Warum Iran vs. USA so brisant ist

Das WM-Spiel zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (ab 20 Uhr im LIVETICKER) steckt voller Brisanz.

Einerseits geht es sportlich gesehen um das begehrte Achtelfinal-Ticket in Gruppe B, andererseits wird das entscheidende WM-Spiel von politischen Streitereien überschattet, die seit Jahrzehnten zwischen den beiden verfeindeten Staaten schwelen. (DATEN: WM-Spielplan 2022)

Das zeigte sich auch im Vorfeld der Partie bereits deutlich.

Irans Fußballverband beschwerte sich vor dem Duell gegen die USA bei der FIFA, weil die iranische Flagge anders dargestellt wurde als üblich.

Denn der US-amerikanische Verband hatte zuvor auf seinen Social-Media-Kanälen beim Abbilden der Iran-Fahne auf das Emblem der Islamischen Republik verzichtet und stattdessen lediglich die Farbkombination aus Grün, Weiß und Rot gezeigt.

USA setzt sich für Frauen und Menschenrechte im Iran ein

Wie ESPN berichtet, habe sich der US-Verband zu dem Schritt entschieden, um die „Frauen, die im Iran für Menschenrechte kämpfen“, zu unterstützen. Im Iran protestieren seit Monaten landesweit Menschen gegen die repressive Regierung. Es gibt zahlreiche Todesopfer und etliche Verhaftungen.

Das Emblem der Islamischen Republik steht für den islamischen Ausdruck: „Es gibt keinen Gott außer Gott.“ Die Flagge war im bisherigen Turnierverlauf auch schon in Katar auf den Tribünen zu sehen.

Der Iran und seine Mannschaft stehen auch dort unter besonderer Beobachtung. In ihrer ersten Partie gegen England (2:6) hatten die iranischen Spieler für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt, als sie beim Abspielen der Hymne demonstrativ schwiegen.

Damit sendete die Mannschaft angesichts von mehr als 400 Toten in der Heimat ein Zeichen der Solidarität an die Regime-Kritiker. Auf der Tribüne hatten zahlreiche Frauen währenddessen Tränen in den Augen.

Szenen, die die Machthaber im Iran nicht gerne sehen. Daher wurde die Live-Übertragung des übertragenden Staatssenders beim Abspielen der Hymne kurzzeitig unterbrochen. Zudem könnten den Spielern und deren Familien wegen des Protests drastische Konsequenzen drohen.

Nach Hymnen-Protest! Spieler singen wieder gegen Wales

Im zweiten Vorrundenspiel gegen Wales (2:0) schließlich sangen sie wieder die Nationalhymne mit. Ob es Druck von Seiten der Regierung oder des iranischen Fußball-Verbandes davor gegeben hat, ist nicht überliefert.

Vielleicht aber verzichtete die Mannschaft auf einen weiteren Protest - weil nach dem ersten Spiel Ex-Nationalspieler Voria Ghafouri verhaftet worden war, später auf Kaution freigelassen wurde.

Zudem verhinderten katarische Sicherheitskräfte während der Wales-Partie einige Solidaritätsbekundungen durch iranische Fans. So hielt eine Zuschauerin ein Trikot mit dem Namen Mahsa Amini in die Höhe und musste dieses abgeben, auch Shirts mit der Aufschrift „Frauen. Leben. Freiheit.“ wurden entfernt.

Das zeigten TV-Bilder und Fotos aus dem Ahmad-bin-Ali-Stadion.

Nichtsdestotrotz gehören offen kritische Spieler wie Leverkusens Sardar Azmoun oder Saman Ghoddos vom FC Brentford zum Kader von Trainer Carlos Queiroz - was viele Beobachter durchaus überraschte. (BERICHT: Iran-Kapitän lässt aufhorchen)

Nach dem Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amiri war es im Iran zu Massenprotesten gekommen, beim harten Vorgehen der Polizei starben zahlreiche Menschen, doch die Proteste sind bis heute noch im Gange. „Wir stehen nicht unter Druck“, erklärte Mehdi Taremi: „Ich will nicht über politische Dinge reden. Wir sind hierhergekommen, um Fußball zu spielen. Ich kann nichts ändern.“

Iran fordert WM-Ausschluss der USA

Sportlich wusste die Queiroz-Truppe beim 2:0-Erfolg gegen Wales durchaus zu überzeugen und träumt nun vom Achtelfinaleinzug, der mit einem Sieg gegen die USA perfekt wäre. Zudem reicht den Iranern gegen die US-Boys ein Remis, wenn England gleichzeitig gegen Wales mindestens einen Punkt holt. (NEWS: Schwere Vorwürfe: Jetzt spricht Klinsmann)

Politisch aber ist das Duell mehr als aufgeheizt: Die Regierungs-nahe iranische Nachrichtenagentur Tasnim News Agency verwies nach dem Fahnen-Eklat auf das FIFA-Regelwerk, das besage, dass Personen, die die Würde oder die Integrität eines Landes, einer Person oder eine Gruppe von Personen verletzen, mit einer Sperre von mindestens zehn Spielen belegt werden sollen. Entsprechend plädiere man für einen Ausschluss der USA von der Weltmeisterschaft 2022. (NEWS: Alles Wichtige zur WM)

Der aktuelle WM-Zoff ist allerdings nur ein weiterer Streitpunkt einer ewig langen Liste in den angespannten Beziehungen beider Staaten: Seit 1980 bestehen keine diplomatischen Beziehungen mehr zwischen den USA und dem Iran als Reaktion auf die Geiselnahme von Teheran 1979.

Zudem sorgten die Waffenlieferungen der USA im ersten Golfkrieg an den Irak für zusätzliche Spannungen. Anschläge auf US-Botschaften und militärische Stützpunkte verschärften danach die Lage noch mehr, genauso wie der Abschuss eines Flugzeugs von Iran Air (1988) durch die USA.

Der Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York City, für den in den USA der Iran mitverantwortlich gemacht wurde, sowie die Tötung eines iranischen Generals durch die USA trieben den Konflikt so auf die Spitze, dass es 2020 sogar zu einem beschränkten militärischen Konflikt kam.

Bilanz spricht für ein Weiterkommen des Iran

Bis heute ist die Lage mehr als angespannt und eine Besserung nicht in Sicht. Erst recht nicht, wenn sich die politischen Verhältnisse im Iran nicht bessern - hin zu einer freien Demokratie. Denn dem Mullah-Regime werden international seit Jahrzehnten immer wieder Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte vorgeworfen.

„Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen“, schrieb Superstar Azmoun nach Irans 1:0-Sieg gegen Uruguay Ende September in einem mittlerweile wieder gelöschten Instagram-Beitrag.

Der 27-Jährige ergänzte: „Wegen der Regeln der Nationalmannschaft durften wir nichts sagen, aber ich kann kein Schweigen mehr ertragen. Die ultimative Bestrafung wäre, dass sie mich aus dem Team werfen, was aber ein kleines Opfer im Vergleich zu jeder einzelnen Haarsträhne einer iranischen Frau wäre.“

Im abschließenden und richtungsweisenden Gruppenspiel gegen die USA am Dienstag (ab 20 Uhr im LIVEITCKER) wird Iran-Coach Queiroz aber auf seinen besten Spieler nicht verzichten, denn seine Truppe könnte bei der sechsten WM-Teilnahme erstmals in die K.o.-Runde einziehen und Fußball-Geschichte schreiben. (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)

Und die Zeichen dafür stehen gut, denn die Bilanz spricht für die Iraner (ein Sieg, ein Remis). Zudem haben die US-Amerikaner ihr drittes Gruppenspiel bei sieben ihrer acht WM-Teilnahmen verloren. So oder so könnte diese Partie die brisanteste der WM-Geschichte sein.

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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)