Werbung

Fehleranalyse: So muss es beim DFB jetzt weitergehen

Der deutsche Fußball steht vor einem der größten Umbrüche seiner Geschichte. Zumindest sollte er das. Aber wie viel Revoluzzertum steckt im Altherrenverein DFB? Die Zeit des Wandels birgt viele Chancen. Und aktuell auch viele Gefahren.

Joachim Löw wird die DFB-Elf auch in Zukunft betreuen.
Joachim Löw wird die DFB-Elf auch in Zukunft betreuen.

Die meisten werden sich ohnehin noch recht gut erinnern, der Vollständigkeit halber aber sei der Status Quo des deutschen Fußballs noch einmal kurz dargelegt. Als Gruppenletzter schied die Nationalmannschaft bei der WM in der Vorrunde aus. Bundestrainer Joachim Löw arbeitet (hoffentlich) an einer Fehleranalyse, im Urlaub in Italien. Die Führungsriege um Oliver Bierhoff und Reinhard Grindel überbot sich bis vor Kurzem mit schäbigen Interviews. Und über allem schwebt noch immer die nicht aus der Welt geräumte Erdogan-Affäre.

Der deutsche Fußball – mit der berechtigten Qualitätsdebatte um die Bundesliga und dem drohenden Chaos im Zuge des erkauften Sommermärchens, die beide noch im Hintergrund wabern – hat im Sommer 2018 keinen Knacks erlitten, er liegt auf dem Boden. So tief im Dreck wie noch nie, fast schon totgetrampelt von einer Katastrophe nach der nächsten.

Der finale Nackenschlag, das 0:2 gegen Südkorea bei der WM, ist jetzt fast drei Wochen her. Passiert ist seitdem nicht viel. Ein paar Beteuerungen, dass es Analysen geben werd, “tiefgreifende Maßnahmen” und “klare Veränderungen”, wie Löw es ausdrückte. Na gut, und den Zuruf aus der Führungsetage in Richtung des Bundestrainers, noch vor jeder dieser Analysen, “Hey Jogi, willste weitermachen?”, quittiert mit einem Nicken des Bundestrainers, der anschließend kommentarlos in den Urlaub verschwand.

Immerhin steht mit dem 24. August das Datum fest, an dem Löw und Bierhoff der sportlichen Führung eine Analyse vorlegen sollen. Eine Fehleraufarbeitung, wie das alles nur hat passieren können. Und hoffentlich, weil es noch viel wichtiger wäre, einen Ausblick: Wie kann, ja, wie muss es jetzt weitergehen beim DFB?

Der Moment des großen Scheiterns: Südkorea kegelt die deutsche Elf aus dem Turnier.
Der Moment des großen Scheiterns: Südkorea kegelt die deutsche Elf aus dem Turnier.

Ausgerechnet gegen Frankreich, ausgerechnet in München

Zwei Wochen nach der Löw’schen Analyse steht das erste Spiel für den DFB seit dem WM-Aus in der UEFA Nations League an. Abgesehen davon, dass der DFB aktuell wie ein Trümmerhaufen daherkommt, könnten die Rahmenbedingungen schlimmer nicht sein: Am 6. September geht’s gegen den frisch gebackenen Weltmeister Frankreich. Und das ausgerechnet in München, wo die Begeisterung für das Nationalteam ohnehin vergleichsweise zurückhaltend ist, hat man doch den FC Bayern, der für schönen Fußball und viele Titel sorgt.

Viel Zeit bleibt da nicht für Korrekturen zwischen Analyse und Spiel, mit zwölf Tagen sogar bedenklich wenig. Zumal diese Korrekturen heftig ausfallen sollten. Angefangen bei Löw selbst, der sich jetzt so radikal neu erfinden muss wie noch nie, der mit den anstehenden Entscheidungen weit aus seiner geliebten Komfortzone raus muss.

Die schnelle, unhinterfragte Entscheidung, weiter Bundestrainer zu bleiben, heißt ja nicht zwangsläufig, dass der 58-Jährige der falsche Mann für den Neuaufbau des Teams ist. Dazu muss Löw aber wohl nicht nur Dinge wie seinen Führungsstil ändern, wie Philipp Lahm in einem vielbeachteten Beitrag kürzlich analysiert hatte. Der Bundestrainer hat sich bei der WM mehr als nur einmal vercoacht. Er muss weg von alten Systemen, sollte neue Dinge wagen und etablieren. Er muss sich Gedanken um das Personal machen, was in seinem direkten Umfeld anfängt: sind zum Beispiel Thomas Schneider und Marcus Sorg als Einflüsterer die richtige Wahl als Co-Trainer? Oder bräuchte es einen unbequemen, aber meinungsstarken Experten?

Confed-Cup-Helden rein – Özil und Gündogan raus?

Natürlich müssen diese konsequenten Entscheidungen auch innerhalb der Mannschaft gefällt werden. Wobei es mittlerweile, da die heile Welt des vierten Sterns kollabiert ist, wohl einfacher ist, sich von verdienten Spielern wie Mario Gomez oder Weltmeistern wie Sami Khedira zu trennen, die wohl – so unangemessen das auch klingen mag – auf dem Weg in eine neue Ära Altlasten wären.

Zudem wird kein Weg daran vorbeiführen, endlich auch den Confed-Cup-Gewinnern eine wichtigere Rolle im Team zuzuweisen. Joshua Kimmich hat diese schon, aber auch Julian Brandt, Leon Goretzka oder dem nicht einmal für die WM nominierten Leroy Sane, um nur die offensichtlichsten Kandidaten zu nennen.

Und dann bleibt natürlich noch das Rätselraten um die Zukunft von Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die beiden Nationalspieler, die mit den Fotos zusammen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unwissentlich einen Tsunami ausgelöst hatten, der die Mannschaft das ganze Turnier über begleitet hatte und bis heute überschattet. Ein halbherziges Statement von Gündogan ist weiterhin alles, was von den beiden Spielern zum Thema kam. Özil schweigt beharrlich seit Wochen, was ihn in der Flut an überhitzten Meinungen und Stammtisch-Statements schon fast wieder eine Spur sympathischer macht.

In jedem Fall ist die Zukunft der beiden im weißen Trikot ungewiss. Es war sensationell naiv von Löw und Co., sie überhaupt mitzunehmen. Özil und Gündogan hätten bei der WM zuhause bleiben müssen. Und zwar alleine aus dem Grund, weil sie einen Fehler gemacht haben, der, auch ganz objektiv betrachtet, der Mission der Nationalmannschaft extrem geschadet hat. Eine Zukunft über die WM hinaus schließt der Fehltritt aber nicht aus. Es bleibt abzuwarten, wie und ob die Spieler noch auf das Geschehene reagieren. Und ob sich die beiden, allen voran Özil, das mit der Nationalmannschaft überhaupt noch antun wollen.

Die Reaktionen auf das deutsche WM-Aus in Russland.
Die Reaktionen auf das deutsche WM-Aus in Russland.

Bierhoff und Grindel agieren erbärmlich

Eng verknüpft mit der Causa Özil/Gündogan/Erdogan sind auch die Namen von Bierhoff und Grindel, die Köpfe hinter dem miesesten Krisenmanagement, das man sich nur hätte vorstellen können. Ihre Interviews in Welt und kicker, in denen sie Özil in den Rücken fielen und den Arsenal-Star passend zur Meinung der am lautesten brüllenden Kritiker zum Sündenbock degradierten, waren als Gipfel der ganzen Posse erbärmlich. Jämmerliche Versuche, die eigene Haut zu retten. Und auch wenn es wohl mittlerweile bis zu beiden durchgedrungen ist, dass Schweigen die bessere Variante und die Hitze aus der Debatte raus ist, müssen beide Personalien dringend in Frage gestellt werden.

Die von Bierhoff, der die personifizierte Entfremdung des DFB von seinen Fans ist und der während des Turnierverlaufs vor allem mit seinem bemerkenswerten Wankelmut auf sich aufmerksam machte. Bierhoff hatte die Situation nie unter Kontrolle, keifte Medienvertreter an, lobte das (nicht vorhandene) Krisenmanagement des DFB, ruderte dann nach seinen Özil-Aussagen wenig glaubwürdig zurück. Sein Verhältnis zu Löw soll so schlecht wie nie sein, so habe Bierhoff das WM-Quartier in Watutinki durchgeboxt. Ein dermaßen trostloser Komplex an einem trostlosen Ort, dass es die Spieler nächtelang vor die Spielekonsole gezogen haben soll.

Auch Präsident Grindel hat es spätestens mit seiner Forderung nach einer Entschuldigung Özils ins Kreuzfeuer Kritiker geschafft. Grindel, über den immer mehr unappetitliche Details aus seiner Zeit als CDU-Bundestagsabgeordneter zum Vorschein kommen. Als “Rechtsaußen” , “gewieften Strippenzieher” und “absoluten Opportunisten” bezeichnet ihn der ehemalige Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu. Noch 2013, so berichtet Tagesspielgel, habe Grindel eine Rede zur doppelten Staatsbürgerschaft gehalten: “Was Grindel da von sich gab, war nicht nur tendenziös. Es war reinster AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab”, erinnert sich Mutlu. Dieser Mann soll als Präsident dem deutschen Fußball vorstehen?

Versöhnung oder tiefer in den Dreck

Große Umbrüche gehen in den meisten Fällen auch mit personellen Konsequenzen einher. Ein Abtreten von Grindel und Bierhoff wäre definitiv das Gesündeste für den DFB. Doch die Gefahr ist groß, dass sich Bierhoff und Machtmensch Grindel an ihre Positionen klammern werden. Und so ein Neuaufbau, eine kompletten Neustrukturierung des Verbandes quasi nicht möglich wäre.

Rein sportlich werden beide Personalien aber zunächst keine Auswirkungen haben. Auch nicht am 6. September, wenn es gegen Frankreich in ein Spiel geht, das plötzlich eine ungeahnte Tragweite besitzt. Die entzürnten Fans könnten mit einem guten Ergebnis wohl wieder etwas beruhigt werden.

Oder, und das ist aktuell zu befürchten, der neue Weltmeister trampelt den ehemaligen noch tiefer in den Dreck.