Calmund exklusiv: Der deutsche Kader braucht mehr Abwechslung!

Von Reiner Calmund

Reiner Calmund schreibt exklusiv als Kolumnist für Yahoo Sport Deutschland!

Liebe Yahoo-Freunde,

für eine Europameisterschaft, an der 24 Nationalteams – und damit fast die Hälfte aller Kontinentalverbände teilnehmen dürfen, man als Weltmeister mit Polen, Schottland, Irland, Georgien und Gibraltar in einer Gruppe spielt und dann vor dem letzten Spiel das Ticket noch nicht in der Tasche hat  – das ist eine satte Überraschung. Und beileibe keine schöne!

Wer nach den überzeugenden Auftritten gegen Polen und Schottland im September gedacht hatte, unsere Nationalelf hätte die WM-Müdigkeit endgültig abgelegt, der wurde in Dublin schmerzhaft eines Besseren belehrt. Träge, uninspiriert und ohne erkennbare Idee gegen die massiv verteidigenden Iren spulte man 90 bittere Minuten hinunter – man konnte am TV-Schirm beobachten, wie es Minute für Minute langsamer und flacher wurde. Ballbesitz schön und gut – aber man sollte eben wissen, wohin damit. 

Ein Punkt fehlt zur Quali

Ein Punkt muss also noch her. Mal sehen, wie das Nervenkostüm der Filigrantechniker Özil, Gündogan, Reus oder Kroos gestrickt ist, wenn es am Sonntag in Leipzig gegen Georgien plötzlich um alles geht. Georgien - eigentlich ein Gegner, gegen den Deutschland nicht verlieren kann. Aber: Das dachte man vor dem Spiel am Donnerstag von den Iren ebenso, denen man erstmals seit 59 Jahren (damals übrigens auch als Weltmeister) unterlag.

Diese seltsame EM-Qualifikation hat Jogi Löw deutliche Fingerzeige darauf gegeben, auf wen er sich einerseits verlassen kann und woran es andererseits fehlt in seinem Luxuskader. Als alter Sack darf ich ja ruhig mal ein bisschen konservativ denken: Ich bin davon überzeugt, dass ein Stoßstürmer der deutschen Mannschaft ab und an gut tun würde. So wie Miroslav Klose bei der WM als Ergänzungsspieler helfen konnte, kann dies vielleicht ein Mario Gomez heute auch noch. Das System von Jogi Löw, ohne Stoßstürmer erfolgreich zu sein, hat sich ja weitgehend bewährt. Dennoch sollte er eine Alternative im Ärmel haben, wenn es vorne nicht läuft. Die irischen Brocken hatten unsere Offensivspieler teilweise beim Einatmen quer unter der Nase hängen. Sorry, aber so ist das zu wenig. Vor allen Dingen, wenn aufgrund der Vollversammlung im Strafraum unser gefährlichster Angreifer, Thomas Müller, pausenlos im Rückraum steht und seinen Instinkt gar nicht ausspielen kann. 

Kontrollierter Käse des Weltmeisters

Was der Weltmeister gespielt hat, habe ich früher gerne „kontrollierten Käse“ genannt. Da läuft das Bällchen von links nach rechts und wieder zurück und von Kroos zu Gündogan zu Müller zu Boateng und von dem zu Neuer und es geht von vorne los. Zielstrebigkeit? Null! Tempo? Nein! Flexibilität? Wie eine Eisenbahnschiene! 

Mein Herz schlägt schwarz-rot-gold, da mache ich keinen Hehl draus. Deshalb bin auch von der Qualifikation überzeugt. Das eine Pünktchen gegen Georgien werden wir schon holen. Aber danach sollte der Bundestrainer alles auf den Tisch legen, die Weltmeisterschaft endgültig für beendet erklären und den Kader ein bisschen durchschütteln. Mario Gomez habe ich erwähnt, ihm würde ich nach seinen Toren in der Türkei eine Chance geben, er ist mittlerweile so weit, dass er die Rolle des Ergänzungsspielers annimmt. Wie sehr habe ich mir in Irland einen Joker gewünscht. 

Jogi, lass die Youngster mal schnuppern!

Talente wie Tah, Kimmich, Brandt, Goretzka, Weigl, Selke, Didavi, Ginczek oder Sané sollte man wenigstens mal schnuppern lassen. Sie sind längst nicht fertig. Aber warum sollen plötzlich nach der Generation Poldi/Schweini und später Götze/Müller/Kroos keine jungen Spieler mehr nachdrängen? Müller und Kroos debütierten 2010 im März in der Nationalelf, Müller war vier Monate später WM-Torschützenkönig.

Löw hat versprochen, die nächste Abstellungsphase zum Testen zu nutzen. Es geht ja nicht darum, auf Teufel komm raus Neue zu bringen. Aber den Etablierten mal zu zeigen, dass da noch andere sind, die nachdrängen, wäre sicherlich kein falsches Signal.

Aber jetzt drücke ich erst einmal die Daumen für Sonntag, für das Spiel in Leipzig. Wie gesagt, ich bin sicher, es wird reichen. Aber ebenso sicher bin ich, dass der deutsche Kader ein bisschen Abwechslung braucht. Oder aber die, die aktuell spielen, eine andere Einstellung.