Die maximale Enttäuschung

Die maximale Enttäuschung

Sie hatten lange gewartet auf diesen Tag – und er endete mit einer maximalen Enttäuschung: Die Champions League-Premiere von Borussia Mönchengladbach. Dabei war es noch nicht einmal die Tatsache, dass der Auftakt mit 0:3 in Sevilla verloren ging – es war vielmehr die Art und Weise, wie sich der deutsche Vertreter in der andalusischen Metropole präsentierte, die die Sorgen beim aktuellen Tabellenletzten der Bundesliga weiter vergrößern. Und es waren nicht nur diese tölpelhaft durch Brouwers und Jantschke verursachten Elfmeter oder das Eigentor von Sommer, Gladbach brachte vor allem über die komplette Spielzeit keinen kontrollierten Spielaufbau zu Stande, wirkte in allen Grundtugenden des Fußballs überfordert. Sevilla (als Tabellenachtzehnter in Spanien auch nicht gerade vor Selbstvertrauen strotzend) wirkte nicht nur fußballerisch besser, die Spanier waren auch schneller und engagierter. Wie schon gegen den HSV in der Bundesliga ließen die Fohlen wieder die einfachsten Dinge vermissen. So war man mit dem 0:3 noch gut bedient, auch ein 0:6 wäre möglich und auch in dieser Höhe verdient gewesen.

Lucien Favre ist als Trainer ein Puzzlespieler, ein Tüftler, der seine Mannschaft immer wieder in die Einzelteile zerlegt und sie so lange wieder neu zusammensetzt, bis er die richtige Kombination gefunden hat. Dafür wurde er in den vergangenen Jahren am Bökelberg zurecht gefeiert, aber ob er so eine Wende hinbekommt? Wer die Borussia in diesen Tagen sieht, spürt förmlich die Verunsicherung und das hilflose Auftreten der Spieler legt die Vermutung nahe, dass ihnen vor allem eines fehlt: Vertrauen. Nun kann das Selbstvertrauen des Teams nach dem Fehlstart in der Liga natürlich nicht intakt sein, aber vielleicht wäre ein etwas schlichterer Ansatz a la Labbadia jetzt angebrachter – und Vertrauen auf eine Stammformation, die sich finden und einspielen muss. Mit den ständigen Positionswechseln findet man jedenfalls nicht die vielbeschworenen „Automatismen“ wieder.

Drmic kann Kruse (noch) nicht ersetzen
Mit Neuzugang Drmic hat man für viel Geld einen klassischen Mittelstürmer eingekauft, auf den Favre aber nur für etwa 1,5 Spiele setzte, möglicherweise wäre es für den Spieler hilfreich, ihm über einen längeren Zeitraum das Vertrauen zu schenken. Natürlich verteidigt Drmic nicht wie Kruse, aber er ist ein eminent torgefährlicher Mann – und das könnte unter dem Strich Defensivschwächen mehr als ausgleichen. Etwas anders gelagert ist die Situation bei Lars Stindl, der im Gegensatz zu Drmic bisher zwar in der Mannschaft geblieben ist, aber auf vier verschiedenen Positionen eingesetzt wurde und von Spiel zu Spiel schwächer wird. Wenn Favre seine Neuzugänge nachhaltig demontieren wollte, dann hat er das bisher ausgezeichnet gemacht.

Aber es sind natürlich nicht nur die Neuen, auch die Leistungsträger der Vorsaison spielen um Klassen schwächer und lassen den Betrachter ratlos zurück: Ist das wirklich Raffael, der da spielt? Oder ein Double, weil der echte Raffael von Außerirdischen entführt worden ist? Eine offensive Mittelfeldreihe Hahn – Raffael – Traore hätte in der Vorsaison Angst und Schrecken verbreitet, in Sevilla torkelten sie über den Platz wie angetrunkene Clowns – harmlos und tollpatschig. Und das Konzept ohne Stürmer klappt überhaupt nicht, diesmal durfte sich der unglückliche Hazard vorne versuchen, aber warum, wenn der Schweizer Trainer schon nichts von Drmic hält, man keinen Versuch mit Hrgota (der 14/15 durchaus einige gelungene Auftritte als Backup hatte) startet, bleibt auch unklar – Torgefahr ging von dieser Offensive jedenfalls wie gegen Mainz, Bremen oder den HSV nicht aus.

Findet Favre die Reset-Taste?
Normalerweise müsste die Borussia jetzt die Reset-Taste drücken und mit einem klaren und einfachen Konzept versuchen, etwas Sicherheit zu gewinnen um mit Glück einen Punktgewinn im Derby zu landen und in den kommenden Wochen darauf aufzubauen. Ob Favre das hinbekommt? Fraglich, vieles erinnert an seine letzten Wochen bei Hertha BSC, wo er nach erfolgreicher Arbeit auch kein Mittel gegen das Abrutschen mehr fand.

Oft genannt wird natürlich die offensichtliche Parallele zu Borussia Dortmund, die in der vorigen Saison auch unvermutet hinten reingerutscht sind. Gebetsmühlenhaft verkünden die Experten, dass Gladbach „da unten wieder rauskommt“, man habe „viel zu viel Qualität in der Mannschaft“ und so weiter… Aber: Der BVB hatte vor Jahresfrist Spieler wie Hummels, Gündogan, Reus, Mkhitaryan – Spieler mit dieser Qualität (und in dieser Gehaltsklasse) spielen nicht in Mönchengladbach. Hier waren es in den vergangenen Jahren eben nicht die Stars, die großen Einzelspieler, sondern das Kollektiv, das die Stärke ausmachte. Und eben dieses Kollektiv liegt im September 2015 in Trümmern.