Corona-Maßnahmen: Forscher plädieren für Ampelsystem

Die Abstandspflicht ist eine der Maßnahmen, mit denen die Politik das Coronavirus eindämmen will. Sie ist laut einer aktuellen Studie jedoch nicht wirksam genug. Die Forscher empfehlen vielmehr einen Lösungsansatz, den man auch als Ampelsystem kennt.

Abstand ist derzeit wichtig. (Symbolbild: Getty Images)
Abstand ist derzeit wichtig. (Symbolbild: Getty Images)

Die Abstandspflicht ist auch in Deutschland eines der Werkzeuge, mit denen die Politik die Corona-Pandemie eindämmen will. Laut einer aktuellen Studie stößt die Maßnahme allerdings an ihre Grenzen, da sie die unterschiedlichen Faktoren, die das Infektionsrisiko beeinflussen, nicht berücksichtigt. Mit anderen Worten: Sie ist zu undifferenziert. Aus diesem Grund plädieren die Forscher für einen anderen, ihrer Ansicht nach effektiveren Lösungsansatz im Kampf gegen die Pandemie. Dabei handelt es sich im Grunde um ein System, das man auch als Corona-Ampel kennt.

Die Studie wurde von Wissenschaftlern und Ärzten der University of Oxford, des Massachusetts Institute of Technology, Cambridge und des Londoner St. Thomas' Hospital durchgeführt. Darin räumen sie ein, dass Distanzwahrung zwar ein "wichtiger Teil der Maßnahmen" sei, um COVID-19 zu kontrollieren. Andererseits beruhe die Abstandsregel von ein bis zwei Metern auf "veralteten" wissenschaftlichen Erkenntnissen, die aus vorausgegangenen Infektionskrankheiten gewonnen worden seien.

Zwei Meter sind zu kurz

So orientierten sich die Corona-Maßnahmen unter anderem an die "überholte" Erkenntnis, dass es zwei unterschiedlich große Atemtröpfchen gebe. Auch läge ihnen die Überzeugung zugrunde, dass die großen Tröpfchen nach dem Ausatmen ein bis zwei Meter weit fliegen würden, und entsprechend nur die kleinen Tröpfchen, auch bekannt als Aerosole, sich je nach Luftstrom über größere Entfernung ausbreiten könnten.

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Gegen diese Auffassungen führen die Forscher in ihrer Studie, die sie am 25. August auf der Webseite der medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschrift BMJ veröffentlicht haben, die Erkenntnisse aus aktuellen Studien an. Demnach gebe es erstens mehr als zwei Tröpfchen-Größen. Und zweitens seien Faktoren wie Atemluft aber auch der Umgebungsluftstrom "äußerst wichtig", also offenbar wichtiger, als dem die aktuellen Maßnahmen Rechnung tragen, "um zu bestimmen, wie weit Tröpfchen aller Größenordnungen fliegen".

Diese Faktoren sorgten dafür, so die Forscher weiter, dass selbst die größten Tröpfchen sich weiter als zwei Meter ausbreiten können. "Wenn man den ausgeatmeten Luftstrom berücksichtigt, können sich Wolken aus kleinen Tröpfchen über zwei Meter in der Luft bewegen, und selbst große Tröpfchen haben eine größere Reichweite."

Laut neuesten Erkenntnissen fliegen auch größere Atemtröpfchen weiter als zwei Meter. (Symbolbild: Getty Images)
Laut neuesten Erkenntnissen fliegen auch größere Atemtröpfchen weiter als zwei Meter. (Symbolbild: Getty Images)

"Unterschiedliche Risikoniveaus" berücksichtigen

Zu den Risikofaktoren zählen die Forscher jene Aktivitäten und Räumlichkeiten, die eine Ausbreitung der Atemtröpfchen begünstigen. Dazu gehören zum Beispiel das Singen etwa in einem Kirchenchor sowie Sport im Fitnessstudio, wo ebenfalls intensiv ein- und ausgeatmet wird. Auch lautes Reden vergrößert den Flugweg der Atemtröpfchen, weshalb die Forscher Räumlichkeiten mit lauten Umgebungsgeräuschen als riskant einstufen wie Bars und Fabriken. Nicht zuletzt spielten die Umgebungseinflüsse wie die Luftsituation drinnen oder draußen eine Rolle.

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Ausgehend von diesen Erkenntnissen leiten die Forscher eine Empfehlung für eine effektivere Corona-Politik ab. Diese müsste, wie sie schreiben, die "unterschiedlichen Risikoniveaus" berücksichtigen. Das gilt auch für die Distanzpflicht, deren Wirksamkeit die Experten per se nicht abstreiten. Allerdings sollte sich diese Maßnahme eher auf Situationen beschränken, in denen "höchstes" Infektionsrisiko besteht, etwa an Orten mit größeren Menschenansammlungen. Auch sollte der Abstand nicht ein bis zwei, sondern mehr als zwei Meter betragen. In "Szenarien mit geringem Risiko", seien dagegen "weniger strenge Distanzregeln angemessen".

Das Ampelsystem in der Praxis

Damit plädieren die Forscher im Grunde für einen Lösungsansatz, den man mittlerweile unter dem Begriff Corona-Ampel kennt. Es handelt sich um ein System, das die epidemische Lage etwa eines Landes in unterschiedliche Risikostufen einteilt. Dabei entspricht jedem Risikograd eine Signalfarbe. Ist zum Beispiel die Infektionsrate an einem Ort hoch, herrscht entsprechend höchste Alarmstufe. Um im Bild zu bleiben: Die Ampel springt auf Rot. Liegt das Risiko auf dem mittleren Niveau, leuchtet die gelbe Farbe, bei geringem Risiko schaltet die Ampel auf Grün.

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Mit dem Ampelsystem hoffen Politiker, auf die Corona-Lage und -Entwicklung mit differenzierten und gezielten Maßnahmen zu reagieren. Hier und da sind Corona-Ampeln bereits im Betrieb. Berlin setzt seit Mai auf das Warnsystem. Dort "leuchten" insgesamt drei Ampeln, eine für die Zahl der Neuinfektionen, eine für die Reproduktionsrate und eine, die die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten anzeigt. In Österreich soll eine Corona-Ampel am 4. September zum Einsatz kommen. Ab dem heutigen Donnerstag findet Medienberichten zufolge die "Generalprobe" statt. Sie besteht aus vier Farben: Rot für sehr hohes, Orange für hohes, Gelb für mittleres und Grün für geringes Risiko.

Im Video: Corona-Grenze spaltet einen Ort