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Cem Özdemir versucht Neustart für mehr Tierwohl

Berlin (dpa) - Bundesagrarminister Cem Özdemir hat mehr Wertschätzung für Lebensmittel eingefordert und will dafür auch einem ständigen harten Preiskampf zulasten der Bauern ein Ende machen.

«Es ist nicht in Ordnung und es ist vor allem auch nicht alternativlos, wenn die Landwirtin und der Landwirt von dem Euro, den der Kunde im Laden für das Schweinefleisch ausgibt, gerade mal 22 Cent bekommt», sagte der Grünen-Politiker am Freitag im Bundestag. Das sei «einfach eine Sauerei» und müsse geändert werden. Die Opposition kritisierte den neuen Ressortchef als «Ankündigungsminister». Bauern mahnten zügige Klarheit über konkrete Vorhaben der Ampel-Koalition an.

«Ein ausbeuterisches System»

Özdemir präsentierte im Parlament eine kleine Regierungserklärung wie seine Kabinettskollegen in dieser Woche auch. Dabei wurde deutlich, dass es auf dem heiß umkämpften Feld der Landwirtschaft auch um einen weitreichenden Neustart gehen soll - zumal nach 16 Jahren mit Ministern und Ministerinnen der Union. Er sei nicht bereit, «ein ausbeuterisches System» weiter hinzunehmen, das auf Kosten von Menschen, Tieren, Umwelt und Klima gehe, stellte der Neue fest.

Özdemir machte aber auch gleich dazu klar, dass er die Bauern bei einem großen Umbau hin zu einer schonenderen Produktion einbeziehen und unterstützen will. Gleich zu Beginn seine Rede wies er denn auch auf die harte Arbeit und die wirtschaftlichen Sorgen vieler Betriebe hin, die oft «Anfeindungen statt Anerkennung» ernteten. «Wir müssen weiterkommen. Und dazu wäre es gut, wenn wir die Aufregungsökonomie einfach mal hinter uns lassen», mahnte der Minister alle Seiten.

Eine Tierhaltungskennzeichnung soll kommen

Dabei sind die Vorhaben von SPD, FDP und Grünen nicht unumstritten. Özdemir bekam das in seinen ersten Ministertagen schon an scharfen Reaktionen zu spüren, als er zum Jahreswechsel das Reizthema Billigpreise aufgriff. Es gehe darum, «dass alle hochwertige und bezahlbare Lebensmittel bekommen», betonte er nun noch einmal.

Konkret will die neue Koalition noch in diesem Jahr eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung an den Start bringen. Die Umsetzung könnte nicht ganz leicht werden, zwei Anläufe scheiterten schon. Zuletzt wollte Ministerin Julia Klöckner (CDU) ein freiwilliges Tierwohl-Logo mit Kriterien über dem gesetzlichen Standard in die Regale bringen - und erklärte wiederholt, verbindlich gehe das nur EU-weit. Außerdem gibt es schon eine eigene Fleischkennzeichnung der großen Supermarktketten. Das Logo mit der Aufschrift «Haltungsform» hat vier Stufen, die aber schon mit dem Mindeststandard beginnen.

Özdemir betonte: «Wer Tiere nutzt, hat auch die Pflicht, sie bestmöglich zu schützen.» Die Höfe sollten auf Mehrkosten dafür aber nicht alleine sitzen bleiben. «Wenn es dem Tier besser geht, dann müssen es die Bauern auch im Portemonnaie spüren.» Dazu gelte es, die gesamte Kette der Lebensmittelproduktion zu betrachten - und dann «die Asymmetrien» zu Lasten der Erzeuger endlich zu beenden.

Eine Tierwohlabgabe ist im Gespräch

Wie genau das aussehen soll und was das für die Preise im Supermarkt heißt, blieb vorerst offen. Özdemir hob aber hervor, dass das Rad zum Glück nicht neu erfunden werden müsse - und verwies auf «tolle Ideen» zweier Kommissionen, die noch die alte Regierung eingesetzt hatte. Darin hatten Vertreter von Ernährungsbranche und Bauern, Natur- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft einen Agrarkonsens erreicht. Im Gespräch ist seitdem unter anderem eine Tierwohlabgabe, denkbar wären zum Beispiel 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch.

Die Opposition verwies auf schon steigende Preise und Sorgen, dass die Spirale so weitergehe. Wie hoch solle denn künftig der Preis für ein Schnitzel oder eine Currywurst sein, fragte Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU). Die Koalition sorge da für Verunsicherung.

Der Lebensmittelhandel warnte davor, nur auf die Preise im Supermarkt zu schauen. Ein Großteil der Milch und des Schweinefleisches «Made in Germany» werde exportiert oder gehe in die Gastronomie. Auch davon lebten die Höfe. Bauernpräsident Joachim Rukwied forderte schnelle konkrete Schritte. In dieser Wahlperiode würden für viele Betriebe die Weichen zwischen Ausstieg und Weiterentwicklung gestellt. Die Landwirte seien bereit, den Umbau der Tierhaltung mitzutragen, wichtig sei aber eine praktikable und verlässliche Finanzierung. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten forderte hohe gesetzliche Mindeststandards, die Grundbedürfnisse aller Tiere erfüllten.

Özdemir bot bei allem Streit auch einen politischen Konsens im Bundestag an. Die Themen, die sich die Koalition vorgenommen habe, «die macht man nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent».