Calmund exklusiv: Bayern packt Juve, aber dann....

Reiner Calmund schreibt exklusiv als Kolumnist für Yahoo Sport Deutschland!

Die Augen der meisten deutschen Fußball-Fans sind Dienstag ganz sicher auf Turin gerichtet. Der amtierende italienische Meister, Pokalsieger und letztjährige Champions-League-Finalist Juventus empfängt den FC Bayern München – was für ein Sahnestückchen schon im Achtelfinale der Königsklasse. Yahoo Sport Deutschland-Experte Reiner Calmund analysiert für uns die Chancen der Bayern.

Normalerweise ist der deutsche Rekordmeister Favorit gegen den italienischen Rekordmeister. Doch die Stimmung scheint getrübt, ein paar Fragezeichen stehen hinter dieser Partie und die Frage lautet: Kann der scheinbar übermächtige deutsche Meister und souveräne Spitzenreiter der Bundesliga ähnlich gut abschneiden wie in der Vorwoche unsere anderen Vereine?

Ich drücke den Münchnern bei ihren internationalen Spielen immer die Daumen und zusätzlich noch die dicken Zehen. Der FC Bayern ist ganz klar das Flaggschiff des deutschen Vereinsfußballs und gehört auch weltweit zu den Top drei. Die Hoffnungen auf den Champions-League-Sieg sind daher immer berechtigt. Aber die Chancen auf diesen größten Erfolg im weltweiten Klubfußball, die richten sich eindeutig nach der aktuellen Mannschafts-Situation. Nehmen wir die Jahre 2013 und 2015 als Beleg für diese These. Mit Trainer Jupp Heynckes überrollten die Bayern auf dem Weg zum historischen Triple den FC Barcelona mit einem Gesamtergebnis von 7:0. Die Katalanen hatten damals große Verletzungsprobleme, auch Lionel Messi war nicht fit. Er spielte zwar, konnte aber aufgrund einer Verletzung nicht einmal 50 Prozent zeigen. Barca war völlig harmlos und wurde von den Bayern förmlich gefressen.

Keine Breite im Abwehrzentrum

Zwei Jahre später das gleiche Bild, nur andersherum. Den FC Bayern quälten Verletzungsprobleme, er besaß in 180 Minuten keine wirkliche Chance gegen den späteren Final-Sieger, im Gesamtergebnis sah es mit 3:5 noch reichlich harmlos aus, tatsächlich dominierte Barcelona klar.

Probleme haben die Bayern auch jetzt. Dabei sehe ich die Chancen auf ein gutes Ergebnis bei Juventus Turin - genau wie Sportdirektor Matthias Sammer übrigens - bei 50 Prozent. Wir kennen alle die alte Fußball-Weisheit, nach der die Offensive Spiele gewinnt, die Defensive dir aber die Titel sichert. Sie ist für mich nach wie vor aktuell. Vor diesem Hintergrund freue ich mich mit allen Bayern-Fans darüber, dass Franck Ribery und Mario Götze wieder dabei sind. Ihre langen Ausfallzeiten konnten zum Glück für die Bayern durch die Top-Leistungen von Thomas Müller und Robert Lewandowski und die belebenden Auftritte der Neuzugänge Kingsley Coman und Douglas Costa kompensiert werden.

Genau diese Breite sehe ich im Abwehrzentrum nicht. Jerome Boateng – für mich der beste Innenverteidiger der Welt und schon 2014 bei der WM in meinen Augen der beste Abwehrspieler und Garant für den Titel – ist definitiv nicht vollwertig zu ersetzen. Ob mit seinem Muskelbündel auch die Hoffnungen der Bayern auf die Champions League rissen? Es wäre fatal.

Sicherheitsrisiken Tasci/Benatia

Die ersten Alternativen für Boateng hießen Javi Martinez und Holger Badstuber. Beide fallen ebenfalls – der erste nach einer Meniskusoperation, der zweite mit einer Sprunggelenksfraktur, aus.
Inwieweit Mehdi Benatia nach seiner langen Verletzungspause auf diesem Top-Niveau schon mithalten kann, bleibt abzuwarten. Ich glaube nicht, dass der angeschlagene Innenverteidiger bereits in Champions-League-Form sein kann. Für ihn stehen lediglich sechs Bundesligaspiele und drei Kurzeinsätze in der Gruppenphase zu Buche, seit Anfang Dezember hat er gar nicht mehr gespielt. Da bleibt ein Sicherheitsrisiko! Das gilt ebenso für Serdar Tasci, der sich auf diesem Niveau lange nicht beweisen konnte.

Serdar Tasci machte gegen Darmstadt keine gute Figur.
Serdar Tasci machte gegen Darmstadt keine gute Figur.

Vermutlich muss man mit den fantasievollen Lösungen Joshua Kimmich, David Alaba  oder dem Routinier Xabi Alonso im Abwehrzentrum agieren. Bei allem Respekt, Kimmich ist ein kommender Nationalspieler und Alaba ohnehin Weltklasse, doch im Abwehrzentrum fehlt beiden schon etwas die körperliche Präsenz.

Juves Offensive mit Morata, Dybala, Pogba und vermutlich dem Ex-Bayern Mandzukic auf der Bank sind schon ein großes Kaliber. Die Italiener haben übrigens ähnliche Abwehr-Probleme, mit Alex Sandro fällt nach Martin Caceres und wohl auch Giorgio Chiellini der dritte Abwehrspieler aus.

Bitter, aber wahr

Gespannt bin ich auf Sami Khedira. Der Nationalspieler hat sich in Turin sehr gut entwickelt, gibt wichtige Impulse, ist nicht mehr nur der Kilometerfresser und Bälleklauer. Auf ihn freue ich mich genauso wie auf die Tatsache, dass die Probleme in den Abwehrreihen die Trainer ja vielleicht dazu verleiten, die Flucht nach vorne anzutreten. Es steht ohne Zweifel auf beiden Seiten tolles Offensivpotenzial auf dem Platz – das der Bayern halte ich allerdings für ein bisschen stärker.

Mein Fazit: Trotz aller Probleme kann sich der FC Bayern gegen Juve für das Viertelfinale qualifizieren. Danach aber gilt, was schon 2015 galt: Pep Guardiolas Team wird mit diesen Problemen in jeder anderen Runde gegen den kompletten FC Barcelona nur geringe Chancen haben. Klingt bitter, ist aber die Wahrheit.