DFB-Team: Umbruch, ja aber ...

Auch er zeigte sich gegen Frankreich verbessert: Manuel Neuer. FOTO: EFE/IAN LANGSDON
Auch er zeigte sich gegen Frankreich verbessert: Manuel Neuer. FOTO: EFE/IAN LANGSDON

Wieder verloren – auch wenn vieles besser war: Das DFB-Team zieht gegen Frankreich beim 1:2 den Kürzeren. Bundestrainer Joachim Löw beweist Mut. Aber das reicht (noch) nicht. Von Patrick Strasser, Paris.

Zuerst die nackten Fakten: Und die bringen eine bittere Erkenntnis. Die Nationalelf und Bundestrainer Joachim Löw haben 2018 einen Rekord aufgestellt, einen Negativrekord, den sie sogar noch – ketzerisch formuliert – ausbauen können. Sechs Niederlagen hat es in einem Kalenderjahr noch nie gegeben, in 110 Jahren Länderspiel-Historie nicht.

0:1 gegen Brasilien im März, 1:2 gegen Österreich während der WM-Vorbereitung, 0:1 gegen Mexiko und 0:2 gegen Südkorea beim blamablen WM-Vorrunden-Aus in Russland und nun binnen vier Tagen in der Nations League erst das 0:3 in den Niederlanden und nun das 1:2 in Frankreich. Macht sechs Pleiten und bedeutet den drohenden Abstieg aus der Top-Gruppe des neu geschaffenen Uefa-Wettbewerbs. Bei der nächsten Auflage im Herbst 2020 spielte man dann wohl in einer zweitklassigen Liga gegen Verbände wie Island, Polen, Österreich oder Finnland.

Doch dieses knappe Pleite in Paris war anders, fast schon ein 1:2-Erfolg. Eine deutliche Steigerung gegenüber dem Untergang von Amsterdam, als man am Ende des Spiels von einer furiosen Talente-Auswahl in Oranje böse vorgeführt worden. Bundestrainer Joachim Löw hatte Mut bewiesen, der zweiten Reihe, der „Jugend“ eine Chance gegeben, er hatte endlich Veränderungen vorgenommen.

Dreiersturm mit Werner, Sané und Gnabry

Die taktisch und personell neu ausgerichtete DFB-Elf machte gegen die zunächst arrogant-abwartenden Franzosen Dampf, kombinierte frech und mutig. Vor allem der neu formierte Offensiv-Dreizack mit Timo Werner (22), Leroy Sané (22) und Serge Gnabry (23). Der Bayern-Profi war erst nach der verletzungsbedingten Absage von Leon Goretzka nachnominiert worden und rückte nun überraschend in die Startelf. Eine gute Idee von Löw. Thomas Müller musste draußen bleiben. Wie vier weitere Spieler des 0:3 in Holland. Jérome Boateng (muskuläre Probleme), Jonas Hector, Emre Can, Müller und Mark Uth wurden durch Thilo Kehrer, Niklas Süle, Nico Schulz, Gnabry und Sané ersetzt. Zusammen kamen diese Fünf vor Anpfiff auf gerade einmal 31 Länderspiele. Löw machte aus der Not eine juvenile Tugend. Und ging Risiko? Mitnichten! Denn mit der Aufstellung der „next generation“ war klar: Sie dürfen Fehler machen. Und Löw machte damit keinen Fehler, zog so den Kopf aus der Schlinge einer Fahrt aufnehmenden Diskussion um seine Person. Um den Bundestrainer („Mit dem Druck kann ich umgehen. Wenn das alles war, halte ich es aus“) dürfte es trotz der knappen Niederlage nun ruhiger werden, die Kritik abebben. Das Endspiel um seinen Job hat der 58-Jährige 1:2 gewonnen.

DFB-Team in der Einzelkritik: Jungstars nutzen ihre Chance

Löw sprach von einer „sehr, sehr guten Reaktion“, man sei „auf Augenhöhe mit dem Weltmeister“ gewesen. Stimmt. In der ersten Halbzeit sogar überlegen. Toni Kroos verwandelte einen Handelfmeter zur Führung, die Franzosen wachten erst nach der Pause aus ihrer Lethargie auf. Antoine Griezmann traf zunächst per weltmeisterlichem Kopfball, dann per Elfmeter nach angeblichem Foul von Hummels an Matuidi – für Löw ein „absolut unberechtigter Elfmeter“. Das 1:2 trübte die Stimmung beim DFB, nahm aber nicht die Hoffnung, die aus dem Spiel in St. Denis erwachsen ist. „Das Resultat spiegelt das Spiel wieder nicht wider. Es hat so ausgesehen, als würde wir nicht gegen den Weltmeister spielen, sondern gegen ein Frankreich, das Angst vor uns gehabt hat“, sagte Kapitän Manuel Neuer, der sich formverbessert präsentierte und bei den Gegentreffern machtlos war.

“Hoffnung für die Zukunft”

„Ich finde, dass wir ein Stück Umbruch gesehen haben“, fand DFB-Präsident Reinhard Grindel, „was die Mannschaft gezeigt hat, ist etwas, das Hoffnung für die Zukunft macht.“ Und Teammanager Oliver Bierhoff meinte: „Wir müssen als Mannschaft weiterwachsen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir den Weg weitergehen werden.“ Die entscheidende Frage ist: Setzt Löw wirklich weiter auf die Jugend? Die Startelf in Paris war im Schnitt 25,4 Jahre alt und damit um mehr als zwei Jahre jünger als jene von Amsterdam. Aber vor allem: Was macht er mit seinen Weltmeistern von 2014?

Löw schwört auf seine Achse, hält an ihr in Nibelungen-Treu fest. An Torhüter Neuer (32), der – siehe das zögerliche und dann verbockte Rauslaufen vor dem 0:1 – mittlerweile vom Welttorhüter auf Normalformat gestutzt wurde. Am meist hinterherlaufenden Innenverteidiger-Duo Mats Hummels (29) und Jérôme Boateng (30), beide nicht mehr auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. An Toni Kroos (28), der aktuell auch bei Real Madrid eine Kreativitätsauszeit nimmt. Schließlich an Thomas Müller (29), der Fünfte im Rio-Bunde, von dem man auf dem Rasen nur noch den Schatten des einstigen Raumdeuters erahnen kann.

Wer bleibt von der Achse?

Diese Achse, zu der bei der WM in Russland noch Mesut Özil und Sami Khedira gehörten, ist porös, Risse sind erkennbar. Der Bruch eine Frage der Zeit. In Paris zeigte sich: Kroos wird weiter gebraucht, als erfahrener Spiellenker, der seine Nebenleute im Mittelfeld führt. Hummels kämpft – das zeigte die gute Leistung gegen die Franzosen – um seinen Platz im Abwehrzentrum neben dem körperlich robusten und schnellen Süle. Neuer ist gesetzt, auch wenn ein Einsatz von Ersatzmann Marc-André ter Stegen, Stammtorwart beim FC Barcelona, keinen Qualitätsverlust mit sich bringt. Blieben Müller und Boateng. Ihrer Leistungskurve zufolge müsste Löw für sie künftig höchstens noch als Joker Verwendung haben.

Warum Löw weiter zögert

Doch für den harten Schnitt, für den tatsächlichen Umbruch ist Löw noch zu zögerlich. „Man muss immer sukzessive einen Umbruch einleiten“, sagte er am späten Dienstagabend in Paris und betonte: „Wir brauchen grundsätzlich schon eine Achse.“ Löw sprach davon, dass „drei, vier Spieler der WM eine schwierige Phase“, aber „das Fußball spielen nicht von heute auf morgen verlernt“ hätten. „Wir brauchen immer noch den Mix aus jungen Spielern und Erfahrung.“ Müller sei nach wie vor „absolut wichtig“, ein „Antreiber, der andere im Training mitzieht, mit den jungen Spielern spricht und sie motiviert“. Die Leistung seiner Mannschaft sei „klasse“ gewesen, „sehr, sehr ansprechend“, die jungen Spieler hätten es „gut gemacht“. Und dann setzte Löw zum großen Aber an: „Konstant auf hohem Niveau zu spielen, braucht Zeit, da braucht es Erfahrung, meist gelingt das erst mit 25, 26 Jahren. Das ist normal.“ Der Umbruch wird also weiter aufgeschoben, ist nur einer Marke light?

Dabei wäre der Verjüngungsprozess eigentlich: alternativlos.