Deutschlands WM-Kader: Das fehlt in Löws Aufgebot

27 Spieler werden ins zweiwöchige WM-Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft nach Südtirol reisen. Bundestrainer Löw muss sich wie eh und je rechtfertigen. Doch dem Aufgebot fehlen zwei wichtige Eigenschaften – vor allem im Vergleich zum Weltmeister-Kader von 2014.

Joachim Löw testet im Trainingslager in Südtirol 27 Spieler – vier muss er noch streichen
Joachim Löw testet im Trainingslager in Südtirol 27 Spieler – vier muss er noch streichen

Gerade mal neun Spieler aus dem Weltmeister-Kader von 2014 stehen im vorläufigen Aufgebot des DFB-Teams für die Mission Titelverteidigung in Russland. Das hat unterschiedliche Gründe. Einige Spieler haben zwischenzeitlich ihre Karriere beendet, wie Philipp Lahm oder Miroslav Klose. Andere, wie Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski, sind nur noch im Verein aktiv. Und dann gibt es noch die Fraktion, die es aufgrund zum Teil stark schwankender Leistungen nicht geschafft haben wie Mario Götze oder Andre Schürrle.

Darum verzichtet Löw auf Mario Götze

Über Löws erweiterten Kader scheiden sich die Geister. Die einen sagen, es sei konsequent, Götze außen vor zu lassen. Die anderen meinen, dass es Sandro Wagner mehr als verdient gehabt hätte, dabei zu sein und wieder andere stören sich an den Namen Plattenhardt, Ginter und Tah.

Derartige Diskussionen sind weiß Gott nicht neu. Vor vier Jahren runzelten viele die Stirn, als plötzlich Christoph Kramer im 23er-Kader stand. Kramer stand ein paar Wochen später im WM-Finale in der Startelf.

Löw kann es nicht allen recht machen und hat seine Beweggründe über Für und Wider am Dienstagmittag im Dortmunder DFB-Museum eingehend erläutert. Vergleicht man den Kader von 2018 mit dem von 2014 fallen unabhängig davon jedoch zwei Dinge auf.

Klose ließ Gegner zittern

2014 hatte die Mannschaft eine klare Hierarchie. Philipp Lahm als Kapitän, Bastian Schweinsteiger als sein Stellvertreter, dazu Manuel Neuer als unangefochtene Nummer eins und (zumindest damals) weltbester Torhüter sowie WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose bildeten eine Achse, die ihresgleichen sucht.

Lahm, Schweinsteiger und Neuer hatten ein Jahr zuvor mit dem FC Bayern das Triple gewonnen; sie hatten 2013 bewiesen, dass sie reif und gut genug waren für den größten Titel auf Vereinsebene sind. Auf der Zielgeraden der glanzvollen Karrieren von Lahm und Schweinsteiger fehlte insofern nur noch ein großer Titel mit der Nationalmannschaft.

Klose schien zwar im Verein bei Lazio Rom etwas auf dem absteigenden Ast zu sein, doch allein der Name Miroslav Klose auf dem Spielberichtsbogen rief bei den Gegnern höchsten Respekt hervor; schließlich fehlte ihm vor WM-Beginn 2014 nur noch ein Treffer, um Rekord-Goalgetter Ronaldo einzuholen. Das Ende ist bekannt – Klose überholte il Phenomeno sogar durch Tore gegen Ghana und Brasilien.

Flache Hierarchie statt echten Leitwölfen

Löw hat auch 2018 eine Achse, die die Mannschaft durchs Turnier tragen soll, zumindest hat er sie im Kopf: Neuer, Hummels, Khedira, Kroos, Müller. Das sind durchaus glanzvolle Namen mit viel internationaler Reputation. Doch hinter dem Einsatz von Neuer stehen nach wie vor dicke Fragezeichen und außer Kroos und Torhüter ter Stegen hat in den letzten Jahren kein Spieler im vorläufigen 27er-Kader einen großen internationalen Titel im Verein gewonnen.

Unter Löw pflegt die Nationalmannschaft seit jeher flache Hierarchien. 2014 gab es mit Lahm und Schweinsteiger aber zwei echte Leitwölfe, deren Wort beim gesamten Trainerstab enormes Gewicht hatte. Diese Rolle soll sich in Russland auf mehrere Schultern verteilen; insbesondere auf die der Bayernspieler Neuer, Hummels, Boateng und Müller sowie auf Sami Khedira. Mit Neuer droht der etatmäßige Kapitän aber schon mal auszufallen, Boateng muss nach seinem Muskelbündelriss erst wieder richtig fit werden.

Mangelnde Strahlkraft

Zum anderen mangelt es dem aktuellen Kader ein wenig an Strahlkraft. Mit Jonas Hector ist der Kapitän der schlechtesten Bundesliga-Mannschaft der abgelaufenen Saison gesetzter Linksverteidiger. Im Sturm tummeln sich mit Timo Werner, Mario Gomez und Nils Petersen drei Angreifer, die international kaum in Erscheinung getreten sind. Werner spielte mit Leipzig immerhin Champions League und erreichte das Viertelfinale der Europa League.

Marco Reus und Julian Draxler spielen zwar in großen Klubs, kamen in den letzten Monaten aufgrund von Verletzungen (Reus) oder Bankstatus (Draxler in Paris) aber nie in den Rhythmus. Mesut Özil hat als Stammspieler des FC Arsenal zweimal in Folge die Qualifikation für die Champions League verpasst und reist mit einem lädierten Rücken ins Trainingslager. Leroy Sane ist ein echtes Juwel und Stammspieler bei Manchester City, aber auch bei ihm fehlen auf der Visitenkarte Erfolge und nachhaltig starke Leistungen auf internationalem Terrain. Gleiches gilt für seinen Teamkollegen Ilkay Gündogan.

Startelf, Bankdrücker, WM-Tourist: die Yahoo Sport-Einschätzung des 27-Mann-Kaders

Khedira muss es (alleine) richten

Mit Marvin Plattenhardt, Jonathan Tah, Matthias Ginter, Julian Brandt und Leon Goretzka stehen zudem fünf weitere Spieler im Kader, die 2017/18 weder in der Champions League, noch in der Europa League aktiv waren. Mit Emre Can fehlt ein Spieler im Kader, der beim Champions-League-Finalisten FC Liverpool Stammspieler war, ehe er sich im März am Rücken verletzte. Allerdings hatte Can bis zuletzt Hoffnung, rechtzeitig für die WM fit zu werden.

Durch seine Nicht-Nominierung geht der deutschen Mannschaft auch Wettkampfhärte ab. Can hat herausragende Zweikampf-Fähigkeiten; er liebt es, sich dem Gegner in den Weg zu stellen und um jeden Ball zu fighten. Ein Eigenschaft, die gerade in Spielen gegen körperlich robuste Teams wie Vorrunden-Gegner Mexiko unabdingbar ist. Sami Khedira scheint in dieser Disziplin eine Art Einzelkämpfer im 2018er-Kader zu sein.

Die Kader-Zusammenstellung hat Joachim Löw zu verantworten. Bei den letzten großen Turnieren kann er anhand der erreichten Ergebnisse nie wirklich falsch gelegen haben. Zudem ist er nicht dafür verantwortlich, dass ein Mario Götze seit Jahren stagniert und Klubs wie Borussia Dortmund, Schalke 04 oder Bayer Leverkusen, die stets viele Nationalspieler gestellt haben, international nichts reißen.

Der Bundestrainer hat den seiner Meinung nach besten Kader beisammen. In Russland wird sich zeigen, ob er wieder einmal Recht behielt.