Boris Beckers Traum von der diplomatischen Immunität

Boris Becker bei einer Filmpremiere in London (Bild: Reuters)
Boris Becker bei einer Filmpremiere in London (Bild: Reuters)

Probleme hat Boris Becker zur Zeit reichlich – auch dann, wenn man die Trennung von seiner Frau Lilly einmal beiseite lässt. Gegen den in London lebenden Ex-Tennisstar läuft ein Insolvenzverfahren; ein Großgläubiger hatte den entsprechenden Insolvenzantrag vor knapp einem Jahr gestellt, das Gericht hatte dem stattgeben. Somit war Becker rechtlich verpflichtet, seine kompletten Vermögenswerte bei einem behördlich bestellten Insolvenzverwalter offenzulegen und eine komplette Liste seiner Verbindlichkeiten und Gläubiger einzureichen.

Hätte Becker sich an diese einfachen Spielregeln des – im europäischen Vergleich als sehr moderat und “schuldnerfreundlich” geltenden – britischen Insolvenzrechts gehalten, so hätte er bereits nach Ablauf eines Jahres seine Komplettentschuldung erlangt (zum Vergleich: in Deutschland sind es mindestens sechs Jahre!). Jedoch ist Becker aus Sicht des zuständigen Londoner Gerichts seinen Auflagen nicht – oder nicht vollständig – nachgekommen. Deshalb wird ihm zum ursprünglich vorgesehenen Abschlusstermin, der demnächst ansteht, vermutlich keine Restschuldbefreiung erteilt werden.

Griff in die Trickkiste

Tatsächlich bestreitet Becker bis heute eine Zahlungsunfähigkeit, ausreichend bewiesen hat er dies dem Gericht offenbar nicht. Stattdessen scheint er als Schuldner in seinem eigenen Verfahren einige Mitwirkungspflichten verletzt zu haben. Völlig zu Recht drohen ihm deshalb nun die genannten Konsequenzen. Um diese zu vermeiden, greift er nun tief in die juristische Trickkiste: Neuerdings beruft er sich nämlich auf “diplomatische Immunität” gegenüber dem Insolvenzgericht.

Weil er ehrenamtlich für die Zentralafrikanische Republik tätig ist und für deren Regierung in Brüssel die Position eines “Sport-Attachés” bekleidet – was im diplomatischen Dienst den niedrigsten Rang darstellt -, meint Becker offenbar, sich dem Zugriff des Rechtssystems entziehen zu können. Voller Stolz bestätigte zwar der zuständige Botschafter die Dienststellung des Ex-Tennisprofis, Außenminister Doubane distanzierte sich allerdings auf Nachfrage der “Welt” auch schon wieder von der Personalie und betonte, dass sein Land kein rechtsstaatliches Verfahren gegen Becker stören werde. Kennern der Materie erschließt sich ohnehin nicht, was Beckers diplomatische Tätigkeit in Brüssel mit dem Insolvenzverfahren in England zu tun haben soll.

Wie einigen meiner geneigten Leser bekannt ist, war ich selbst jahrelang diplomatisch aktiv, vor allem als Attaché für die Republik Liberia. Jahrelang habe ich für Liberia beim Aufbau seiner Ständigen Vertretung in Genf mitgewirkt, habe politische und wirtschaftliche Kontakte für die Regierung angebahnt und den liberianischen Botschafter beraten. Und selbstverständlich war ich für die Dauer dieser Tätigkeit im Besitz eines Diplomatenpasses, den ich auf offiziellen Reisen nutzte; aber keinesfalls entstand daraus eine breite Immunität dergestalt, dass ich vor etwa zivilrechtlichen Verfahren geschützt gewesen wäre.

Immunität nahezu ausgeschlossen

Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass eine derartige Immunität für Boris Becker gelten könnte. All dies lässt sich übrigens sehr detailliert im Regelwerk des diplomatischen Dienstes, der “Wiener Übereinkunft für diplomatische Beziehungen” (WÜD), nachschlagen. Anders als fälschlicherweise oft geglaubt wird, bedingt ein Diplomatenpass eben keine juristische Immunität. Immunität entsteht erst durch eine Akkreditierung, das heißt: der jeweilige Empfängerstaat muss den Diplomaten formal akzeptieren.

Ganz abgesehen von der zweifelhaften konsularischen Relevanz eines “Sport-Attachés” ist Boris Becker kein Staatsbürger Zentralafrikas. Alleine schon hieraus, wie auch aus der Ehrenamtlichkeit des Postens, ergibt sich eine besondere Situation. Dem Empfängerstaat – in diesem Fall Belgien – bietet sich eine Fülle von Gründen, ja sogar Sachzwängen, einen Attaché Becker abzulehnen. Zur Erklärung: Zwar soll Beckers formale Amtsstelle bei der EU angesiedelt sein, doch weil die Kommission in Brüssel sitzt, fiele seine Akkreditierung in die Zuständigkeit des belgischen Außenministeriums.

Und selbst wenn das belgische Außenamt seine Akkreditierung bewilligte, würde Becker lediglich in Belgien diplomatische Immunität genießen. Aus dieser – hypothetischen – örtlichen Immunität würde aber keinesfalls die Immunität im Vereinigten Königreich resultieren. Um diese zu erlangen, müsste Becker im Außenministerium ihrer Majestät, in London zusätzlich als Diplomat akkreditiert werden; und erst ein solcher theoretischer Akt würde sich dann eventuell aufschiebend auf sein Insolvenzverfahren auswirken. Jedoch ist stark anzuzweifeln, dass er diese Akkreditierung je erhalten wird. Das Interesse der Briten an einem solchen Diplomaten dürfte sich in engen Grenzen halten – erst recht nach den Schlagzeilen der letzten Tage.

Schutz nur in Ausnahmefällen

Nach internationalem Recht steht Becker in England somit keine Immunität zu. Eine solche hätte er bestenfalls in sehr abstrakten Ausnahmefällen: Wenn etwa ein – zuvor in Belgien erfolgreich akkreditierter – Attaché Becker in offiziellem diplomatischem Auftrag mit dem Auto von Brüssel nach Dublin fahren würde, dann stünde ihm als “Diplomat auf der Durchreise” nach Artikel 40 WÜD Immunität zu. Rast Becker auf dieser Fahrt dann jemanden über den Haufen, so könnten ihn die britischen Behörden nicht strafrechtlich belangen. Schutz genösse Becker auch in dem abstrakten Fall, dass er mit diplomatischen Unterlagen im Gepäck quer durch Großbritannien reist; denn nach Artikel 24 WÜD sind “diplomatische Archive” geschützt, egal wo sie sich befinden. In beiden Gedankenspielen müssten Beckers Rundfahrten aber recht lange dauern, wenn er damit sein Insolvenzverfahren erfolgreich aussitzen wollte.

Natürlich kann ich nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, das Becker am Ende doch irgendwelche unbekannten Trümpfe in der Hand hält. Am Ende könnte für Boris Becker allerdings eher ein ganz anderer Abschnitt der “Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen” aktuell werden: Nämlich Artikel 9. Dieser regelt die Einstufung eines Subjekts als “persona non grata” – was eine rasante Beendigung seiner Karriere als Diplomat bedeuten würde.