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Daum: Darum braucht das Nationalteam eine Trainerin

Christoph Daum hat weiter einen klaren Blick auf die Dinge, die im Fußball so passieren. (Bild: REUTERS/Stevo Vasiljevic)
Christoph Daum hat weiter einen klaren Blick auf die Dinge, die im Fußball so passieren. (Bild: REUTERS/Stevo Vasiljevic)

Christoph Daum wäre einmal fast Bundestrainer geworden. Das war im Herbst 2000. Die Gründe, warum es dann nicht geklappt hat, sind bekannt.

Der heute 67-Jährige hat das längst verarbeitet und hat weiter einen klaren Blick auf die Dinge, die im Fußball so passieren. Daum gehörte einst zu den schillerndsten Figuren der Bundesliga. Seine Meinung ist immer noch gefragt.

Nach Löw-Rückzug: Daum sieht große Probleme bei DFB-Team

Das ist auch ein Grund, um mit ihm im SPORT1-Interview über den angekündigten Rücktritt von Bundestrainer Joachim Löw und die Nachfolge-Regelung zu sprechen.

SPORT1: Herr Daum, wer ist Ihr Favorit auf die Nachfolge von Joachim Löw?

Christoph Daum: Zuerst gilt mein besonderer Dank Joachim Löw für seine erfolgreiche Arbeit, und dass er dem Ansehen des deutschen Fußballs weltweite Anerkennung verschafft hat. In der Nachfolgediskussion ist für mich in erster Linie entscheidend, welches Anforderungsprofil Fritz Keller (DFB-Präsident, Anm. d. Red.) und Oliver Bierhoff (DFB-Direktor, Anm. d. Red.) erstellen. Bekanntheit und Beliebtheit des neuen Bundestrainers müssen mit Fachkompetenz, Kommunikations-, Koordinations- sowie Entscheidungs- und Erfahrungskompetenz in Einklang gebracht werden.

Daum wünscht sich Trainerin im Team der Nationalmannschaft

SPORT1: Ist es eine Chance für einen kompletten Neustart?

Daum: Der deutsche Fußball steht in vielen Bereichen vor einer Neuausrichtung, bei der der neue Cheftrainer eine wichtige Rolle spielt. Meiner Meinung nach sollte ein neuer Trainer mindestens für die Zeit bis zur Europameisterschaft 2024 oder sogar bis 2026 verpflichtet werden. Geeignete Kandidaten wären Jürgen Klopp, Ralf Rangnick, Hansi Flick oder Stefan Kuntz - und im Trainerteam würde ich gerne eine Trainerin sehen.

SPORT1: Warum explizit eine Frau?

Daum: Trainerinnen verfügen neben der fachlichen Qualifikation über ein hohes Maß an Kreativität, Intuition und emotionaler Intelligenz. Trainer arbeiten selbstverständlich erfolgreich im Frauenfußball, das sollte genauso für Frauen im Männerbereich möglich sein. Gerade der DFB könnte ein deutliches Signal senden.

Daum: Klopp "wird die Reds wieder an die Spitze führen"

SPORT1: Jürgen Klopp hat schon abgesagt, er ist aber der Wunschkandidat vieler. Glauben Sie, dass er es doch werden kann?

Daum: Nein, das glaube ich nicht. Erstens hat Jürgen eine gültigen Vertrag bis 2024 in Liverpool und genießt das volle Vertrauen der Vereinsführung und der Fans, unabhängig von den aktuellen sportlichen Problemen. Klopp hat das Projekt Liverpool noch lange nicht beendet und wird die Reds wieder an die Spitze führen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann ich mir Jürgen Klopp sehr gut als Nationaltrainer vorstellen.

SPORT1: Sie wären damals fast Bundestrainer geworden. Wie lief das mit dem DFB in den Vorgesprächen ab?

Daum: Es gab Vorgespräche mit den Entscheidungsträgern in der DFB-Spitze und Mitarbeitern der Nationalmannschaft. In diesen Gesprächen wurde eine Art Leitfaden besprochen, wie der deutsche Fußball reformiert werden sollte. Es ging von der Trainerausbildung über die Nachwuchsarbeit bis hin zur Neugestaltung des Umfeldes der Nationalmannschaft. Ebenfalls spielte das neue Einbürgerungsgesetz hinsichtlich der Nominierung der Nationalspieler eine wichtige Rolle.

SPORT1: Mit wem haben Sie damals gesprochen und wie haben Sie sich in den Verhandlungen gefühlt?

Daum: In erster Linie mit dem damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder, aber auch Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach, Bernd Pfaff und Franz Beckenbauer waren in die Gespräche eingebunden. Zusätzlich haben sich Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und weitere Vertreter der Bundesliga-Taskforce an den Verhandlungen beteiligt. Es waren meist sehr konstruktive Verhandlungen und Gespräche, da der deutsche Fußball einen Tiefpunkt erreicht hatte und viele sich für einen Neustart mit mir als Cheftrainer eingesetzt hatten.

Gegen Rangnick spricht laut Daum "nichts"

SPORT1:Ralf Rangnick ist einer der Namen, die aktuell gehandelt werden. Was würde für ihn sprechen, was gegen ihn?

Daum: Für Ralf Rangnick sprechen seine Kompetenzen und Erfahrungen, sowie seine bisherigen Erfolge in Hoffenheim, Salzburg und Leipzig. Ralf ist ein Konzepttrainer, dessen Vision weit über das reine Arbeiten mit der Nationalmannschaft hinausgeht. Gegen ihn spricht aus meiner Sicht nichts, wobei Rangnick sicherlich nicht zu den pflegeleichten Trainerpersönlichkeiten zählt.

SPORT1: Würde Rangnick den DFB revolutionieren?

Daum: In bestimmten Bereichen traue ich dies Ralf zu. Er würde dem deutschen Fußball neue Impulse geben und für Aufbruchstimmung sorgen. Ralf ist ein Teamplayer und höchste Qualität auf allen Ebenen zu installieren ist sein Anspruch. Ob alle bereit sind, diesen Weg mitzugehen, kann ich nicht beurteilen.

SPORT1: Am Freitag kamen Schalke-Gerüchte um Rangnick auf. Wäre er der richtige Mann dafür?

Daum: Rangnick kann Schalke von Grund auf neu gestalten. Dort wird er die Schlüsselrolle einnehmen, Cheftrainer und Sportdirektor in einer Person sein. Beim DFB trifft er auf bestehende, eingefahrene Strukturen, die seine Handlungs- und Entscheidungskompetenzen einschränken. Im Verband zu arbeiten, heißt, auf einer soliden Basis Kompromisse zu finden. Auf Schalke zu arbeiten, heißt, unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen eigenverantwortlich einen Neuaufbau zu starten. Beide Optionen sind herausfordernd, doch auf Schalke bieten sich für Rangnick die größeren Gestaltungsmöglichkeiten.

Wie Beckenbauer: Matthäus als Cheftrainer "absolut fähig"

SPORT1: Wie sehen Sie Lothar Matthäus, der jetzt doch seine generelle Bereitschaft erklärt hat?

Daum: Lothar ist ein hervorragender Analytiker und genießt ein hohes Ansehen im nationalen und internationalen Spitzenfußball. Für eine Cheftrainerrolle, wie sie schon Franz Beckenbauer ausgeübt hat, halte ich Lothar für absolut fähig. Er spricht die Sprache der Spieler und verfügt über notwendige Praxis-Erfahrungen. Ob er mehrheitsfähig sein wird, ist nicht sicher.

SPORT1: Was würde für U21-Trainer Stefan Kuntz sprechen? Er kommt für einige Experten automatisch in Frage.

Daum: Stefan wäre für den DFB sicherlich die naheliegende Variante. Er kennt sich sehr gut im Nachwuchsbereich aus und könnte die talentierten Spieler in den A-Kader Schritt für Schritt integrieren, wobei auch er zu Recht die fehlenden Einsatzzeiten der Talente festgestellt hat. Stefan zeichnet sich durch Empathie und Fachwissen aus und genießt durch seine Erfolge mit der U21 eine hohe Reputation. Zutrauen würde ich ihm diese Aufgabe auf jeden Fall.

Bundestrainer Matthäus? Das sind seine Bedingungen

SPORT1: Hansi Flick ist nach SPORT1-Informationen der Topkandidat - und hat ein klares Bekenntnis zum Klub vermieden. Glauben Sie, dass ihn die Bayern trotz langfristigen Vertrags gehen lassen würden?

Daum: Hansi Flick bringt alle Voraussetzungen mit, die man an einen Nationaltrainer stellt. Er ist in allen Trainerbereichen gereift und weiß, was es heißt, mit Starspielern, Erfolgsdruck und Herausforderungen umzugehen. Er kennt sowohl den DFB als auch den internationalen Fußball und hat bewiesen, dass er ein starker Entscheider ist. Vom öffentlichen Ansehen her und wegen seiner fachlichen und kommunikativen Qualitäten wäre er ein idealer Cheftrainer.

"Warum sollte Bayern Flick die Freigabe erteilen?"

SPORT1: Würde es sich der DFB mit den Bayern da nicht verscherzen?

Daum: Solche Gespräche oder Gedankenspiele können nur unter Einbeziehung von Bayern München stattfinden. Warum sollten die Bayern ihrem Erfolgstrainer am Saisonende die Freigabe erteilen?

SPORT1: Wie sehr trauern Sie Ihrer Chance von damals noch nach?

Daum: Aus meiner Sicht ist es nach wie vor eine Ehre, Cheftrainer der DFB-Nationalmannschaft sein zu dürfen. Ich habe mich für Rudi Völler eingesetzt, mich mit Jürgen Klinsmann ausgetauscht und Joachim Löw unterstützt. Genauso werde ich mich über und für den neuen Nationaltrainer freuen. Wenn meine Erfahrung und Kompetenz gefragt ist, werde ich gerne an der Zukunft des deutschen Fußballs mitwirken.

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