Der denkwürdige Auftritt eines Todgeweihten

Der denkwürdige Auftritt eines Todgeweihten
Der denkwürdige Auftritt eines Todgeweihten

Als Jim Valvano am 4. März 1993 die Bühne im Madison Square Garden von New York betritt, ist der damals 46-Jährige bereits schwer gezeichnet.

Der Basketball-Coach, der 1983 in einem denkwürdigen Endspiel mit North Carolina State die College-Meisterschaft gegen die Houston Cougars um Hakeem Olajuwon und Clyde Drexler gewann, leidet zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem an einem metastasierenden Adenokarzinom.

Oder anders ausgedrückt: Valvano hat Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium und ist dem Tode geweiht.

An diesem Abend aber steht er noch einmal im Rampenlicht. „Ihr Jungs bringt mich da hoch auf die Bühne“, sagt er zu Dick Vitale und Mike Krzyzewski, ehe er den Arthur Ashe Courage Award in Empfang nimmt.

Von der späteren Reporter-Legende Vitale gestützt, müht sich Valvano unter Standing Ovations Stufe für Stufe nach oben - nur um dann, am Podium angekommen, erst einmal einen Witz auf Kosten seines guten Freundes zu machen.

Jim Valvano: Eine Rede, die unter die Haut geht

Es ist der Startschuss für eine knapp zehnminütige Rede, die auch 30 Jahre später unter die Haut geht.

Weil sie emotional ist. Weil sie gleichermaßen traurig wie hoffnungsfroh ist. Weil sie den einzigartigen Charme und Humor zeigt, der Valvano ausmacht. Und weil ihre zentrale Botschaft absolut zeitlos ist.

„Zeit“, sagt Valvano, „ist sehr wertvoll für mich. Ich weiß nicht, wie viel davon mir noch bleibt und ich habe einige Dinge, die ich gerne sagen würde. Hoffentlich ist am Ende etwas dabei, das auch für andere Menschen eine Bedeutung hat, aber das habe ich nicht in der Hand.“

Für ihn gebe es drei Dinge, auf die es ankomme und die jeden Tag zu einem besonderen machen könnten.

„Das Erste ist Lachen, man sollte jeden Tag lachen. Das Zweite ist Denken, man sollte eine gewisse Zeit zum Nachdenken nutzen. Und das Dritte ist“, fährt Valvano fort, „sich von seinen Emotionen zu Tränen rühren zu lassen - egal, ob vor Freude oder Glück. Denken Sie mal darüber nach: Wenn Sie lachen, nachdenken und weinen, dann ist das ein vollkommener Tag.“

Humor macht die Rede perfekt

Es sind Weisheiten, die zum Nachdenken anregen. Ratschläge, die zugleich simpel und tiefgreifend sind - und die einen erahnen lassen, wie er zu einem erfolgreichen Coach wurde.

Dass er in der Lage ist, seine ernsten Ansprachen jederzeit mit einer Prise Humor zu garnieren, dürfte dabei ein weiterer Faktor gewesen sein.

Wie in dem Moment, als der Teleprompter ihm anzeigt, dass ihm noch 30 Sekunden Redezeit bleiben.

„Der Bildschirm zeigt mir 30 Sekunden an. Als ob mich jetzt gerade dieser Bildschirm interessiert, was?!“, meint Valvano lachend: „Ich habe Tumore in meinem ganzen Körper - und jetzt soll es mich beeindrucken, wenn irgendein Typ im Hintergrund was von 30 Sekunden erzählt?“

Vince Lombardi? Bis auf die Knochen blamiert

Oder als er von seiner ersten Ansprache als Trainer berichtet, damals im zarten Alter von 21 Jahren. Wie er seine nur zwei Jahre jüngeren Schützlinge an der Rutgers University mit einem Auftritt im Stile von NFL-Trainerlegende Vince Lombardi beeindrucken wollte - und sich bis auf die Knochen blamierte.

Eine Anekdote, die er direkt mit der Lektion verbindet, dass es wichtig sei, wo man herkomme. Genauso wichtig aber sei es, zu wissen, wo man gerade stehe - und wo man hinwolle.

Dafür brauche man „Enthusiasmus fürs Leben. Man muss einen Traum haben, ein Ziel, für das man bereit ist zu arbeiten.“

Valvanos Ziel für die ihm verbleibende Zeit ist damals klar: Er möchte so viel wie möglich im Kampf gegen den Krebs erreichen - und verkündet auf der Bühne, dass er gemeinsam mit ESPN die „Jimmy V Foundation“ für Krebsforschung ins Leben ruft.

Jim Valvano ruft eine Stiftung ins Leben

„Das mag mein Leben nicht mehr retten, aber es könnte das Leben meiner Kinder retten. Es könnte jemanden retten, den Sie lieben“, appelliert Valvano.

Das Motto der Stiftung: „Don‘t give up. Don‘t ever give up.“

Sieben Worte, die sich in die Erinnerung eines jeden Zuhörers einbrennen. Egal, ob er damals live im Madison Square Garden vor Ort ist, das Event im Fernsehen sieht oder Jahre später auf YouTube.

Vielleicht auch deshalb hat die „Jimmy V Foundation“ in den vergangenen 30 Jahren schon weit über 300 Millionen US-Dollar an Spenden im Kampf gegen den Krebs gesammelt.

Ihr Namensgeber hat all das nicht mehr miterleben dürfen. Als Niederlage im Kampf gegen die Krankheit wollte Valvano den drohenden Tod aber nie begreifen.

„Der Krebs kann mir all meine körperlichen Fähigkeiten nehmen. Aber er kann meinem Verstand nichts anhaben. Er kann meinem Herzen nichts anhaben. Und er kann meiner Seele nichts anhaben“, betont Valvano zum Abschluss seiner Rede: „Und diese drei Dinge werden für immer bleiben. Ich danke Ihnen und Gott segne Sie alle!“

55 Tage später erliegt Jim Valvano im Alter von nur 47 Jahren in Durham, North Carolina, seiner Krebserkrankung.

Mit seinem denkwürdigen Auftritt im Madison Square Garden aber hat sich Jimmy V unsterblich gemacht.