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104,80m - wie ein Wunderwurf eine Sportart veränderte

20. Juli 1984, Ludwig-Jahn-Sportpark in Ost-Berlin. Uwe Hohn, 22 Jahre jung, 1,98 m groß und rund 115 Kilo schwer, tippelt kurz von einem Bein auf das andere, nimmt 18 Schritte Anlauf, stemmt sich ab und schleudert seinen Speer mit brachialer Kraft in die Luft.

Die 800 Gramm schwere Metallstange fliegt und fliegt - erst nach 104,80 Metern bohrt sich der Speer in den Rasen.

Die Leichtathletik-Welt ist geschockt, fast wäre der Speer auf der Tartanbahn gelandet. Den Hochspringern, die sich in der Nähe auf ihren Wettkampf vorbereiten, steht der Schreck ins Gesicht geschrieben. Doch Hohn nimmt seinen Fabelweltrekord damals ganz gelassen.

"Ist schon eine schöne Weite. Zuerst frontal gegen den Wind, das gab ihm Höhe, und dann hat er sich hinten schön lang gemacht", sagte der Athlet vom ASK Vorwärts Potsdam, nachdem er kurz in die Hände geklatscht und seine Arme in den Himmel gestreckt hatte.

Hohn-Wurf überfordert Anzeigetafel

Hohn wusste sofort, dass er Historisches geschafft hatte. Doch bis die aufgeregten Zuschauer die Weite erfuhren, dauerte es beim "Olympischen Tag" etwas.

Die Anzeigetafel war nur auf vier Stellen ausgelegt - "04,80" stand dort schwarz auf weiß.

Erst der Stadionsprecher sorgt für Aufklärung: "Es war genau 19.54 Uhr im zweiten Versuch - Uwe Hohn aus Potsdam. Und er hat nicht nur die 100 Meter gekitzelt, er hat 104 Meter und 80 Zentimeter erreicht."

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Weltverband ändert danach Regeln

Es ist bis heute der weiteste Wurf der Leichtathletik-Geschichte - und wird es vielleicht bis in alle Ewigkeit bleiben.

Weil der Weltverband um die Sicherheit in den Stadien fürchtete, wurde zum 1. April 1986 ein neuer Speer eingeführt. Ein veränderter Schwerpunkt sorgt seitdem für eine steilere und kürzere Flugkurve.

Der bestehende Weltrekord von Jan Zelezny (Tschechien) liegt bei 98,48 m.

Hohn spricht ungern über seinen Wurf

Nach dem Zusammenbruch der DDR taucht neben vielen anderen auch der Name Uwe Hohn im Zusammenhang mit dem Staatsdoping auf.

Dem Familienvater wurde Oral-Turinabol verabreicht. Auch deshalb ist es Hohn heute unangenehm, über seinen Wurf zu sprechen. "Am liebsten will ich gar nicht reden darüber, auch wegen der aktuellen Dinge", sagte er einmal.

Der 100-m-Wurf von Berlin hat Hohn kein Glück gebracht. Zwar durfte der schüchterne Hüne danach live im DDR-Fernsehen zur Unterhaltung der Zuschauer Streichhölzer durch die Luft schmeißen (30,68 m), auch der Vaterländische Verdienstorden wurde ihm verliehen - doch mit der Karriere ging es danach bergab.

Olympiagold 1984 in Los Angeles blieb Hohn wegen des Boykotts der Spiele durch den Ostblock verwehrt. Der Europameister von 1982 gewann 1985 noch den Welt- und den Europacup, nach zahlreichen Operationen und Bandscheibenproblemen musste er aber schon 1987 seine Laufbahn beenden - mit gerade mal 25 Jahren.