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Calmund exklusiv: Son geht gar nicht

Rainer Calmund schreibt als Kolumnist für Yahoo Sport
Rainer Calmund schreibt als Kolumnist für Yahoo Sport

In seiner aktuellen Kolumne beleuchtet Reiner Calmund das Ende der irren Transferperiode. Zum Wechsel von Kevin De Bruyne, für den sich der VfL Wolfsburg "bis zur Decke gestreckt" hätte, und zum Transfer von Heung Min Son hat er eine ganz klare Meinung.

England gilt als Mutterland des modernen Fußballs und wird dennoch häufig beim Thema Nationalmannschaft belächelt. Seit 1930 die Weltturniere eingeführt wurden, holten die „Three Lions“ nur einen WM-Titel, 1966 im eigenen Land, auch dank des Wembley-Tores, von dem alle Deutschen wissen, dass es irregulär war. Die neue Torlinien-Technik Hawk-Eye lässt grüßen!

Als Deutschland 1990 in Italien Weltmeister wurde, gelangten die Engländer noch einmal ins Halbfinale, schieden jedoch gegen uns im Elfmeterschießen aus. Ansonsten: Entweder gar keine Quali oder überschaubare Erfolge bei den Weltturnieren. Das gleiche Resultat steht auch bei den Europameisterschaften: Entweder nicht qualifiziert oder frühzeitig raus.

Wesentlich erfolgreicher präsentierten sich die englischen Klubs. Manchester United (2x), Liverpool und der FC Chelsea gewannen seit Einführung der UEFA Champions League die begehrte Trophäe. Doch seitdem die „Blues“ das „Finale dahoam“ gegen den FC Bayern glücklich gewannen, gibt es einen Bruch in der Geschichte. In der letzten Saison gelang es  einem englischen Klub nicht einmal, die letzten Acht der Königsklasse zu erreichen. Schwer zu erklären, denn schon 2014/15 kassierte der Tabellenletzte Queens Park Rangers 88 Mio. Euro TV-Geld, das waren 38 Mio. mehr, als der deutsche Meister und Champions League Halbfinalist Bayern München einnahm.

DFL-Boss Christian Seifert versucht die Bundesliga wettbewerbsfähig zu halten. (Bild: SID)
DFL-Boss Christian Seifert versucht die Bundesliga wettbewerbsfähig zu halten. (Bild: SID)

Dieser Hunger nach Erfolg mag ein gewichtiger Grund sein, warum die Vereine der englischen Premiere League aktuell mit Milliarden TV-Geldern immer gieriger den Markt abgrasen. Nicht nur die Spitzenklubs, auch finanzstarke Durchschnittsvereine versuchen internationale Spitzenspieler mit lukrativen Angeboten zu locken, mit dem Ziel, sich irgendwann zumindest für die Euro League zu qualifizieren. Als Kaufmann sage ich: Wir müssen Respekt haben vor diesen Engländern mit dem großen Geldschrank. Aber ganz sicher keine Angst.

Es handelt sich bei dem englischen Geldregen übrigens nicht um den oft zitierten Wahnsinn, dahinter steht eine wirtschaftliche Logik. Man kann schnell erklären woher die Kohle kommt. Während das 82-Millionen-Volk Deutschland sich etwas schwer tut mit dem Bezahlfernsehen, ist diese Art von TV-Genuss für das Vereinigte Königreich (England und Irland mit rund 64 Millionen Menschen) fast schon Kult.

Über vier Millionen Kunden verzeichnet Sky Deutschland, das die exklusiven Erstverwertungsrechte für die Bundesligen hält. Knapp 15 Millionen Untertanen von Queen Elizabeth gönnen sich dagegen ihr Fußball-Vergnügen im Abonnement. Jeder von ihnen zahlt im Schnitt 540 englische Pfund jährlich, so kommen rund 12 Milliarden Euro zusammen, wovon die Klubs der Premier League ab der nächsten Saison mindestens 3,2 Milliarden kassieren. In Deutschland sind es knapp zwei Milliarden. Der Kuchen, der verteilt werden kann, ist also sechsmal so hoch. Hier lebt die Premier League von der 30-jährigen Tradition des Pay-TV auf der Insel, von der Mentalität und Kultur der Fans und der Tatsache, dass ein TV-Abo immer deutlich billiger ist als ein Stadionbesuch. Die Klubs der Premier League verlangen teils horrende Preise, Fans beklagen seit langem einen Niedergang der Kultur in den englischen Stadien.

Dennoch spielt die Identifikation mit dem Klub eine große Rolle. Der Engländer fährt eher im Trikot „seines“ Klubs in den Urlaub als im Designer-Hemd. Das weltweite Marketing und der Handel spült seit vielen Jahren eine große Summe zusätzlich in die Kassen der Vereine. Die Bundesliga ist in all diesen Bereichen – das muss man so sagen – erst richtig aufgewacht, als sie sich unter dem Dach der Deutschen Fußball-Liga (DFL) organisierte.

Draxler für De Bruyne? Ein guter Deal. (Bild: dpa)
Draxler für De Bruyne? Ein guter Deal. (Bild: dpa)

So wie in der DFL die Geschäftsführer Wilfried Straub und in den letzten Jahren vor allem Christian Seifert für kontinuierlich Entwicklung stehen, ist dies im Pay-TV Carsten Schmidt. In Zeiten, als sich der Kirch-Konzern, Premiere und Arena als Anbieter abwechselten und es mehr Vorstands-Vorsitzende gab als der 1. FC Nürnberg Trainer hatte, stagnierte die Entwicklung, die Schmidt dann mit Sky in Gang brachte. Kompetent und leidenschaftlich kämpfte er für den Erfolg und er sorgte für die nötige Kontinuität. Als ehemaliger Sportchef ist er nun CEO bei Sky – der neue Vorstands-Boss hat die Erfahrung und den richtigen Blick für Fußball im Pay-TV.

Dennoch kann auch er nicht verhindern, dass die Engländer aktuell den Markt beherrschen. Über 200 Millionen Euro flossen an Ablöse von der Premier League in unsere Liga – richtig vermissen werde ich allerdings nur Kevin De Bruyne aufgrund seiner fußballerischen Fähigkeiten und Bastian Schweinsteiger als Typ, Führungs- und Identifikationsfigur einer ganzen Profi-Generation. Wenn die De-Bruyne-Millionen es dem VfL Wolfsburg erlauben, sich Julian Draxler zu kaufen, dann halte ich das für eine positive Folgeerscheinung. Der Junge stagnierte bei den Königsblauen seit langer Zeit. Vielleicht erfährt er nun unter Allofs und Hecking einen neuen Schub.

Zurück zu den Engländern: Auf den zweiten Blick kann man das Engagement der englischen Klubs unterschiedlich bewerten. Die Kohle, die nach Deutschland fließt, kann tatsächlich für eine Schieflage in unserem Profifußball sorgen. Wenn über Nacht plötzlich der warme Geldregen von der Insel in Städten wie Augsburg (25 Millionen für Baba), Hoffenheim (41 Millionen für Firminho) oder Leverkusen (30 Millionen für Son) heftig niederprasselt und diese Klubs die Kohle ordentlich reinvestieren, wird der Vorsprung vor Vereinen wie Frankfurt, Hannover, Bremen oder Köln, die gerade kein Schmuckstück in der Auslage liegen haben, plötzlich unnatürlich groß.

Es gibt bei dieser Betrachtung allerdings auch eine Chance für die Bundesligaklubs aus dem Mittelfeld. Wenn unsere Vereine die erstklassige Nachwuchsarbeit und das sehr gute Scouting noch weiter perfektionieren, können auch die im Moment nicht begünstigten Klubs die Engländer irgendwann melken und damit die eigene Finanzsituation verbessern, zumal auch junger und guter Durchschnitt teuer gekauft wird.

Der VfL hat sich bei De Bruyne bis zur Decke gestreckt. Ohne Erfolg. (Bild: SID)
Der VfL hat sich bei De Bruyne bis zur Decke gestreckt. Ohne Erfolg. (Bild: SID)

Nehmen wir zwei Beispiele, zunächst den VfL Wolfsburg. Der VW-Werksklub spielt nach 2009, als man überraschend Meister wurde, erst zum zweiten Mal in der Champions League. Für den VW Konzern, weltweit die Nr. 1 auf dem Automobil-Sektor, ist sein Fußballklub - bei allen Emotionen - auch eine erstklassige Werbe-Lokomotive. Die Champions League wird weltweit übertragen, da passt eigentlich und logisch ein exklusiver „Prototyp“ wie Kevin De Bruyne mit dem VW-Logo auf der Brust perfekt ins Team. Deswegen hätte der VfL Wolfsburg in Abstimmung mit seinem Konzern sicher auch gerne auf die enorm hohe Transfersumme verzichtet. Und mit Blick auf den weltweiten milliardenschweren Werbe-Etat von VW hätte man das auch gut verkraften können. Doch den VW-Bossen entging nicht, dass der Spieler den Verlockungen des englischen Scheichs-Klubs nicht widerstehen konnte. Stephan Grühsem, der Kommunikations-Chef des VW Konzerns und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des VfL sagte mir: „Wir hätten Kevin gerne als Top-Fußballer und Werbe-Lokomotive gehalten. Wir hätten dabei auf die Transfersumme verzichtet und uns in der Gehaltsfrage bis zur Decke gestreckt. Aber zum Schluss war das Geld entscheidend. Und da machen wir dem Spieler überhaupt keinen Vorwurf."

Natürlich wird in solch einem Fall immer an den Charakter des Spielers appelliert. Aber da sage ich: Wer De Bruyne kritisiert, der soll sich mal schnell vor den Spiegel stellen. In sechs Jahren rund 50 Millionen mehr kassieren, das ist beileibe kein Pappenstiel. Jeder sollte ernsthaft prüfen, wie er sich verhalten hätte.

Die Umstände des Wechsels von Heung Min Son gehen gar nicht. (Bild: dpa)
Die Umstände des Wechsels von Heung Min Son gehen gar nicht. (Bild: dpa)

Nun zum zweiten Beispiel, zu Heung Min Son von Bayer Leverkusen. Ich habe absolut Verständnis dafür, wenn man für richtig viel Kohle aus Leverkusen in die Weltstadt London wechseln möchte. Tottenham spielt zwar nur Europa League, ist aber ein toller Traditionsklub. So weit, so gut.

Dass der Junge und sein Umfeld aber dermaßen vom Geld verblendet waren, dass sie kurz vor dem Spiel gegen Lazio Rom um Urlaub baten, um in London zu verhandeln – das geht gar nicht. Dennoch steht für mich fest. Dieser Transfer ist für Bayer 04 goldrichtig. Son ist ein guter Spieler mit einer ordentlichen Tor- und Leistungsbilanz. Aber er ist beileibe kein Weltklassespieler und wird dies auch vermutlich nicht mehr. Wenn du für diese Kategorie rund 30 Millionen Euro geboten bekommst – dann kann es nur heißen: Abflug in der First Class nach London, Schampus kalt stellen und Auf Wiedersehen.

Auch die Bayer 04-Weltstars wie Emerson, Ballack, Lucio, Berbatov, Zé Roberto etc. brachten richtig viel Kohle. Aber nicht annähernd so viel wie Son. Berücksichtigt man Leverkusens Trikot-Vertrag mit dem koreanischen Weltunternehmen LG, der in erster Linie wegen Son zu Stande kam, dann muss man das Thema Son insgesamt sehr positiv bewerten.