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DFB-Team besteht Reifeprüfung gegen Niederlande: "Gibt uns einen Riesenpush!"

Das DFB-Team hat den Auftakt in die Qualifikation zur EM 2020 erfolgreich absolviert. Gegen die Niederlande gab es einen 3:2-Sieg, der Bundestrainer Joachim Löw stärkt und doch einige Fragen unbeantwortet ließ. Von Patrick Strasser.

Das DFB-Team siegte dank Nico Schulz mit 3:2 gegen die Niederlande. (Bild: Getty Images)
Das DFB-Team siegte dank Nico Schulz mit 3:2 gegen die Niederlande. (Bild: Getty Images)

Auf dem Weg zum Mannschaftsbus, auf Ebene zwei der Johan Cruyff Arena von Amsterdam, wurde Joshua Kimmich hinterrücks von Nico Schulz überholt. Der Bayern-Profi drehte sich um, schnappte sich den Hoffenheimer und rief ihm feierlich zu: “Da ist ja das Goldköpfchen!” Der Matchwinner des 3:2 zum Auftakt der EM-Qualifikation gegen Gastgeber Holland verzückte das gesamte DFB-Lager.

Dabei hatte seinen Last-Minute-Treffer doch “mit seinem rechten Huf”, nicht dem starken linken, erzielt, wie er selbst sagte. Aus merkwürdiger Position für einen Linksverteidiger. “Frag’ mal Marco”, meinte Schulz und zielte auf den eingewechselten Reus ab, “der hat sich auf meine Position gesetzt, da musste ich ja irgendwo anders hin.“ Und rein das Ding, fertigmachen zum Jubeln: endlich wieder ein großes Spiel gewonnen, endlich wieder große Emotionen nach Schlusspfiff.

Nur zwei Weltmeister von 2014 in der Startelf

Im ersten wirklich wichtigen Spiel seit dem größtmöglichen Debakel, dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland sowie dem anschließenden Herbst, der mit dem Abstieg aus der höchsten Klasse der Nations League endete, überzeugte die runderneuerte Umbruch-Elf von Bundestrainer Joachim Löw.

Man war mit einer Startelf, in der in Torhüter Manuel Neuer und Spielgestalter Toni Kroos nur zwei “echte” Weltmeister von 2014 standen (Matthias Ginter hatte damals in Brasilien keine Minute gespielt) angetreten, mit einem Durchschnittsalter von 25,18 Jahren. Als Außenseiter. Nach der 0:3-Ohrfeige an Ort und Stelle in der Nations League Mitte Oktober letzten Jahres und dem 2:2 im Rückspiel im November, als man in Gelsenkirchen eine 2:0-Führung noch verspielte. Diesmal auch.

Doch dann setzte man einen drauf, den “lucky punch”, wie Vorlagengeber Reus den Schulz-Schuss ins Glück nannte. “Das Siegtor war eine Willensleistung, die den Charakter der Mannschaft zeigt“, erklärte Reus, mit 29 Jahren mittlerweile einer der Oldies im Team, der wegen Oberschenkelbeschwerden nicht von Beginn an auflaufen konnte. Leroy Sané und Serge Gnabry trafen, ein Tor super herausgespielt, das zweite eine 1A-Einzelleistung. Und dann kam der unscheinbare Schulz. Sechstes Länderspiel, zweites Tor, zuvor hatte er den Führungstreffer von Sané ideal vorbereitet.


Mit Wucht und Wille glückte der erste Auswärtserfolg in Holland seit 23 Jahren in Holland. Sieben Neue bot Löw gegenüber dem So-lala-Test gegen Serbien (1:1) letzten Mittwoch auf. Neben Tempo und Dynamik forderte Löw vor allem Variabilität im Nach-WM-Jahr ein, also agierte seine Elf in der Vorwärtsbewegung in einem 3-5-2-System, wobei Leon Goretzka die beiden Angreifer Sané und Gnabry punktuell mit Antritten in die Spitze unterstützte.

Gegen den Ball, in der Rückwärtsbewegung, reihten sich die Löw-Mannen in ein 3-2-5 ein. Sehr, sehr defensiv – von der Formation her. Dennoch mutig, weil man schlaues Pressing spielte und gute Umschaltsituationen schuf. Und endlich zielstrebig war. 2:0 zur Pause – so etwas hatte man lange nicht gesehen. Eine souveräne Halbzeit, die beste seit der WM 2014, seit dem Titelgewinn in Brasilien.

Joshua Kimmich: “Die zweite Halbzeit ging ganz klar an Holland“

Doch dann folgte der Einbruch. Die junge, in einigen Aktionen noch zu grüne, Elf fing sich den frühen Anschlusstreffer durch einen Kopfball von Matthijs de Ligt (48.). Gegen die nun viel zu passiven, ja ängstlichen Gäste traf Memphis Depay per Flachschuss zum Ausgleich – 2:2 (63.). “Die zweite Halbzeit ging ganz klar an Holland“, gab Kimmich zu.

Doch man konnte “zurückschlagen“. Der Mittelfeldspieler weiter: “Für uns ist der Sieg unbeschreiblich wichtig, weil wir in der Vergangenheit immer wieder in den letzten Minuten Gegentore kassiert und damit gute Ergebnisse verspielt haben. Einfach extrem wichtig für die Stimmung und das Selbstvertrauen. Wir haben extreme Qualität. Das war die perfekte Reifeprüfung, das tut uns brutal gut.“ Denn: Wer gewinnt, hat Recht. Es gab zahlreiche Zeugnisse der Freude. “Das gibt uns einen Riesenpush“, sagte Gnabry. “So etwas schweißt zusammen und hilft bei der Entwicklung, in der wir uns befinden“, meinte Goretzka. So hört sich eine Wiedergeburt an.

“Man hat gemerkt: Die Spieler wollten, hatten den nötigen Zusammenhalt, auch in schwierigen Phasen ist die nicht auseinandergerissen worden“, fand Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, “am Ende haben sie sich belohnt. Eine tolle Leistung, ein wichtiger Sieg in dieser Drucksituation. Das hilft der Mannschaft, die kommenden Spiele mit einer etwas größeren inneren Ruhe und Sicherheit anzugehen.“ Was natürlich auch für den zuletzt nicht mehr unumstrittenen Löw gilt. Der sagte glücklich: “Wir haben gefightet und gekämpft. Die Mannschaft hat den Glauben an sich bis zum Schluss nicht verloren.“

DFB-Team macht großen Schritt zur EM 2020

Dieser Erfolg im ersten Qualifikationsspiel für die Zum-Teil-Heim-EM 2020 (mit mindestens zwei Vorrundenpartien in München) verspricht einiges und gewährt Löw Ruhe für die nächsten Monate. Die Quali ist bereits nach dem Auftakt ein ganzes Stück leichter geworden. Angesichts der anderen Gruppengegner Nordirland, Weißrussland und Estland war die Aufgabe in Amsterdam das heißeste Eisen dieses Kalenderjahres. Test mit Bravour bestanden, Haken dran an die Reifeprüfung.

Das nächstes Qualifikationsspiel am 8. Juni in Weißrussland dürfte gegen einen eher defensiv orientierten Gegner eine zähe Angelegenheit werden.