Der FC Bayern vor dem Saisonstart: Alarmstufe Orange

Die Münchner schlittern in der Saisonvorbereitung von einer Pleite in die nächste. Der Zustand der Mannschaft ist desolat. Trainer Carlo Ancelotti hat jede Menge Baustellen – nicht nur sportliche.

Haben (noch) nicht den besten Draht zueinander: Willy Sagnol und Carlo Ancelotti
Haben (noch) nicht den besten Draht zueinander: Willy Sagnol und Carlo Ancelotti

Am Ende gab es sogar noch Pfiffe für die Spieler des FC Bayern. Angeführt von Kapitän Joshua Kimmich klatschen die Spieler artig Beifall bei ihrer Runde durch die Allianz Arena. Ein Dankeschön an die Fans, doch die waren gallig. Dass ausgerechnet eine Handvoll Youngster die Abneigung der Zuschauer zu spüren bekamen, war ein Unding. Christian Früchtl, Timothy Tilmann und Co. können wahrlich nichts für den aktuellen Zustand der Mannschaft des FC Bayern.

Eine aufwendige Vorbereitung mit einer in jeder Hinsicht anstrengenden und fragwürdigen Asien-Reise ist zu Ende. Es war, was die Ergebnisse betrifft, die schlechteste Vorbereitung aller Zeiten für die Münchner. Kurz vor der Duell im Supercup gegen Borussia Dortmund am Samstag ist die Mannschaft völlig außer Form. Trainer Carlo Ancelotti hat jede Menge Probleme zu lösen. Ein Überblick.

Schlechte Balance

Nicht besetzte Räume, schlechtes Passspiel, keine Linie im Offensivspiel, mangelhaftes Umschalten nach Ballverlusten und eine extrem anfällige Hintermannschaft – Bayerns spieltaktische Unzulänglichkeiten sind vielschichtig. Die Automatismen greifen noch überhaupt nicht, die Balance zwischen Defensive und Offensive ist nicht vorhanden. Thomas Müller sprach nach dem Liverpool-Spiel von einigen “mannschaftstaktischen Fehlern”.

Die Bayern und vor allem Ancelotti müssen für das straffe Programm mit jeder Menge Testspielen bezahlen. Anstatt in Trainingseinheiten an den Automatismen zu feilen und Spielformen einzustudieren, mussten die Bayern infolge der Testspielflut gegen namhafte Gegner viel regenerieren. Ein Umstand, den auch Müller kritisierte.

Ancelotti war nach dem Liverpool-Spiel verwundert über den Zustand der Mannschaft. “Wir sind ein besorgt”, gab der Coach zu. Auch die Spieler machen sich Gedanken. “Wir sind absolut nicht zufrieden, mit dem was wir gespielt haben. Das ist etwas, was wir in der Einfachheit, wie wir es haben passieren lassen, nicht vorkommen darf.”

Körperliche Defizite

In den beiden Spielen des Audi Cups wurde deutlich, dass die Bayern weit von einer guten Fitness entfernt sind. Die Spieler wirkten müde, vor allem was die Spritzigkeit angeht. Sie waren im Kampf um den Ball meist einen Schritt zu spät und bekamen keinerlei Tempo in ihr Angriffsspiel.

“Wir werden intensiver trainieren”, kündigte Sportdirektor Hasan Salihamidzic an. Ancelotti muss bis zum Saisonstart an zwei entscheidenden Schrauben drehen und dabei einen Spagat hinbekommen: Verbesserung der körperlichen Fitness und Behebung der spieltaktischen Probleme.

Verletzungsprobleme

Manuel Neuer (Mittelfußbruch) befindet sich noch in der Reha. Arjen Robben (Wade) und Jerome Boateng (Oberschenkel und rechter Knöchel) kommen für einen Einsatz noch nicht infrage. Juan Bernat (Syndesmoseriss) fällt bis mindestens Oktober aus.

Seit Dienstag ist das prominente Lazarett noch größer geworden. James wird wegen eines Mukselbündelrisses mehrere Wochen fehlen, Thiago (Bauchmuskelprellung) wird zumindest das Supercup-Spiel gegen den BVB verpassen.

So muss Ancelotti in der Endphase der Vorbereitung auf einige Spieler verzichten, die für die Stammelf vorgesehen waren.

Falsche Einstellung

Franck Ribery schlug nach dem 0:3 gegen Liverpool Alarm: “Auch wenn du nicht gut spielst, musst du mehr Präsenz zeigen, mehr Charakter. Wir müssen unsere Einstellung ändern.” Auch Ancelotti prangerte den fehlenden Siegeswillen an.

Der Coach muss den Kader bei Laune halten, beißt sich aber an zwei Spielern die Zähne aus. Renato Sanches erklärte öffentlich seinen Wechselwunsch zum AC Milan und Robert Lewandowski scheint seinen Ärger über die verpasste Torjäger-Kanone, die er mit mangelnder Unterstützung seiner Kollegen begründete, immer nicht verdaut zu haben. Lewys Körpersprache gegen Liverpool war mangelhaft, immer wieder winkte er bei Fehlpässen ab und verweigerte jegliche Form von Defensivarbeit.

Wer ist der Boss im Mittelfeld?

Xabi Alonso hinterließ durch seinen Rücktritt ein Vakuum. Er war der verlängerte Arm des Trainers im Zentrum und wegen seiner Präsenz auf dem Platz unverzichtbar. In die Rolle müssen nun andere schlüpfen. Eigentlich kommen nur Thiago und Vidal infrage.

Vidal wäre prädestiniert für eine Leaderrolle, hat sich aber durch seine riskante, teils überharte Spielweise hin und wieder schon Ärger mit den Kollegen eingehandelt. Thiago hat das Problem, dass er in den wirklich wichtigen Spielen öfter abtaucht. Noch hat Ancelotti seinen neuen Xabi nicht gefunden.

Spannungen in der sportlichen Führung

Gleich in seiner ersten Pressekonferenz der Vorbereitung offenbarte Ancelotti den Journalisten, dass er Philipp Lahm und Xabi Alonso den Co-Trainer-Posten angeboten habe. Beide sagten ab, den Job bekam Willy Sagnol. Keine Wunschverpflichtung des Trainers, sondern der Bosse. Sagnol ist ein enger Vertrauter von Präsident Uli Hoeneß. Damit muss sich der Trainer ab- und zurechtfinden. Ancelotti wird nicht verborgen geblieben sein, dass ihn Sagnol während der letzten Saison kritisierte. In einem Interview mit dem “kicker” warf Sagnol Ancelotti vor, zu stark auf erfahrene Spieler zu setzen.

Auch bei der Wahl des Sportdirektors setzten sich Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß durch. Mit Salihamidzic wurde der nächste Ex-Spieler installiert. Er soll vor allem als Bindeglied zwischen Mannschaft, Trainer und Vorstand fungieren. Hinter vorgehaltener Hand wird an der Säbener Straße schon von einem “Aufpasser” für Ancelotti gesprochen. Konfliktpotential in der sportlichen Führung ist in jedem Fall vorhanden.

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