Wie deutsche Städte um mehr Einfluss auf dem Wohnungsmarkt kämpfen

Im Dresdner Stadtteil Leuben, mitten in einer bestehenden Wohnsiedlung, laufen die Arbeiten auf Hochtouren. Seit vergangenem September wird gebaggert, gehämmert und gebohrt. Schon in wenigen Monaten, knapp ein Jahr nach Baubeginn, werden 22 neue Wohnungen fertig gebaut sein. Spätestens zu Weihnachten sollen die ersten Mieter ihre vier Wände bezogen haben. Derzeit installieren die Handwerker die Haustechnik. Im Erdgeschoss werden Wände verputzt.

Für Steffen Jäckel ist das Projekt mehr als nur eines unter vielen Wohnungsneubauten in Dresden. Er ist der Geschäftsführer der 2017 gegründeten kommunalen Wohnungsgesellschaft „Wohnen in Dresden“ (WiD). Nachdem 2006 mit der Woba die einzige kommunale Gesellschaft und mit ihr 48.000 Wohnungen an den Finanzinvestor Fortress verkauft wurde, war die Stadt am Dresdner Wohnungsmarkt nicht mehr beteiligt.

Diese Bestände besitzt heute der Bochumer Wohnungskonzern Vonovia. Nun aber kehrt die Stadt mit der WiD zurück an den Markt: Die neue Gesellschaft soll einen nennenswerten eigenen Bestand aufbauen, um Menschen mit geringem Einkommen Wohnraum zu bieten.

Die Wohnungen werden ausschließlich an einkommensschwache Dresdner mit Wohnberechtigungsschein vergeben. Die Belegungsrechte will die WiD dauerhaft garantieren. „Ohne ein solches Instrument hätte die Stadt kaum Spielräume zu agieren“, sagt Jäckel. Nicht nur Dresden, auch zahlreiche andere Gemeinden – von Großstädten bis zu Landkreisen – besinnen sich nach den stark gestiegenen Kauf- und Mietpreisen in den vergangenen Jahren auf ihre eigenen Wohnungsbestände.

Manche kaufen einst verscherbelte Bestände zurück. Andere, wie Dresden, gründen lieber neue Gesellschaften und bauen Wohnung um Wohnung mühselig auf. Ihnen allen gemein ist jedoch der Wunsch nach mehr Handlungsfähigkeit auf dem heimischen Immobilienmarkt. Kommunale Wohnungsgesellschaften feiern eine Renaissance.

Laut Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) gibt es aktuell rund 2,4 Millionen Wohnungen in 723 kommunalen Gesellschaften. Das heißt: Auf sie entfällt ungefähr jede achte vermietete Wohnung. GdW-Geschäftsführer Christian Lieberknecht verfolgt die Entwicklung mit Interesse: „Seit einiger Zeit beobachten wir den Trend zur Neugründung von kommunalen Wohnungsunternehmen.“ Schon seit Längerem werde über die Frage diskutiert, ob städtische Wohnungsgesellschaften den deutlichen Mietanstieg dämpfen können. Doch erst mit der starken Zuwanderung 2015 habe das Thema die breite Öffentlichkeit erreicht.

Verkauf für die Haushaltssanierung

Zuletzt gab es eine Reihe von Neugründungen: Die Kieler Ratsversammlung hat eine Gesellschaft unter dem Namen Kiwog ins Leben gerufen. In Baden-Württemberg wurde in Heidenheim die Städtische Grundstücks- und Wohnungsbau GmbH gegründet. In Bayern will das Land mit der Bayernheim bis 2025 insgesamt 10.000 bezahlbare und preisgebundene Wohnungen schaffen, und noch drei weitere Neugründungen verzeichnet man im Freistaat.

All diese Beispiele stammen allein aus dem Jahr 2018. Laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gibt es weitere Pläne in Trier, Landau in der Pfalz und Castrop-Rauxel. Das Hauptargument lautet allerorten: bezahlbaren Wohnraum für Einkommensschwache schaffen.

Dabei ging der Trend vor wenigen Jahren noch in die andere Richtung: Städte und Gemeinden verkauften ihre Wohnungsbestände. Das war zu Beginn der 2000er-Jahre. Der Wohnungsmarkt war entspannt, die Haushaltslage vielerorts angespannt. Mit dem Geld aus den Verkäufen wollten die Kommunen ihre Finanzen in Ordnung bringen. Heute halten das viele für einen Fehler.

Insgesamt kauften Finanzinvestoren aus dem Ausland rund 141.000 Einheiten und damit mehr als ein Drittel jener Wohnungen, von denen sich die Kommunen nach und nach trennten, zeigt eine Analyse des BBSR. Weitere 300.000 Wohnungen kauften sie von Bund und Ländern. Oft haben Sozialdemokraten und Linke die Verkäufe mitgetragen, wie etwa in Dresden, oder die Verkäufe gar initiiert, wie etwa in Berlin beim größten Verkauf.

2004 wurden die 66.000 GSW-Wohnungen an ein Investorenkonsortium um Cerberus und Goldman Sachs veräußert. Die Wohnungen befinden sich heute im Bestand der Deutschen Wohnen. Nicht zuletzt diejenigen Metropolen, in denen die Mieten in den vergangenen Jahren am stärksten stiegen, arbeiten daran, ihre kommunalen Bestände wieder auszuweiten.

Berlin hat sich im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung das Ziel gesetzt, die Wohnungen in städtischer Hand von 317.000 im Jahr 2016 auf 360.000 im Jahr 2021 zu erhöhen. Allein 30.000 davon sollen auf Neubauten entfallen. Doch das funktioniert nicht in jedem Fall. Denn das erfordert einerseits passende Grundstücke in städtischer Hand. Andererseits dauert es lange, bis über Neubauten ein nennenswerter Anteil an Wohnungen an den Markt kommt.

Einige Kommunen drängen daher auf den Rückkauf kommunaler Bestände. Berlin kauft im Oktober etwa 900 Wohnungen zurück, die im Besitz des Investors DIM lagen. Ein Kaufpreis wurde nicht veröffentlicht, er werde „prinzipiell vertraulich behandelt“ heißt es seitens der Stadt. Auch für den Kauf von 1800 Wohnungen in Altglienicke im Südosten der Stadt wurde kein Kaufpreis genannt. 10.000 Wohnungen will die Hauptstadt voraussichtlich insgesamt erwerben, um ihre Bestände wie geplant erweitern zu können.

In München haben die städtischen Gesellschaften in den vergangenen Jahren knapp 1000 Wohnungen zurückgekauft, die erst 2013 von der GBW, einer Wohnungsgesellschaft des Landes Bayern, an ein Investorenkonsortium um Patrizia Immobilien verkauft wurden. Die Gewofag übernahm 359 Wohnungen für einen Gesamtkaufpreis, der „knapp im dreistelligen Millionenbereich“ liege, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Die GWG übernahm 602 Wohnungen – und schweigt zum Kaufpreis.

Teure Rückkäufe

Dass sich die Städte über die Kosten der Rückkäufe in Schweigen hüllen, hat Gründe: Die Preise liegen nach dem Immobilienboom der vergangenen Jahre in der Regel deutlich über dem einstigen Verkaufsniveau. Anders als private Investoren aber können Städte ihre Investition nicht über Mietsteigerungen refinanzieren – schließlich wollen sie diese auf ein Minimum reduzieren.

Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten allerdings kosten öffentliche Unternehmen genauso viel wie private. „Wenn die Städte heute zum Höchstpreis kaufen, wird das daher auf Dauer dazu führen, dass sie Geld zuschießen müssen“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienökonom vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Die Frage nach der Leistbarkeit stellt sich derzeit auch im thüringischen Gera.

Die 96.000-Einwohner-Stadt im Osten des Landes will ihren Mehrheitsanteil an der GWB Elstertal zurückkaufen. Erst vor drei Jahren verkaufte die Stadt 74,9 Prozent ihrer städtischen Wohnungsgesellschaft aus Finanznöten. Die Stadtwerke waren insolvent. Das Land wollte einen Kredit in Höhe von 30 Millionen Euro nicht bewilligen. In der Folge wurde der Mehrheitsanteil an der Wohnungsgesellschaft an den britischen Investor Benson Elliot verkauft.

Wiener Vorbild schwer übertragbar

Der will nun, drei Jahre später, schon wieder verkaufen. Die Stadt hätte ihren Anteil gern zurück. Schließlich geht es um mehr als 5000 Wohnungen. In Thüringen zweifelt man jedoch, ob die Maßnahme wirklich Sinn macht. Zum einen wird in den Lokalmedien ein Kaufpreis kolportiert, der beim Doppelten des ursprünglichen Verkaufspreises liegt.

Zum anderen stehen zwölf Prozent aller Wohnungen in Gera leer. Die Kaltmieten liegen im Schnitt bei fünf Euro. Weil auch die Landesregierung den Kauf unterstützen will, schaltete sich der Rechnungshof ein. Er hält die Idee für falsch. Stattdessen solle lieber in sozialen Wohnungsbau investiert werden, und zwar in wachsenden Städten wie Erfurt, Jena oder Weimar.

Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) verteidigt sein Bestreben: Die GWB Elstertal besitze strategisch wichtige Flächen im innerstädtischen Bereich. Und auch wenn es aktuell kaum Probleme am Geraer Wohnungsmarkt gebe, sei dies eine Entscheidung für die nächsten zehn, zwanzig Jahre, sagt Vonarb.

Voigtländer sieht die Rückkäufe skeptisch, nicht zuletzt wegen der hohen Preise und der Tatsache, dass damit keine einzige neue Wohnung geschaffen wird. In Wien, dem Vorbild einer Stadt mit vielen kommunalen Wohnungen, gebe es die Bereitschaft, die Bestände auch zu subventionieren. Doch vielen deutschen Städten fehle dafür das Geld.

Und wenn Städte es sich nicht leisten könnten, in Instandhaltungen und Modernisierungen zu investieren, litten am Ende die Bestände, erklärt Voigtländer. Auch Lieberknecht vom GdW meint: „Es ist weder sinnvoll noch leistbar, sich am Vorbild Wien zu orientieren und einen öffentlichen Wohnungsbestand von 60 Prozent anzustreben. Die Kommunen würden sich damit überheben.“

Derart hohe Ziele steckt sich WiD-Geschäftsführer Jäckel in Dresden nicht. Für den Anfang sollen in den kommenden zwei Jahren knapp 500 Wohnungen entstehen. Bis 2035 will er gern mehrere Tausend Wohnungen im Bestand halten. Dann nämlich läuft eine Vielzahl von Belegungsrechten in den ehemaligen Kommunalwohnungsbeständen aus, die nun im Besitz der Vonovia sind. Der Wohnungskonzern habe sich zwar als verlässlicher Geschäftspartner erwiesen. Dennoch will Dresden unabhängiger sein, wenn es dann darum geht, Belegungsrechte für einkommensschwache Bewohner nachzuverhandeln.