Werbung

Calmund exklusiv: Müller und Özil müssen jetzt liefern

Reiner Calmund schreibt exklusiv als Kolumnist für Yahoo Sport Deutschland!

Nach dem 3:0 gegen die Slowakei ist sich Yahoo-Sport-Experte Reiner Calmund sicher: Jetzt ist die DFB-Elf der Topfavorit auf den Titel. Aber Calli hat in seiner Analyse auf was zu Meckern.

Von Reiner Calmund

Ich gebe zu: als die Euro startete, habe ich mir gedacht: „Endlich. Jetzt geht’s los.“ Als die etwas zähe Gruppenphase vorbei war, habe ich gesagt: „Jetzt geht’s aber richtig los.“ Nach dem souveränen 3:0-Sieg gegen die Slowakei habe ich bei mir gedacht: „Gottseidank geht es jetzt wirklich richtig los.“

Klingt blöd, ist aber wahr. Dieses Turnier hat einen Anlauf genommen, dass dem einen oder anderen schon fast die Puste ausgegangen ist. Aber jetzt? Jetzt nimmt es Schwung auf. Und wie.

Die deutsche Mannschaft gilt nach dem 3:0 vom Sonntag als einer der Top-Favoriten auf den Titel. Aber um diesem Ruf gerecht zu werden, muss sie im Viertelfinale Spanien oder Italien schlagen. Gegen die Italiener haben wir noch nie ein Turnierspiel gewonnen, bei der letzten EM 2012 gab es für uns im Halbfinale eine empfindliche 1:2-Schlappe. Gegen Titelverteidiger Spanien zogen wir 2008 im Finale der Euro und 2010 im Halbfinale der WM den Kürzeren. Deutschland, Italien, Spanien – von drei Top-Favoriten wird nur einer im Halbfinale stehen.

Joker im Ärmel

Aktuell sehe ich unsere Chancen gegen die beiden Top-Teams größer als in den letzten Wettbewerben. Nach vier Turnierspielen hat die Löw-Truppe immer noch kein Tor kassiert. Dazu gehört Glück, aber auch Können. Das Abwehr-Trio Manuel Neuer, Jerome Boateng und Mats Hummels ist erste Sahne und von keinem EM-Konkurrenten zu toppen. Auch das deutsche Offensivspiel ist wesentlich besser und effektiver geworden. Löws Maßnahme, Gomez als Stoßstürmer zu bringen, war goldrichtig. Dass der Bundestrainer den Jungstars Julian Draxler und Joshua Kimmich das Vertrauen schenkte, bewährte sich ebenso. Wenn im Viertelfinale Mesut Özil und Thomas Müller ihr großes Potenzial endlich abrufen, ist Deutschland nur ganz schwer zu schlagen, zumal Jogi Löw noch einige hochkarätige Joker im Ärmel hat.

Ein anderes Thema brennt mir auf der Seele, als Fan. Es ist der Modus, der mir mächtig auf den Senkel geht. Erstmals wurde mit 24 Teams gespielt, es war also klar, dass keine gerade Zahl für das Achtelfinale herauskommen konnte. Also kramten die Verantwortlichen der UEFA die Regelung mit den „besten Gruppendritten“ aus der Mottenkiste. Ein Verfahren, dass schon häufiger angewandt wurde, aber noch nie wirklich funktionierte. Und deshalb sowohl von der FIFA bei Weltmeisterschaften als auch von der UEFA in der Champions League schleunigst wieder abgeschafft wurde.

Die Gegner des aufgestockten Teilnehmerfeldes klagten weniger über diese Regelung als vielmehr über die zusätzliche Belastung für die Top-Spieler, über verwässerte Qualität und fehlende Regeneration. Die Befürworter führen an, dass der große Fußball mit mehr Teilnehmern in viel mehr Ländern Europas einen zusätzlichen Schub erhalten wird, dass auch kleinere Nationen die Berechtigung haben, an großen Ereignissen teilzunehmen und der populärste Sport der Welt neue Märkte erschließen kann.

Ich kann die Argumente beider Seiten verstehen. Und ich weiß auch, dass sich das Rad nicht mehr zurück drehen lässt. Deshalb mein Vorschlag: Lasst 32 Teams antreten, bei diesem Modus müssen auch die Topstars kein Spiel mehr austragen. Zusätzlich hätten wir noch mehr Euphorie in Europa, die Holländer wären ziemlich sicher auch dabei und es würden nur zwei oder drei Spieltage mehr gebraucht. Fakt ist, dass dann die acht Ersten über Kreuz gegen die acht Zweiten spielen könnten, somit entfiele das diffuse und unwürdige Theater mit den Gruppendritten und die besten Teams träfen sich frühestens im Viertel- bzw. Halbfinale.

Außenseiter im Finale

Glaubt jemand, die Albaner hätten sich gefreut, drei Tage warten zu dürfen, ehe sie endlich erfuhren, dass sie  endgültig raus fliegen? Hat man an die Fans gedacht, als dieser Blödsinn ersonnen wurde? Und es darf nicht passieren, dass die Türkei fünf Minuten vor Schluss der Gruppenphase im Sessel vor dem Fernseher erfährt, dass sie nach Hause fahren muss. Diese Regelung kann sich kein guter Fußball-Macher ausdenken, das hat ein Mathematiker entwickelt. 

Eines haben die mitunter seltsamen Vorrunden-Ergebnisse auf jeden Fall bewirkt: Ein Außenseiter, der noch nie eine Europa- oder Weltmeisterschaft gewonnen hat, wird diesmal im EM-Finale stehen. Von den großen Favoriten Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und England kann nur einer das Finale erreichen. Diese großen Fußball-Nationen haben neun der insgesamt 14 Europameisterschaften gewonnen.

Auf der anderen Seite duellieren sich die kleineren Länder: Polen, Portugal, Wales und Belgien. Keine dieser Nationen gewann jemals eine Europa- oder Weltmeisterschaft. Aufgrund des Spielplans ist jedoch klar: Eine dieser Nationalmannschaften wird am 10. Juli im Endspiel stehen.