Deutschlands vermasselter WM-Start: Crash mit Ansage

Die Niederlage gegen Mexiko offenbarte viele Schwächen beim Titelverteidiger. Neu waren davon aber nur die wenigsten. Vielmehr hatte sich die Pleite seit längerer Zeit angedeutet.

Deutschland kassierte gegen Mexiko die erste WM-Pleite zum Auftakt seit 1982
Deutschland kassierte gegen Mexiko die erste WM-Pleite zum Auftakt seit 1982

Man ist das ja gar nicht mehr gewohnt: Deutschland verliert das erste Spiel bei einer Weltmeisterschaft. Das gab es zuletzt vor 36 Jahren, damals setzte es ein 1:2 gegen den Fußballzwerg Algerien. In den Jahrzehnten danach standen deutsche Mannschaften fast immer für Spektakel, bei den letzten vier Turnieren machte es Deutschland nie unter vier (eigenen) Toren.

Und nun das: Das 0:1 gegen Mexiko war nicht nur ein Ausreißer nach unten, ein kleiner Betriebsunfall oder am Ende sogar Unvermögen oder Pech. Es war eine Niederlage, die sich angedeutet hatte – und das nicht erst mit den ersten Minuten der Partie in Moskau, sondern schon seit einigen Wochen, vielleicht Monaten.

Im zehnten WM-Spiel wurde ausgerechnet der Weltmeister zum ersten europäischen Team, das eine Niederlage einstecken musste. Es hat bei den letzten Turnieren auch schon andere Titelverteidiger im ersten Spiel erwischt, die Franzosen, Spanier, Italiener. Aber die Art und Weise, wie Deutschland dem Gegner auf den Leim ging und über Dreiviertel der Partie fast noch froh sein musste, nicht noch höher in Rückstand zu liegen, war doch sehr bedenklich.

Niederlage mit Ansage

Deutschland hatte nur eine Schein-Kontrolle über Ball und Gegner, eher waren es die Mexikaner, die mit ihrem Pressing Deutschland in die Falle lockten und dann mit gezielten Konterattacken in die zu erwartenden deutschen Räume starteten. Ein gutes halbes Dutzend Mal lief Deutschland alleine in der ersten Halbzeit förmlich ins offene Messer, waren die beiden Innenverteidiger Mats Hummels und Jerome Boateng sogar kurzzeitig in Unterzahl.

Die beiden deutschen Sechser Sami Khedira und Toni Kroos entblößten dabei das Zentrum und waren schlicht zu unaufmerksam oder langsam – oder beides – im Umschalten auf die Defensive. Der sehr hoch postierte Joshua Kimmich ließ genug Raum in seinem Rücken. So mussten immer wieder offensive Mittelfeldspieler in letzter Not hinten aushelfen. Einige Male ging das noch irgendwie gut, beim Tor des Abends aber dann nicht mehr, als Mesut Özil gegen Torschütze Hirving Lozano dazu noch schwach im Eins-gegen-Eins verteidigte.

Es waren so viele Probleme und Unzulänglichkeiten im deutschen Spiel zu erkennen, dass sich Joachim Löw durchaus darüber freuen dürfte, nun immerhin sechs Tage bis zum nächsten Spiel gegen Schweden Zeit zu haben. Andererseits haben die zahlreichen Warnschüsse der jüngeren Vergangenheit auch zu keiner Besserung geführt. Schon im Frühjahr mahnten mehrere Spieler, darunter ein sehr energischer Kroos, die Mentalität einiger Kollegen an. Der Test gegen Österreich sei ein Ausrutscher gewesen, spätestens aber nach dem blamablen Spiel gegen Saudi-Arabien hätte auch der Letzte den Ernst der Lage begreifen müssen.

Hummels wird deutlich

Allen voran auch der Bundestrainer selbst. Löw hat sich im Vorfeld vor dem Auftaktspiel seiner Elf auf deren Fähigkeit verlassen, plötzlich in den Turniermodus schalten zu können. Wird schon irgendwie gutgehen, trotz der sportlichen Probleme und der Störgeräusche drumherum. Ging es nicht.

Hummels wurde in der Analyse der Partie mehr als deutlich. „Wir haben wie gegen Saudi-Arabien gespielt – nur gegen einen besseren Gegner. Wir haben Dinge im Vorfeld angesprochen, die wir wieder nicht eingehalten haben. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, aber es fruchtet noch nicht“, sagt Hummels und es war beinahe greifbar, wie er sich selbst dabei auf die Lippe beißen musste. Das ging gegen die Mitspieler und nicht nur zwischen den Zeilen auch ein wenig gegen Löw.

Ganz offenbar ist auch die Hierarchie innerhalb der Mannschaft noch nicht so gewachsen oder klar, wie sie es für ein großes Turnier eigentlich sein sollte. Es war eine der großen Stärken der Weltmeister in Brasilien, Konflikte intern zu lösen, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und dies in positive Energie umzuwandeln. Zumindest nach dem ersten Auftritt in Russland war von diesen reinigenden Kräften noch gar nichts zu sehen. Eher im Gegenteil.

Hummels mäkelte insbesondere am Defensivverhalten herum oder an einer zu wagemutigen Ausrichtung. „Wenn sieben oder acht Mann offensiv spielen, ist es klar, dass die Absicherung nicht passt. Jerome und ich standen oft ganz alleine. Ich verstehe nicht, wie wir das heute so spielen konnten, weil der Weckruf eigentlich schon das Spiel gegen Saudi-Arabien war. Ich gehe davon aus, dass wir jetzt besser spielen werden. Ansonsten muss man sich Sorgen machen.“

Fehlende Kommunikation

Deutschland hatte kaum positive Kommunikation auf dem Platz. Kroos raunzte die Mitspieler einige Male an, Thomas Müller winkte genervt ab. Stattdessen machte sich eine gewisse Selbstzufriedenheit breit, die gegen ultra-aggressive und hungrige Mexikaner darin mündete, dass entscheidende Zweikämpfe nicht oder nur zaghaft geführt wurden. Offenbar in der Hoffnung, der sehr gute Unparteiische würde eine Spur Weltmeisterbonus einpreisen.

In der ältesten deutschen Startelf bei einer WM seit dem Finale von 2002 stimmte nicht viel, das musste dann auch Löw unumwunden zugeben. Wie der aber auf die Kritik von Hummels angesprochen bei der Analyse des Gegentreffers schnell darauf zu sprechen kam, dass auch da defensive Verhaltensmuster klar abgesprochen waren und nicht eingehalten wurden, kann durchaus als Replik gegen Hummels verstanden werden. Der war aus seiner Position herausgerückt und hatte so auch seine Aktien am entscheidenden Tor.

Es werden einige ungemütliche Tage bis zum Spiel gegen die Schweden. Intern gibt es einiges zu regeln und ab sofort hat Deutschland in jedem noch folgenden Spiel ein Finale zu bestreiten. Der eine Fehlschuss ist schon aufgebraucht. Sonst wartet in der zweiten Turnierhälfte nicht Brasilien als Achtelfinalgegner, wie bereits prophezeit wird – dann ist das Turnier für den Titelverteidiger zu diesem Zeitpunkt schon zu Ende.