und seine Freunde aufteilen muss. Der Job erfordert seine Zeit, auch außerhalb des Trainings. Manche Kollegen spielen Golf oder gehen Reiten, um ihre Akkus aufzuladen, andere spielen Basketball oder machen wie ich früher Musik. Ich lese manchmal ein Buch, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Auch wenn ich eine halbe Stunde Auto fahre, kommen mir neue Gedanken für das nächste Spiel und den Fußball. Zeit für die Musik bleibt mir momentan nicht.

SPORT1: Apropos Musik. Unlängst sorgte Manuel Neuer für Aufregung, als er ein Lied der umstrittenen kroatischen Band Thompson lautstark mitgesungen hat. Kennen Sie den Song "Lijepa li si"?

Bilic: Natürlich kenne ich den Song. Und ich kenne die Situation, die Manuel Neuer da zuletzt am Strand erlebt hat. Die Journalisten machen heutzutage leider ein großes Ding aus allem. Ich habe Neuer ein paar Mal getroffen, als wir mit Kroatien gegen Deutschland gespielt haben. Er ist ein großer Kroatien-Fan und besucht gerne unser Land. Wir sind stolz darauf. Es ist ein typischer Song in Kroatien und hat nicht im Geringsten mit einer rechten Gesinnung zu tun, über die da zuletzt berichtet wurde. Der Song beschreibt Kroatien und der Refrain heißt übersetzt: "Wie schön Du bist". Es ist einfach nur ein Lied über unser schönes Land, nicht mehr und nicht weniger. Es ist nicht die offizielle Nationalhymne, aber eine Hymne für unsere Nationalmannschaft.

SPORT1: Welchen Stellenwert hat Neuer in Kroatien für Sie?

Bilic: Wir sind ein kleines Land und sehr stolz darauf, wenn ein großer Fußballprofi unser Land mag. Wenn große Stars wie Cristiano Ronaldo, Wayne Rooney oder auch ein Robert de Niro Deutschland loben würden, dann wären die Deutschen ebenfalls glücklich. Als wir vor zwei Jahren gehört haben, dass Manuel Neuer Kroatien besucht - er war damals in Dubrovnik - waren wir super stolz. Wir mögen ihn mehr als ein bisschen und behandeln ihn wie eines unserer eigenen Kinder. Neuer ist immer willkommen in unserem Land.

"Niko Kovac ist ein Top-Trainer"

SPORT1: Niko Kovac ist neuer Trainer beim AS Monaco. Was sagen Sie dazu?

Bilic: Niko ist ein toller Mensch und großer Fußballlehrer. Er hat das bei der kroatischen Nationalmannschaft bewiesen und auch bei Eintracht Frankfurt. Niko ist ein Top-Trainer. Und ich habe absolut nicht verstanden, warum er nach dem Gewinn des Doubles in München gehen musste. Nicht viele Trainer haben das bei den Bayern in der ersten Saison geschafft. Ich freue mich sehr für Niko, dass er einen so guten neuen Verein gefunden hat. Und ich bin mir sicher, dass er dort auch wieder einen grandiosen Job machen wird.

SPORT1: Sie dürfen bald wieder in der Premier League arbeiten. Ist diese Liga für Sie das Nonplusultra?

Bilic: Jede Liga ist eine schwierige Liga. Die Premier League ist ein bisschen wie Hollywood. Ich kenne die Liga, habe auch als Spieler vier Jahre dort gespielt (mit West Ham United und dem FC Everton, d. Red.). Ich habe es dann auch als Trainer mit West Ham sehr genossen. Die Meisterschaft in England spiegelt noch die ursprüngliche Faszination wider, wie es bereits vor 20 Jahren war. Nun sind wir in der Premier League angekommen und schauen voller Vorfreude nach vorne. Wir sind bereit.

SPORT1: Fühlen Sie sich in England besonders wohl?

Bilic: Ich habe viel Zeit in England verbracht und zwei meiner Kinder wurden dort geboren. Ich habe dort gespielt und viele Freunde leben da. Und ich trainiere jetzt den zweiten Klub in England und liebe es. Wenn es aber auf das Gesamtpaket ankommt mit Job, Familie, Land, Freunde und Umfeld, dann ist es ganz klar die Türkei.

SPORT1: Wie denken Sie über einen Job in der Bundesliga?

Bilic: Ich habe viel mit Verantwortlichen in der Bundesliga gesprochen, ich war ein paar Mal schon knapp daran, ein Engagement in Deutschland zu übernehmen. Es ist eine sehr gute Liga. Aber ich mache mir keine Gedanken über eine nicht spruchreife Zukunft, sondern konzentriere mich auf meine Arbeit als Coach in den nächsten sechs Monaten.

"Klopp hat Charisma und Intelligenz"

SPORT1: Was sagen Sie zum Erfolg von Jürgen Klopp?

Bilic: Jürgen Klopp ist unglaublich. Er ist einer der Besten und hat nun die Meisterschaft mit Liverpool geschafft. Die Art und Weise, wie sie sich entwickelt haben, ist fantastisch. Klopp hat Charisma und Intelligenz. Die Art, wie sie spielen, die Energie, die sie auf dem Platz zeigen... Gegen wen sie auch spielen, ich würde mein Geld auf Liverpool setzen. Nur wegen Jürgen Klopp. Alles, was er tut, hat Hand und Fuß. Allein, was er mit Dortmund erreicht hat.

Seine Karriere, sein Gesamtpaket ist unerreicht. In Liverpool hat er seine Leistung aus Dortmund verbessert und sogar noch mal getoppt. Er hat das Talent, den Humor und er ist menschlich. Das ist wunderbar. Er verlangt sehr viel von seinen Spielern. Aber sie tun es für ihn, weil er ihnen auch den Spaß an der Arbeit vermittelt. Er ist immer bereit zu relaxen und offen für Gespräche. Es ist die schwerste Aufgabe, diese Balance im Team zu finden, aber er hat das Talent dazu. Er ist einfach der Meister.

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SPORT1: Ist es nicht auch gefährlich, weil dieser Erfolg kaum zu wiederholen ist.

Bilic: Gefährlich? Warum sollte der Erfolg gefährlich sein? Natürlich ist es schwierig, noch mal das ganze Ding so zu rocken. Aber was sollte passieren? Niemand kann den Reds diesen Erfolg wieder nehmen. Und Klopp kann es wieder schaffen.

SPORT1: Gibt es Parallelen zwischen Ihrem Aufstieg und dem Erfolg des FC Liverpool?

Bilic: Wir haben keine Meisterschaft gewonnen und Liverpool hat ein anderes Level. Jeder möchte nun in Liverpool spielen und jeder schaut auf die Reds. Was ich gerne hätte wie Liverpool in meinem Verein, ist die Energie, die sie in jedem Spiel haben. Sie spielen jedes Spiel, als ob es ihr letztes wäre oder ein Endspiel. Und das liegt alleine an Jürgen Klopp.