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Calmund exklusiv: Die DFB-Elf ist der logische Verlierer

Von Reiner Calmund

Reiner Calmund schreibt exklusiv als Kolumnist für Yahoo Sport Deutschland!

Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass sich viele französische Fans am Donnerstag Abend im Siegesrausch auch ein bisschen erschrocken haben. Und der eine oder andere von ihnen wird sich gedacht haben: "Huch, wir haben ja gewonnen wie früher die Deutschen..."

Frankreich im Spiel selbst ohne die ganz großen Ideen, dafür aber gnadenlos effektiv - eben so wie früher die deutsche Mannschaft, die beispielsweise 1982 in Sevilla und 1986 in Guadalajara jeweils gegen die fußballerisch besseren Franzosen gewann. Dank einer stabilen Defensive, dank starker Konter, dank überlegener körperlicher Präsenz, zogen die Gastgeber verdient ins EM-Finale ein. Und dank einer perfekten Co-Produktion von Torwart Hugo Lloris und Stürmer Antoine Griezmann gewannen sie 2:0. Der eine hielt hinten dicht, der andere netzte vorne ein.

Spielerisch war der Auftritt der deutschen Elf aller Ehren wert. Über 60 Prozent Spielanteile verbuchte man, hinten ließ man nicht allzuviel zu. Und trotzdem ging die Löw-Elf als logischer Verlierer vom Platz. In der KO-Runde muss du Tore machen, im Viertel- und Halbfinale - insgesamt 210 Spielminuten - haben wir nur einen mickrigen Treffer erzielt. Das DFB-Team war im gegnerischen Strafraum einfach nicht gallig genug, nicht nur gegen die Franzosen übrigens, aber da schmerzte es besonders, weil wir jetzt heim fahren müssen.

Thomas Müller bleibt torlos
Sechs Spiele hintereinander ohne ein Tor von Thomas Müller - das wird es während der gesamten Karriere meines aktuellen Lieblingsfußballers wohl noch nie gegeben haben. Aber es allein an ihm festzumachen, wäre unfair. Bezeichnend für den aktuellen  Zustand der deutschen Offensive ist, dass Müller keine Pause gegönnt werden konnte. Dass plötzlich Holland in Not war, als Mario Gomez nach seinem gelungenen Comeback ausfiel - ein Spieler der längst abgeschrieben war, dessen Position es eigentlich gar nicht mehr gab.

Hummels sagt: Mario Gomez hat am meisten gefehlt...
Hummels sagt: Mario Gomez hat am meisten gefehlt...

Bis auf Julian Draxler kam zu wenig von den anderen international erfahrenen Offensivspielern. Mario Götze? Ein Schatten seiner selbst. Mesut Özil? Wann war er mal im Strafraum, ausser beim Tor gegen Italien? Toni Kroos? Wieder 112 Ballkontakte, aber wo blieben die kernigen Distanzschüsse, für seine tödlichen Pässe fehlten in der Spitze die Anspielstationen.

Deutschland das Land der Torjäger
Das Ausscheiden im Halbfinale hatte eine Menge damit zu tun, dass Deutschland nach dem Verlust von Miroslav Klose ein beweglicher Strafraumstürmer fehlt, der vor der Kiste die Ruhe bewahrt. Schade, denn Deutschland galt immer als Land der Torjäger.

Bei meinem EM-Fazit möchte ich gerade jetzt nach dem Ausscheiden die erstklassige Arbeit von Jogi Löw noch einmal würdigen. Bei den letzten sechs WM- und EM-Turnier erreichte Jogi sechsmal das Halbfinale, einmal als Assistent von Jürgen Klinsmann und fünfmal als Cheftrainer. Der amtierende Weltmeister-Trainer schrieb damit eine außerordentlich erfolgreiche Fußball-Geschichte. Ich fand es gut, dass der Bundestrainer aufgrund der vielen Verletzten nie gejammert und nach Entschuldigungen gesucht hat. Trotzdem waren die Ausfälle des torgefährlichen Tempo-Dribblers Marco Reus, des Mittelfeld Strategen Ilkay Gündogan und in der Schlussphase die unserer Weltklasse-Innenverteidigung Boateng und Hummels nicht zu kompensieren. Jogi ist ein Top-Trainer, aber kein Zauberer.

Confed Cup 2017 als nächstes Ziel
Die nächste Aufgabe wartet schon mit dem Confed-Cup im kommenden Jahr. Löw sollte jetzt ein paar Wochen Urlaub machen und dann die Sache energisch angehen. Es gibt erneut sehr gute Perspektiven, die Verletzten kehren zurück und sehr gute junge hoffnungsvolle Talente rücken nach

St. Denis sieht also am Sonntag das Finale zwischen Frankreich und Portugal. Es ist auch das Duell der absoluten Topstars Antoine Griezmann und Cristiano Ronaldo. Und damit auch wieder das Duell Real gegen Atletico. Ich bin fast sicher, der Sieger wird zum besten Spieler des Turniers gekrönt und auch die Wahl zum Weltfußballer des Jahres gewinnen. Ich werde mir das Spiel am Sonntag ganz entspannt anschauen, ohne Nervosität, ohne Herzklopfen. Mein Favorit heißt Frankreich. Ich würde den EM-Titel und ein paar schöne Stunden unseren Nachbarn gönnen, zumal die Franzosen in der Vergangenheit schwere Tage verkraften mussten.