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BVB 2017: Verzweiflungstaten in eisiger Stimmung

Fan-Randale, sportliche Einbrüche, zwischenmenschliche Risse: Borussia Dortmund macht die schwierigste Phase in der Ära von Trainer Thomas Tuchel durch. Die K.o.-Phse in der Champions League kommt trotzdem zum genau richtigen Zeitpunkt.

BVB-Trainer Thomas Tuchel kämpft beim BVB an mehreren Fronten
BVB-Trainer Thomas Tuchel kämpft beim BVB an mehreren Fronten

Thomas Tuchel hatte sich dick eingepackt. Daunenmantel, Thermoschuhe und sogar eine Sturmhaube als Maßnahme gegen den eisigen, böigen Wind, der am Sonntag übers Trainingsgelände des BVB in Dortmund Brackel zog. Die Aufarbeitung des Dortmunder Debakels in Darmstadt fand unter erschwerten äußeren Bedingungen statt, passt aber zur aktuellen Stimmungslage des BVB.

Ein ernsthaftes Fan-Problem, wiederkehrende, unerklärliche Einbrüche der Mannschaft, ein sanft gegen die Klubchefs rebellierender Trainer – es rumort an allen Ecken und Enden bei Borussia Dortmund; der Verein steckt in der schwierigsten Phase seit dem Absturz auf einen Abstiegsplatz zum Ende der Hinrunde 2014/15.

Kein Einspruch: BVB akzeptiert Sperrung der Südtribüne

Tuchels frühe Verzweiflung in Darmstadt

Wie angeknackst das Nervenkostüm der BVB-Verantwortlichen derzeit ist, zeigte sich in Darmstadt. Das Spiel war gerade neun Minuten alt, da fuhr Tuchel an der Seitenlinie das erste Mal aus der Haut. Nach einem harten Einsteigen eines Darmstädter Spielers protestierte der Coach so vehement beim vierten Offiziellen, dass er sich eine Verwarnung von Schiedsrichter Wolfgang Stark einhandelte.

Tuchel erklärte seine Ausbruch später so: “Es war ein verzweifelter Versuch, von außen Energie reinzubringen. Es war der Versuch, einen Aufstand zu wagen, den wir auf dem Platz haben vermissen lassen.” Der Trainer muss Rumpelstilzchen imitieren, weil seine Spieler nicht spuren. Eine Verzweiflungstat, wie er selbst zugab.

Im Video: Tuchel gibt Druck-Problem zu

Tuchel findet keine Lösungen

Man muss Tuchel zugute halten, dass er früh erkannt hat, dass seine Mannschaft mit einem sehr bescheidenen Ansatz versuchte, das abgeschlagene Tabellen-Schlusslicht Darmstadt zu besiegen. Man muss ihm gleichzeitig aber unterstellen, dass er keine Lösungen parat hat, dem BVB endlich einen Hauch von Konstanz zu vermitteln.

Tuchel resigniert: “Wir sind auf unterschiedliche Weise gescheitert”

Mit Emre Mor (19) und Dzenis Burnic (18) stellte Tuchel zwei unerfahrene Youngster in die Startelf, was nach Informationen der Bild bei Watzke und Sportchef Michael Zorc gar nicht gut ankam. Watzke verließ sogar wenige Minuten vor Spielende seinen Platz auf der Tribüne – ein Novum in seiner langen Zeit als starker Mann beim BVB. Als Tuchel in der Pressekonferenz zu seiner Aufstellung befragt wurde, antwortete er: “Ich verbiete Ihnen geradezu, diese beiden Namen mit der Niederlage in Verbindung zu bringen.”

Unterschiedliche Erwartungen von Trainer und Klubspitze

Niemals würde Tuchel einzelne Spieler für schwache Leistungen verantwortlich machen. Er konzentriert sich aufs große Ganze und zettelte infolgedessen eine Diskussion an, die in den nächsten Wochen zusätzlichen Zündstoff bringen dürfte.

“Es muss ein Umdenken stattfinden. Wir sind nicht nur das, was wir gegen Leipzig und Bayern zeigen, sondern auch das, was wir gegen Darmstadt zeigen. Es wäre hilfreich, wenn das mal durchsickern würde. Ich dachte, das ist intern schon angekommen”, sagte Tuchel im Anschluss an die Pleite in Darmstadt.

Tuchels Appell hatte kaum die Runde gemacht, da versuchte Zorc auch schon zu beschwichtigen. “Ich bin mir sicher, dass Thomas’ Kritik sich ausschließlich auf die Mannschaft bezogen hat”, sagte er der Bild. Doch die vehemente Forderung von Hans-Joachim Watzke nach Tabellenplatz drei in der Bundesliga und die damit verbundene sichere Qualifikation für die Champions League, legt die Vermutung nahe, dass Tuchels Signal sehr wohl an die Vereinsführung gerichtet war.

Götze wieder nicht im Kader

Die unterschiedlichen Auffassungen von sportlicher Leitung und Klubspitze tragen nicht gerade zu einem entspannten Binnenverhältnis bei; beide Parteien begegnen sich zunehmend mit Skepsis. Als Watzke auf das kolportierte starke Interesse des FC Arsenal an Tuchel angesprochen wurde, vermied er erneut ein klares Bekenntnis zum Trainer und verwies stattdessen auf die anstehende Analyse nach dem Ende der Saison.

Dann soll es auch um die Zukunft von Thomas Tuchel gehen. Sein Vertrag beim BVB läuft bis 2018, Gespräche über eine vorzeitige Verlängerung sollen erst dann geführt werden. Die Spannungen zwischen Trainer und Klubführung verstärken aber den Eindruck, dass es in den Gesprächen eher um eine vorzeitige Beendigung der Zusammenarbeit gehen könnte.

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In Summe drücken die vielen Baustellen des BVB gehörig auf die Stimmung. Und am Montag kam potentieller neuer Diskussionsstoff dazu. Obwohl Mario Götze in der Eiseskälte von Dortmund Brackel am Sonntag ein komplettes Training absolvierte (in kurzen Hosen übrigens), fehlt er im Kader für das Achtelfinal-Hinspiel des BVB bei Benfica Lissabon am Dienstag, nach offiziellen Angaben wegen anhaltender muskulärer Probleme.

Der Auftritt in Lissabon kommt für den BVB dennoch zum genau richtigen Zeitpunkt. Ob Real Madrid, Bayern München oder RB Leipzig – in großen Spielen hat Borussia Dortmund in dieser Saison bislang zuverlässig geliefert. Der BVB benötigt im Estadio da Luz mehr denn je eine Fortsetzung.