Diese Szene darf nicht verharmlost werden - und muss Folgen haben

Hallo F1-Fans,

Baku steht normalerweise für Spektakel, Crashs, reihenweise Saftey-Car-Einsätze und viel Action auf der Strecke. Die diesjährige Version war aber eher ein Wolf im Schafspelz.

Es ging überaus gesittet zu, lediglich Nick de Vries zerhackt mit einem Mauerkuss die vordere linke Radaufhängung und bleibt liegen. Bei Zhous Alfa Romeo führt eine Überhitzung zu einem vorzeitigen Feierabend. Ansonsten Racing as usual.

Als Aufreger in Erinnerung bleiben wird in erster Linie die Szene in der letzten Runde, als Ocon extrem spät seinen Pflichtboxenstopp antreten will und ein Rudel Fotografen bereits in der Boxengasse unterwegs ist. Der Franzose rast auf diese Gruppe zu, einige können gerade noch so zur Seite springen, bevor sie vom Alpine erfasst werden.

Die Verharmlosung, Ocon habe da nur die vorgeschriebenen 80 km/h pro Stunde drauf, ist nichtig. Ein Aufprall bei dieser Geschwindigkeit kann absolut tödlich sein. Diese Szene ist ein absolutes No-Go! Ohne Wenn und Aber!

Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Die Fotografen stehen dicht gedrängt an einem Eingang zur Boxengasse, um sich einen möglichst guten Platz für die Ankunft der ersten Drei zu sichern. Beim Aussteigen gibt es oft die besten, emotionalsten Bilder. Die will man natürlich haben.

Dass in diesem Wartebereich die Kollegen nicht genau mitbekommen, was draußen auf der Strecke passiert, ob bereits alle über der Ziellinie sind, oder noch Boxenstopps ausstehen, ist nachvollziehbar. Aber da gibt es ja Diejenigen, die verantwortlich dafür sind, den Zugang zur Boxengasse zu öffnen. Die müssen den Überblick haben. Oder zumindest so geleitet und angewiesen werden, dass Risiken ausgeschlossen werden.

Die Formel 1 ist keine Kleingärtnerversammlung

Wer immer das Go zum Öffnen des Gates gibt, trägt eine enorme Verantwortung und sollte sich dieser auch bewusst sein. Dieses Prozedere muss nachgeschärft und überarbeitet werden. Ein solches Szenario darf sich nicht wiederholen! Die Formel 1 ist keine Kleingärtnerversammlung, sondern eine hochprofessionelle Veranstaltung, bei der die Sicherheit immer an erster Stelle stehen muss!

Mit dem Fazit „nochmal Glück gehabt“ darf man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Signale sind da, dass dies bei den zuständigen Gremien angekommen ist.

Die Überlegenheit der Red Bull hatte auch in Baku Bestand. Was mich freut, ist die Entscheidung von Marko und Horner, die beiden Jockeys frei gegeneinander racen zu lassen. Eine Stallorder soll es nicht geben, solange keine Gegner in direkter Nähe sind, und von einem Gebalge zwischen Verstappen und Perez profitieren könnten.

Beide haben jetzt jeweils zwei Siege auf ihrem Konto, Perez liegt schmale sechs Punkte hinter Titelverteidiger Verstappen. Das könnte noch reizvoll werden. Der Sieg in Baku hat Perez mit Sicherheit eine Menge Auftrieb für das anstehende Rennen in Miami gegeben, wo die Ränge voller mexikanischer Fans sein werden!

Er weiß, dass seine Zeit bei Red Bull endlich ist, sein Vertrag ausläuft. „Jetzt oder nie“ wird zunehmend sein Motto werden. Er wird zunehmend seine eigenen Ziele verfolgen, egoistischer auftreten. Was für Verstappen zu einer echten Herausforderung und zu einem Problem werden könnte.

Erinnerungen an das Duell Hamilton gegen Rosberg

Ich erinnere mich an das teaminterne Duell zwischen Hamilton und Rosberg, das sich im Verlauf einer Saison so hochschaukelte, dass beide nicht mal mehr den Namen des anderen in Interviews in den Mund nahmen.

Perez wird sich darüber im Klaren sein, dass im Fall des Falles die Entscheider bei Red Bull Verstappen den Rücken stärken. Der Niederländer hat einen langfristigen Vertrag, soll noch über Jahre für das Team die Kohlen aus dem Feuer holen und Titel einfahren. Ich bin gespannt darauf, wie Marko und Horner das Ganze über die Saison moderieren.

Gilt auch für Fred Vasseur. Er muss schauen, dass Leclerc nicht zu ungeduldig wird und zunehmend Frust schiebt. Zum achten Mal in seiner F1-Karriere konnte der Monegasse eine Pole nicht in einen Sieg ummünzen. Ihm ist dabei aber nichts vorzuwerfen. Sein Bolide gibt einfach nicht mehr her.

Auf eine fliegende Runde kann Leclerc die Red Bull – Kollegen herausfordern, sogar schlagen, wie seine Pole beweist. Im Renntrimm hinkt Ferrari aber noch böse hinterher. Leclerc glaubt sogar, dass Aston Martin im Renntrimm noch schneller ist als seine Rote Göttin. Die Aufholjagd von Alonso belegt das. Am Ende hatte Leclerc nicht mal mehr eine Sekunde Vorsprung auf den Spanier.

Vasseur verspricht für jedes jetzt anstehende Rennen Updates für die Ferraris. Aber neue Teile müssen auch funktionieren. Die Ingenieure müssen lernen und verstehen, wie man das Auto für die Renndistanz schneller macht. Eine Herkules-Aufgabe bei dem Vorsprung von Red Bull. Darüber täuscht auch die erste Podiumsplatzierung dieser Saison nicht hinweg.

Die zweite Baustelle heißt Carlos Sainz. Der Spanier wollte diese Saison durchstarten bei Ferrari, konstant Top-Leistungen abrufen. In Baku wurde er von Teamkollege Leclerc am Nasenring durch die Manage gezogen. Er kommt mit dem Auto nicht zurecht, verheddert sich immer wieder im Set-Up-Dschungel. Was zu Selbstzweifeln und fehlendem Selbstvertrauen führt.

Platz 5 liest sich ordentlich. Aber 45 Sekunden Rückstand auf Perez sind ein Haufen Holz. Angesichts der Safety-Car-Phase, die das Feld wieder zusammengeführt hat, heißt das, dass Sainz pro Runde gute 1,5 Sekunden verloren hat!

Mercedes irgendwo im Nirgendwo

Wo war eigentlich Mercedes? Irgendwo im Nirgendwo mit den Plätzen 6 und 9 für Hamilton und Russell. Nur ein Training stand zur Verfügung, und in dem haben die Sterne-Ingenieure nicht gemerkt, dass sie mit dem Set-Up in die falsche Richtung marschiert sind. Danach herrschten Parc Fermé-Bedingungen, gravierende Veränderungen waren ohne Bestrafung nicht mehr möglich.

Die beiden Fahrer mussten sich mit stumpfen Waffen abquälen, blieben deshalb vom Start weg chancenlos, was Podiumsplatzierungen angeht. Das kann und wird dem Team nicht genügen.

Mercedes ist das erstmals ausgetragene Format mit einem Qualifying fürs Sonntagsrennen bereits am Freitag, und dem reinen Sprintsamstag ohne Training, auf die Füße gefallen. Prinzipiell ist während des Wochenendes mit diesem Modus mehr Action drin. Der Samstag wird absolut aufgewertet. Der Freitag durch das Qualifying ebenfalls.

Den Teams wird aber die Möglichkeit geraubt, ausführlich Veränderungen und neue Teile an den Fahrzeugen zu testen. Setzt man im einzigen Training mit dem Set-Up aufs falsche Pferd, ist das gesamte Wochenende im Eimer. Das spielt denen in die Karten, die von Haus aus gut aufgestellt sind. Sprich Red Bull. Und macht es den Jägern schwerer, aufzuholen. Was nicht der Sinn der Sache sein kann im Kern. Ab und zu mal gerne. Aber bitte nicht zu oft. Sonst werden Grand Prix immer mehr zu Roulette-Veranstaltungen, bei denen nur die eine Chance haben, die bereits im einzigen zur Verfügung stehenden Training auf die richtige Farbe gesetzt haben. Zufallstreffer bedingen keine konstante Weiterentwicklung.

Die ist aber notwendig, wenn man besser werden will. Vor allem im äußerst hart umkämpften Mittelfeld. Da war in Baku eine klare Steigerung von McLaren mit dem neuen Unterboden festzustellen. Auch Albon im Williams hat sich sehr respektabel geschlagen. Ebenso ein Nico Hülkenberg, solange die Reifen an seinem Haas funktioniert haben.

Zuletzt hatten wir eine knapp vierwöchige Pause. Jetzt geht es Schlag auf Schlag weiter. Kommendes Wochenende bereits Miami, danach nochmal kurz durchatmen mit einem freien Wochenende, bevor der Triple-Header in Europa ansteht. Heißt 5 Rennen in 6 Wochen. Für alle, die im Fahrerlager üblicherweise 12 bis 15-Stunden-Jobs abreißen ein Irrsinn. Der dringend überdacht gehört!

In dieser Hinsicht sind 23 Rennen pro Jahr einfach zu viel, wenn man den Kalender nicht entzerren kann.

Miami wird wieder Big-Showtime werden. Die Bühne für Glamourstars aus Film, Show und Sport-Business steht bereit.

Bis dahin wünsche ich eine gute Zeit, bleiben Sie gesund!

Pedal To The Metal Ihr Peter Kohl.