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Diese Probleme muss Kohfeldt bei Werder lösen

Die Lage in Bremen nach dem 1:4 gegen Hertha zu dramatisieren, ist nicht angebracht.

Wer sich die beiden Mannschaften und ihre Geschichten im Vorfeld etwas näher angeschaut hat, der konnte ziemlich genau erwarten, was es auf dem Rasen dann auch zu sehen gab.

Hertha ist Werder mittlerweile ein gutes Stück voraus. Die Berliner konnten im vergangenen Jahr über 130 Millionen Euro allein an Ablösesummen ausgeben, investierten in hochdotierte und langfristige Verträge mit Spielern der Kategorie "Soforthilfe".

Gegen Bremen wurde in vielen entscheidenden Situationen deutlich, wie weit Hertha qualitativ den Bremern inzwischen überlegen ist.

Wo Werder neben seinen Krisen-Stürmern Yuya Osako und Davie Selke zum Beispiel auf einen jungen und unerfahrenen Leihspieler setzen musste, Tahith Chong - der einzige Neuzugang in der Startelf kommt auf gerade 15 Profi-Einsätze - hatte Hertha mit Lucas Tousart, Matheus Cunha und Krzysztof Piatek drei international Begehrte auf dem Platz, alle in diesem Jahr neu in den Verein geholt. In individueller Klasse waren die Berliner dem Um-ein-Haar-Absteiger sehr weit voraus.

Selke und Bittencourt enttäuschen

Werder Bremen wartet ebenfalls dringend auf einen großen Transfer - allerdings in die andere Richtung: Milot Rashica soll weg. Von Kaufen kann an der Weser keine Rede sein, es geht nur ums Verkaufen, darum, akut benötigtes Geld in die leeren Kassen zu bekommen.

Die Corona-Monate und ihre Begleiterscheinungen haben den Klub schwer gezeichnet, die Gefahr schien zwischenzeitlich groß, alles auf die Krise zu schieben. Den Spielern, aber auch sich selbst, den handelnden Personen, mit den unerwarteten Einschnitten ein zu großes Alibi zu geben.

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Die letzten großen Ausgaben des Managements gelten bis jetzt als fehlinvestiert, weder Selke oder Leonardo Bittencourt konnten offensiv begeistern, noch der häufig verletzte Ömer Toprak die Abwehr verstärken.

Der schwedische Verteidiger Felix Beijmo, für den der Verein mal drei Millionen Euro Ablöse ausgegeben hatte, in Bremen viel Geld, wurde im Sommer zum Nulltarif abgegeben, um ihn zumindest von der Gehaltsliste zu bekommen. Er spielte keine einzige Bundesliga-Minute für Werder.

Werders Probleme im Überblick

Wer an Werder Bremen andere Erwartungen als den Klassenerhalt stellt, liegt voll daneben. Der Kader ist im Grunde der gleiche wie in der letzte Saison, andere Vereine konnten sich verstärken. Doch was Trainer Florian Kohfeldt, anders als in der vergangenen Saison, nun zum Verhängnis werden könnte, ist, wenn seine Mannschaft nicht mal die richtige Einstellung auf den Platz bringt.

Baumann nach Start "sehr, sehr ernüchtert"

Wenn es an der Basis fehlt, an den Grundvoraussetzungen. Spielerisch unterlegen, das müssen sie in vielen Partien der neuen Saison akzeptieren, aber eben nicht, was den Einsatz betrifft.

Sportchef Frank Baumann zeigte sich nach dem Saisonauftakt "sehr, sehr ernüchtert, sowohl vom Ergebnis, als auch von der Leistung". Die Spieler seien "nicht aggressiv in den Zweikämpfen" gewesen, sie hätten sich "nicht gegenseitig geholfen".

Ein viel härteres Urteil lässt sich für das erste Bundesligaspiel kaum fällen, direkt nach der Vorbereitung, die eine Mannschaft eigentlich zusammenschweißt.

In eben dieser Vorbereitung ließ Kohfeldt sein Team ausschließlich gegen unterklassige Gegner antreten, Werder sammelte viele gute Ergebnisse - und verlor den Blick für die Bundesliga-Realität?

Geduldsfaden für Trainer Kohfledt ist dünner

Das große Bremer Glück ist, nun gegen Schalke zu spielen. Die sind seit 17 Bundesliga-Spielen ohne Sieg und wirken, gerade nach dem 0:8 von München, heillos durcheinander.

Schalke ist einer der wenigen Gegner, die Werder diese Saison auf Augenhöhe trifft. Die Aufsteiger noch, vielleicht Union Berlin. Da müssen Siege her, sonst wird aus dem geplanten Neu-Start einfach die Verlängerung der letzten Grusel-Saison.

Die Bremer Erwartungen an die Tabelle sind nicht mehr hoch, aber der grün-weiße Geduldsfaden dünn, und das betrifft vor allem Trainer Kohfeldt und den sportverantwortlichen Geschäftsführer Baumann, der ist deutlich dünner geworden.

Tobias Holtkamp, der Autor dieses Textes, war in der Chefredaktion von Sport Bild und Chefredakteur von transfermarkt.de. Heute berät er Sportler und Marken in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung. Für SPORT1 schreibt Holtkamp als Chef-Kolumnist die wöchentliche "Bundesliga-Kolumne".