Calmund exklusiv: Die DFB-Offensive läuft ihrer Form hinterher!

Von Reiner Calmund

Reiner Calmund schreibt exklusiv als Kolumnist für Yahoo Sport Deutschland!

180 Minuten Europameisterschaft und kein Tor unserer Offensivspieler. Ein Treffer durch Abwehrspieler Shkodran Mustafi nach einem Freistoß, einer nach einem Konter durch Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger – dies war die Ausbeute beim 2:0 gegen die Ukraine. Und das 0:0 gegen Polen war zwar durchaus spannend. Doch ein fußballerischer Leckerbissen in der Offensive waren diese 90 Minuten nun wirklich nicht. Eher ein typisches zweites Spiel bei einem großen Turnier – selten hat die Nationalmannschaft da überzeugt.

Trotzdem: Julian Draxler, Mesut Özil, Mario Götze, Thomas Müller, André Schürrle, Mario Gomez – das sind alles große Namen. Aber der Ertrag dieser geballten Offensivpower ist gering. Und wir sprechen hier nicht vom Pech. Gegen Polen hielt es sich mit den Torchancen erneut in Grenzen, die Partie hatte zwar Power und Pep, aber sicherlich nicht wegen unseren Torraumszenen im polnischen Strafraum.

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Alles in allem krankt es im Offensivspiel des Weltmeisters. Es fehlt an Tempo im Umschaltspiel, die Kombinationsmaschine scheint völlig ungeölt, Top-Spieler wie Özil, Götze oder Müller lassen ihre individuelle Klasse weitgehend im Dunkeln. Auch gegen die Polen gab es Szenen, in denen zu langsam umgeschaltet wurde, das waren die Momente, in denen ich an 2010 dachte, als wir bei der WM in Südafrika England und Argentinien dank perfektem Konterspiel auseinandernahmen. Ich weiß selbst, dass dies heute schwerer ist, weil die meisten Gegner sich gegen den Weltmeister hinten reinstellen und ihrerseits auf Konter warten. Aber es gibt diese Situationen und es gab sie auch gegen Polen – sie wurden leider mangelhaft ausgespielt.

Lichtblick André Schürrle in einer sonst harmlosen Offensive

Lediglich André Schürrle vermochte ein paar direkte Duelle zu gewinnen. Der Wolfsburger wirkt in der Nationalelf wie befreit. Vielleicht versucht Löw es mit ihm gegen Nordirland. Schürrle suchte in beiden Spielen das direkte Duell und den Abschluss – das war okay. Vor dem dritten Gruppenspiel gegen die Brocken aus Nordirland wird Jogi mehr Effektivität von unseren Topstars Mario Götze, Mesut Özil, Thomas Müller und Julian Draxler einfordern. Die Frage ob mit Stoßstürmer Mario Gomez oder Mario Götze ist dabei für mich momentan zweitrangig. Die gesamte Offensiv-Abteilung läuft ihrer Form hinterher, deshalb konnte auch Gomez bei seinem Kurzeinsatz keine Akzente setzen.

Nach dem Polen-Spiel: So feiert das Internet Boateng

Die deutsche Offensive blieb bisher blass, die Flanken verpufften. Mit Mario Gomez wäre das DFB-Team schwieriger auszurechnen...
Die deutsche Offensive blieb bisher blass, die Flanken verpufften. Mit Mario Gomez wäre das DFB-Team schwieriger auszurechnen...

Fakt ist: Wenn ein Jerome Boateng derart schimpft („Wir haben keine eins-gegen-eins-Duelle gewonnen. Wir haben uns vorne zu wenig bewegt. Wir können froh sein, dass wir unentschieden gespielt haben. Wir müssen uns vorne mehr bewegen, sonst kommen wir nicht sehr weit. Offensiv hat heute viel gefehlt. Dafür haben wir uns in der Defensive sehr gut verhalten. Mats hat ein sehr gutes Spiel gemacht.“), dann weiß jeder, was die Stunde geschlagen hat. Thomas Müller hat bei den vergangenen zwei Weltmeisterschaften 10 Tore erzielt. Aber noch keines bei einer EURO. Junge, du hast Nachholbedarf! Das gilt für die anderen Angreifer genauso.

Innenverteidigung? Europameisterlich!

Wenige Probleme hatten wir im Defensivspiel. Die Innenverteidigung stand wie eine Eins. Jerome Boateng bestätigt mit jedem Spiel seine Ausnahmestellung, er ist für mich der beste Innenverteidiger der Welt. Und Mats Hummels bewies, dass Löw ihn zu Recht in die Startelf holte. Er ist stärker als Mustafi, in jeder Beziehung. Dieses Duo präsentiert sich in Frankreich als schier unüberwindbares Bollwerk, die beiden Außenverteidiger machen ihre Sache defensiv gut, leiden mitunter unter der mangelnden Unterstützung der Sechser und der offensiven Flügelspieler. Doch grundsätzlich lässt sich sagen, dass Höwedes und Hector ihre Seiten im Griff hatten.

Das läuft beim deutschen Offensiv-Konzept falsch

Auf dem Weg nach vorne tun sich beide schwerer. Dies ist allerdings keine neue Erkenntnis. Und das insgesamt schwerfällige Offensivspiel an den Außenverteidigern festzumachen, wäre unfair. Die sollen sich zunächst um ihr Kerngeschäft in der Defensive kümmern und dann den Weg nach vorne finden.

Über Nordirland ins Achtelfinale!

Vielmehr gilt es zu überlegen, was man grundsätzlich ändern kann. Wählt man die Variante mit Götze als Sturmspitze, dann muss das Kombinationsspiel fluppen. Und zwar reibungslos. Dann kann man schwerfällige Innenverteidiger vorführen, indem man sie am Boden schwindlig spielt. Eines sollte man vermeiden: Hohe Bälle in den Strafraum. Genau dies passierte allerdings am Donnerstag. Und wurde schlagartig als spielerisches Mittel wieder eingestellt als Mario Gomez kam – exakt der Spieler, der hohe Bälle braucht wie die Luft zum Atmen. Falsches Spiel um die Neun!

Gegen Nordirland sollte es dennoch reichen. Deren Sieg gegen die Ukraine muss Warnung genug sein, diese Ansammlung von zweitklassig spielenden Profis ernst zu nehmen und sturmreif zu schießen, in Zweikämpfe zu zwingen, am Boden in Verlegenheit zu bringen. Das Potential ist da, im Übermaß. Jetzt muss nur die richtige Einstellung dazu umgesetzt werden.

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