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Das Dilemma der Bayern und wie Kovac sie da rausholen kann

Seit Jahren hat der FC Bayern München in der Crunchtime der Saison nicht mehr geliefert und schmerzlich erfahren müssen, dass Erfolg kurzfristig nicht planbar ist. Mit Niko Kovac haben sie möglicherweise einen goldenen Griff getan.

Trauriger Abgang: Jupp Heynckes holte “nur” die deutsche Meisterschaft
Trauriger Abgang: Jupp Heynckes holte “nur” die deutsche Meisterschaft

Mats Hummels hatte unmittelbar nach dem verlorenen Pokalfinale so gar keine Lust mehr auf seinen Job. “Ich mache jetzt erstmal fünf Tage lang gar nichts und denke mit Sicherheit nicht an Fußball”, sagte der Bayern-Verteidiger.

So einfach kam Hummels aber nicht davon, schließlich stand am Sonntag noch der obligatorische Gang hinauf zum Münchner Rathausbalkon an. “Ach ja, das müssen wir dann schon noch erledigen”, so Hummels. Wahrer Enthusiasmus, Geilheit auf eine Party mit den Fans sieht anders aus.

Das galt nicht nur für Hummels, sondern für den überwiegenden Teil der Bayern-Belegschaft. Der Empfang im Rathaus und das Winke-Winke in die Fan-Menge wurde von den Münchnern in diesem Jahr als fast schon lästige Pflicht empfunden. Die Stimmung war nach den Negativerlebnissen gegen Real Madrid und Eintracht Frankfurt entsprechend gedämpft.

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Am Ende eine ganz bittere Saison

Mitte April, nach dem überragenden 6:2 im Pokalhalbfinale in Leverkusen, schwebte der Verein auf einer riesigen Euphoriewelle. Das Triple schien greifbar nah und damit eine perfekte Saison.

Doch erneut hat die Mannschaft in den entscheidenden Wochen nicht die nötigen PS auf die Straße gebracht. Nach dem unglücklichen Aus in der Champions League waren die Spieler nicht in der Lage, Motivation und Konzentration für das Pokalfinale noch einmal hochzufahren.

“Am Ende ist es eine ganz bittere Saison für uns”, konstatierte Joshua Kimmich und Hummels fügte an, dass “wir mit Sicherheit einen Titel zu wenig geholt haben.”

Bayerns Dilemma: Die Saison dauert nur vier bis sechs Wochen

Am Ende ist auch Heilsbringer Jupp Heynckes Opfer des Dilemmas geworden, in dem sich die Bayern seit Jahren befinden. Die Saison dauert für den Abonnementmeister nämlich gefühlt nur vier bis maximal sechs Wochen. Aufgrund ihrer nationalen Überlegenheit wird die Meisterschaft quasi schon im Winter eingetütet; ein echtes Rennen um die Schale gibt es schon lange nicht mehr. Wirklich interessant wird es für die Bayern erst Anfang/Mitte April, wenn die Crunchtime in den Pokalwettbewerben anbricht. Und in der haben sie seit Jahren nicht geliefert.

Das Problem: Was für die Liga über einen Zeitraum von mehreren Monaten gilt, wird für die entscheidenden Spiele in Champions League und DFB-Pokal obsolet: planbarer Erfolg.

In K.o.-Spielen kommt es mitunter auf Nuancen an. Dass der Ball, wie im Pokalfinale, nicht an die Latte, sondern ins Tor fliegt. Dass der Schiedsrichter, wie in Madrid, den Bayern einen klaren Handelfmeter verweigert. Dass der Schiedsrichter, wie im Pokalfinale, den Bayern einen klaren Foulelfmeter in der Nachspielzeit verweigert. Dass der Torhüter, wie in Madrid, seinen einzigen schweren Fehler der Saison begeht.

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Auch Guardiola und Ancelotti “scheiterten”

Als Pep Guardiola 2013 als Bayern-Trainer anfing, träumten sie in München von einer dominanten Ära in Europa wie in den 70er-Jahren, als der FC Bayern dreimal in Folge den Landesmeistercup gewann. Doch der große Pep scheiterte in der Champions League dreimal hintereinander im Halbfinale.

Sein Nachfolger Carlo Ancelotti wurde sein Nachfolger, weil er beim AC Milan und bei Real Madrid bewiesen hatte, dass er seine Mannschaften perfekt auf die großen Spiele trimmen kann. Ancelottis Bilanz: eine Meisterschaft, ein Pokalhalbfinale, ein Champions-League-Viertelfinale. Anfang Oktober 2017 folgte der Rauswurf, weil Ancelotti die Mannschaft völlig entglitten war.

Von Heynckes erwarteten die Bayern-Bosse keine Heldentaten; der Jupp sollte die Spieler einfach wieder in die Spur bringen. Heynckes erfüllte die Mission und holte mit 21 Punkten Vorsprung die deutsche Meisterschaft. Er geht als Vereinsikone, auch wenn es hinten raus Enttäuschungen gab.

Kovac hat bewiesen: Er kann große Spiele

Nun kommt also Niko Kovac. Es wäre vermessen, vom neuen Trainer die großen Titel einzufordern. Kovac weiß, dass er deutscher Meister werden muss, alles andere ist Zugabe. Aber vielleicht haben die Bayern genau in dieser Hinsicht einen goldenen Griff getan. Kovac hat zweimal in Folge das Pokalfinale mit einer Mannschaft erreicht, die da nicht unbedingt hingehört, von der man das mit Sicherheit nicht erwartet.

Kovac ist es vor allem in dieser Saison gelungen, seine Spieler auf den Punkt zu Höchstleistungen anzustacheln. Als es in Frankfurt infolge seines bekannt gewordenen Wechsels zum FC Bayern heftig rumorte und die Mannschaft in der Bundesliga Federn ließ, gewann die Eintracht das Pokalhalbfinale auf Schalke, ehe sie in Berlin den ersten Titel nach 30 Jahren an den Main holte.

Kovac ist noch nicht lange im Geschäft und doch hat er bereits bewiesen, dass er große Spiele kann. Der Coup gegen die Bayern war am Ende glücklich, aber keineswegs unverdient. Kovac’ Matchplan mit aggressivem Pressing, hoher Laufbereitschaft und riskantem Verschieben in der Defensive ging voll auf.

Davon eine Regelmäßigkeit abzuleiten, wäre Unfug. Die Bayern werden mit Kovac nicht jedes große Spiel gewinnen. Aber sie bekommen einen unverbrauchten Trainer, der aus den Spielern die letzten paar Prozent rauskratzen kann, dies es benötigt, um eben die großen Spiele für sich zu entscheiden.

“Ich habe schon vor dem Pokalfinale gewusst, dass wir einen guten Trainer bekommen”, sagte Hummels. Frankfurts Triumph in Berlin dürfte Kovac’ Standing bei seinen zukünftigen Spielern noch verbessert haben.