Doping-Experte: "Bei Nadal habe ich einen Dauerverdacht"

Doping-Hammer kurz vor Beginn der Australian Open!

Der Chilene Nicolas Jarry wurde wegen eines positiven Dopingtests vorläufig gesperrt, auch der Kolumbianer Robert Farah (Nummer 1 der Doppel-Weltrangliste) wurde positiv getestet.

Für Professor Fritz Sörgel sind diese Befunde der aktuellste Beleg dafür, dass im Tennis häufiger gedopt wird als in den meisten anderen Sportarten (DATENCENTER: Australian Open).

Der angesehene Doping-Experte vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg begründet im SPORT1-Interview, warum er Tennis für eine Sportart hält, die sehr anfällig für Dopingpraktiken ist. Er skizziert Vertuschungsmaßnahmen und sagt, warum er gegen Rafael Nadal einen Verdacht hegt.

"Tennis in Top vier, wenn es um Doping geht"

SPORT1: Herr Sörgel, ein doppelter Doping-Skandal erschüttert den Tennissport. Sowohl Nicolas Jarry als auch Robert Farah, immerhin die Nummer eins der Doppel-Weltrangliste, wurden positiv auf anabole Substanzen getestet. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Sörgel: Anabolika sind Klassiker im Tennis. Insofern überrascht es mich nicht. Ich beobachte das Geschehen seit Jahrzehnten und habe mir ein Bild gemacht.

SPORT1: Und wie sieht dieses Bild aus?

Sörgel: Tennis ist in den Top vier, wenn es um Doping geht.

SPORT1: Woran machen Sie das fest?

Sörgel: An der Belastung. Es gibt den Verdacht, dass es anabole Substanzen in größerem Ausmaß im Tennis gibt. Und der Verdacht ist durchaus berechtigt. Der Grund ist die Intensität des Sports. Das ist nicht nur reine Spekulation, sondern die Betrachtung aller Zusammenhänge innerhalb und außerhalb der Turniere.

Jetzt aktuelle Sportbekleidung bestellen - hier geht's zum Shop | ANZEIGE

SPORT1: Jarry wurde positiv auf Ligandrol und Stanozolol getestet, Farah auf Boldenon. Letzterer beteuert, er habe die Substanz versehentlich durch Fleischkonsum in Kolumbien zu sich genommen. Wie sehr glauben Sie ihm?

Sörgel: Gar nicht. Das sind alles Ausreden, ein Déjà-Vu im Tennis. Es versehentlich zu sich genommen zu haben, ist die Standard-Ausrede. Es gab genug Fälle, in denen die Sportler es auch geschafft haben, damit durchzukommen, sogar vor dem CAS. Aber es bleibt eine Ausrede. Dass sie auffliegen, liegt meist daran, dass sie Fehler gemacht haben. Zum Beispiel berechnen sie die Zeit falsch, zu der sie wieder clean sein müssen.

DAZN gratis testen und Tennis-Highlights live & auf Abruf erleben | ANZEIGE

SPORT1: Wie sieht es mit den großen Namen im Tennis aus? Dopen die nicht oder werden sie nur nie erwischt?

Sörgel: Es gibt in der Vergangenheit schon berühmte Fälle. Mats Wilander oder Martina Hingis, die mit Kokain erwischt wurden, Wilander wurde mit drei Monaten Sperre milde bestraft, ein Kavaliersdelikt quasi. Hingis soll die Droge in den Orangensaft gemischt worden sein, sie wurde immerhin zwei Jahre gesperrt. Und bei André Agassi wurde CrystalMeth nachgewiesen, es galt als Partydroge und hatte keine Sperre zur Folge.

Doping-Experte: Darum werden Stars nicht positiv getestet

SPORT1: Das ist lange her, wie sieht es heute aus?

Sörgel: Dass in letzter Zeit keiner der Großen positiv getestet wurde, liegt an zwei Dingen. Zum einen werden diese bestens betreut und beraten, sodass keine Auffälligkeiten auftreten können. Zum anderen schützen die Verbände ihre Stars. Wenn es nie rauskommt, nie publik wird, kann man es auch nicht kommentieren, nur den Verdacht hegen. Das ist das Bedauerliche. Es fällt trotzdem auf, gerade jemandem wie mir, der die Szene seit Jahren verfolgt.

SPORT1: Sie sprechen von Betreuung und Beratung. Was meinen Sie damit im Speziellen?

Sörgel: Einflussreiche Sportler haben um sich herum ein "professionelles Umfeld", wie man sagt, das sich um eine optimale Versorgung der Spitzenathleten von der Ernährung und Einnahme von zunächst Erlaubtem bis hin zu ausgefeilten Physiotherapieformen kümmert, das genau weiß, wie der Körper ihres Schützlings funktioniert und wann Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht sind, die mit legalen Mitteln nicht überschritten werden können. Es gibt genug Techniken, um dann verabreichtes Doping zu verschleiern.

SPORT1: Und die wären?

Sörgel: Angenommen, eine Substanz kann nur bei dem Wert von 1 ermittelt werden. Dann nimmt der Sportler einfach fünf verschiedene Substanzen mit dem Wert von 0,2. Diese ergeben dann die Summe 1, mit derselben Wirkung, können aber nicht positiv getestet werden. Aber, das muss man beherrschen, Jarrys Berater aber scheinbar nicht. Er hat zumindest zwei Präparate gemischt, die er für nicht nachweisbar hielt. Beim Ligandrol wundert es mich nicht, dass es schief gegangen ist. Die Substanz ist chemisch etwas ganz anderes wie die bekannten Steroid-Anabolika und ist wissenschaftlich im Vergleich zu Letzteren wenig untersucht.

Sörgel: "Nadal hat Auffälligkeiten gezeigt"

SPORT1: Bei welchem großen Tennisspieler hegen Sie einen Verdacht wegen Dopings?

Sörgel: Rafael Nadal hat einige Auffälligkeiten gezeigt. Da habe ich einen Dauerverdacht. Bezüglich Regeneration und seiner gesamten Athletik. Hinzu kommt, dass er auch noch aus Spanien kommt, einem Land, das nicht gerade dafür bekannt ist, seine Helden besonders genau zu verfolgen. Anabole Substanzen wären die Kandidaten.

SPORT1: Sie sagten, Tennis sei für Sie in den Top vier des Dopingmissbrauchs. Welche Sportarten zählen Sie noch dazu?

Sörgel: Ganz oben steht der Wintersport mit seinen Langlaufdisziplinen und Biathlon. Das hat die "Operation Aderlass" letztes Jahr gezeigt, die in Erfurt ihren Anfang nahm. Darunter kommt die Leichtathletik, gefolgt vom Radsport. Und ja, dann kommt auch schon Tennis. Dass ich mich nicht irre, zeigt der Fall Sharapova aus dem Jahr 2016. Die war tatsächlich in der Spitze. Es ist ja nicht so, dass noch kein Großer aufgefallen ist. Auch Sharapova hat versucht sich zu erklären, aber das war ebenso eine Ausrede. Die Substanzen in ihrem Körper waren kein Zufall, die milde Sperre betrug 15 Monate. Ebenso wie der Fall Sara Errani ein Jahr später, die angeblich aus Versehen das hormonell wirkende Krebsmittel ihrer Mutter einnahm, was zu einem positiven Dopingbefund führte und mit dieser Ausrede Erfolg hatte: ganze zwei Monate Sperre. Eigentlich ein riesen Skandal, der relativ wenig Aufmerksamkeit hervorrief. Man kann seit einigen Jahren eine gewisse Abstumpfung der Öffentlichkeit gegenüber positiven Dopingtests im Sport beobachten. So kommt es oft zu milden Strafen. Die Aufmerksamkeit der Medien ist von enormer Bedeutung.

SPORT1: Sie sprachen vom Radsport. Nach den ganz großen Dopingfällen ist es nun etwas stiller geworden. Glauben Sie an Besserung?

Sörgel: Zunächst habe ich daran geglaubt. Aber im Fall Froome wurde sich verrechnet und plötzlich schlägt der Wert doch wieder aus. Die Verbände versuchen den Sport reinzuwaschen. Da verschwindet einiges und die Sperren, falls überhaupt, fallen sehr milde aus. Froome hat große Zweifel in mir geweckt, dass es sich im Bereich der Top-Athleten wirklich gebessert hat.