Der unfassbare Absturz des Hamburger Sport-Vereins

Drohender Abstieg, internes Hauen und Stechen, Fan-Krawalle und finanzieller Engpass – noch nie in seiner Geschichte stand der HSV so desolat da wie im März 2018. Viele Probleme sind hausgemacht und die Zukunft im bezahlten Fußball ist noch lange nicht gesichert.

Der HSV holte aus den letzten 14 Bundesligaspielen nur vier Punkte. (Bild: Getty Images)
Der HSV holte aus den letzten 14 Bundesligaspielen nur vier Punkte. (Bild: Getty Images)

Seit Sonntagnachmittag steht der Hamburger SV endlich dort, wo er hingehört: auf dem letzten Tabellenplatz. Durch den Sieg des 1. FC Köln gegen Leverkusen übernahm der HSV die Rote Laterne, sieben Spieltage vor Saisonende.

Sportlich ist die Saison ein einziges Desaster: 18 Punkte, davon nur vier aus den letzten 14 Spielen, 19 erzielte Tore. Der HSV benötigte seit dem letzten Sieg Ende November gerade mal dreieinhalb Monate, um gleich drei vereinseigene Negativrekorde aufzustellen. Zudem wurden in dieser Zeit zwei Trainer gefeuert, der eine (Bernd Hollerbach) war ganze sieben Wochen im Amt. Auch vor Vorstandsboss Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt machte die Entlassungswelle nicht halt. Eine Zeit geprägt von Aktionismus und Populismus.

Krawalltourismus im eigenen Stadion

Der tiefe Fall des Bundesliga-Dinos in der Tabelle ist aber bei weitem nicht das einzige Problem, mit dem sich der HSV herumschlagen muss. Vermummte Chaoten wollten nach der Pleite gegen die Hertha die Kabine stürmen, bei Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen musste, wurden mehrere Personen verletzt. Eine Woche zuvor, nach dem 0:6 in München, hatten Unbekannte Grabkreuze am Trainingsgelände aufgestellt und auf ein Banner “Wir kriegen Euch alle” geschmiert.

“Die Bilder haben mich schockiert”, gab Aufsichtsratschef Bernd Hoffmann im NDR-Sportclub zu und vermutete viele “Krawalltouristen” unter den Störenfrieden. Allerdings hatte es schon während des Spiels auf der Nordtribüne handgreifliche Auseinandersetzungen unter HSV-Anhängern gegeben, ein Zeichen dafür, dass der Klub diese “Touristen” auch im eigenen Stadion hat.

Aus Angst vor Ausschreitungen hatte der HSV schon vor dem Heimspiel gegen Mainz 05 Anfang März die Sicherheitsvorkehrungen stark erhöht. Aufgrund der Vorfälle vom Wochenende drohen dem Klub in den letzten drei Heimspielen gegen Schalke, Freiburg und Gladbach weitere Hochsicherheitsspiele.

“Die Bedrohungslage für unsere Spieler, aber auch für unsere Zuschauer im Stadion, ist unser allererstes Thema in den nächsten Wochen”, kündigte Hoffmann an.

Titz nach nur einem Spiel angezählt

Zu alldem gesellt sich eine Reihe aufmüpfiger Spieler, die die Revolution des neuen Trainers Christian Titz so gar nicht gutheißen. Der zum Bankdrücker degradierte Kyriakos Papadopoulos pöbelte öffentlich gegen Titz, der von Titz als Ersatz für Papa ausgesuchte Walace verweigerte den Dienst in der Innenverteidigung, flog aus dem Kader und postete auf Instagram während des Spiels Bilder aus seinem Wohnzimmer.

Während Vorstandschef Frank Wettstein vor allem Papadopoulos mit dem Rauswurf drohte, will Hoffmann den Spieler “bluten” lassen. “Herr Papadopoulos erzählt Unsinn und hat einen Vertrag beim HSV, der übrigens auch für die Zweite Liga gilt. Er muss die Suppe mit auslöffeln.”

Titz machte sich derweil mit einer weiteren Personalentscheidung intern keine Freunde. Lewis Holtby, der unter Titz’ Vorgängern Gisdol und Hollerbach meist nur auf der Tribüne saß, stand gegen die Hertha plötzlich in der Startelf. Titz und Holtby sind seit Jahren befreundet und haben den gleichen Berater – eine Beförderung mit Geschmäckle.

Auch Titz radikaler Schnitt, gleich sieben gestandene Profis (neben Papa und Walace traf es Diekmeier, Schipplock, Hahn, Mathenia und Mavraj) auszusortieren, kam in der Mannschaft nicht gut an. Hinter vorgehaltener Hand wurde bereits nach nur einem Spiel (!) diskutiert, ob man mit Titz als Übungsleiter, der auf erfahrene Spieler pfeift, überhaupt das Wunder vom Klassenerhalt schaffen könne. Im Grunde ist Titz nach 90 Minuten Bundesligafußball schon wieder angezählt – ein Wahnsinn.

Das Restprogramm des HSV

Probleme mit der Lizenz für die Zweite Liga

Bernd Hoffmann, der als Präsident des HSV e.V. und Aufsichtsratschef der AG mächtiger ist, als in seinen acht Jahren als Vorstandsvorsitzender des Klubs (2003 – 2011), ist trotz der sich haushoch türmenden Probleme nicht verlegen, mit Floskeln um sich werfen.

“Wir kriegen das hin.” “Wir werden die richtigen Personalentscheidungen fällen.” “Seien Sie gewiss, der HSV wird auch in der nächsten Saison ein gutes Mitglied des bezahlten Fußballs sein.” Ein buntes Potpourri der Schönrednerei im NDR-Sportclub am Sonntagabend.

Dabei ist die Zukunft des HSV im bezahlten Fußball noch lange nicht gesichert. Um die Lizenz für die Zweite Liga zu bekommen und die Liquidität sicherzustellen, muss der Klub bis Mitte Mai etwa 25 Millionen Euro einnehmen und setzt dabei auf Transfererlöse durch Spielerverkäufe. Die mögliche Aussicht auf Millionen-Einnahmen kann der HSV aber im aktuellen Lizenzierungsverfahren aber nicht geltend machen, da die DFL dabei nur bereits vertraglich fixierte Verkäufe berücksichtigt.

Hoffmann setzt auf Kühne

Alternativ müsste sich der HSV das Geld anderweitig besorgen und das geht praktisch nur mit Hilfe von Investor Klaus-Michael Kühne. Der HSV hängt am Tropf des Mannes, der in der Vergangenheit immer wieder öffentlich Spieler und Funktionäre des Vereins öffentlich abkanzelte und mehrfach damit drohte, sein Geld aus dem Verein zu ziehen.

Hoffmann betonte unterdessen das “sehr gute Verhältnis” zum Investor. “Ich habe immer gesagt, dass Herr Kühne ein ausgesprochen wichtiger Partner des HSV ist und das auch in den nächsten Jahren sein wird”, so Hoffmann.

Selbst wenn Kühne den HSV mal wieder aus dem Sumpf holt, steht die Saison 2017/18 für einen beispiellosen Absturz eines stolzen Klubs in der langen Geschichte der Fußballbundesliga.

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