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Großes Entsetzen über Bachs Olympia-Entscheidung

IOC-Präsident Thomas Bach öffnet Russland die Tür für Olympia - und entfacht einen Sturm der Kritik. Athletenvertreter Maximilian Klein befürchtet beim Thema Neutralität ein mieses Spiel.

IOC-Präsident Thomas Bach bekommt für seine Entscheidung viel Kritik. (Bild: dpa)
IOC-Präsident Thomas Bach bekommt für seine Entscheidung viel Kritik. (Bild: dpa)

„Verheerendes Signal“, „Verhöhnung der Toten“ - und der Weltsport vor dem Sturz ins Chaos?

Thomas Bach hatte mit Gegenwind gerechnet, doch was am Morgen nach dem „Tag der Schande“ auf ihn einprasselte, sucht auch in der Ära des umstrittenen Sportfunktionärs aus Würzburg seinesgleichen. Politiker, Medien und Sportler aus den westlich geprägten Teilen der Welt reagierten mit Wut und Entsetzen auf die IOC-Entscheidung in der Russland-Frage.

Die Zeitung USA Today verlieh Bachs IOC die „Goldmedaille für Feigheit und Heuchelei“, auch in Bachs Heimat fallen viele Reaktionen schärfer als üblich aus.

„Hohn und Spott für die Opfer dieses Krieges“

Athletenvertreter Maximilian Klein etwa hält die Wiederzulassung der russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportler selbst unter den vom IOC definierten Bedingungen für falsch.

„Wenn ein Aggressor, der einen Staat überfällt, Teil dieser Bewegung bleiben darf, obwohl diese sich für Frieden einsetzt, dann ist das Hohn und Spott für die Opfer dieses Krieges“, sagt Klein im SID-Interview: „Es betrifft auch die ukrainischen Athleten, die im Bombenhagel sterben, deren Sportstätten zerstört werden und die kämpfen müssen.“

Olga Charlan, als Fechterin ein Star in ihrer Heimat, ist am Boden zerstört. „Alle reden von den Russen. Die haben alles. Training in den besten Hallen, in ihren Riesenpalästen in Russland. Ein friedliches Leben im Familienkreis“, sagte die Olympiasiegerin der FAZ: „Bei ihnen geht es um die Möglichkeit anzutreten. Bei uns geht es ums Überleben.“

In Russland wiederum geht den Verantwortlichen die an Bedingungen geknüpfte Wiedereingliederung nicht weit genug. Über „Diskriminierung“ beschwerte sich Stanislaw Posdnjakow, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Russlands, im Staatsfernsehen und nannte Bachs Beschluss eine „Farce“.

Boykott? Es sieht (noch) nicht danach aus

Zur selbigen könnten viele Sportwettkämpfe verkommen, auch die Olympischen Spiele in Paris. Das Beispiel Charlan und der ukrainischen Fechter, die den sportlichen Vertretern des Aggressors im Weltcup und der Olympia-Qualifikation gewichen sind, weist den Weg, den das IOC mit seiner Entscheidung pro Russland beschritten hat: „Es kann sein, dass die eigentlichen Opfer boykottieren, und dass sie zum Rückzug gezwungen werden“, sagt Klein.

Boykott. Das ungeliebte Wort, das beim IOC niemand hören mag. Bislang deutet allerdings auch (noch) wenig darauf hin, dass sich westliche Staaten einem durchaus möglichen Rückzug ukrainischer Sportler anschließen könnten.

Einen deutschen Boykott schließt DOSB-Chef Thomas Weikert „aus grundsätzlichen Erwägungen aus“. Bis zu den Olympischen Spielen im kommenden Jahr hofft er offenbar auf die Einsicht der Verbände. Es sei schließlich, so Weikert in den ARD-Tagesthemen, eine „Empfehlung“ und „noch keine Entscheidung“.

Schärfere Töne schlägt die Politik an. Vertreter verschiedener Parteien und Länder verurteilten die IOC-Linie und forderten vehement, den Ausschluss der kriegstreibenden Nationen aus dem Weltsport aufrechtzuerhalten.

Die „Wiederzulassung“ sei „eine Verhöhnung der über 220 toten ukrainischen Trainer, Athletinnen und Athleten. Zum Wohl, Herr Bach“, schrieb Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Twitter über ihren soeben aus der FDP ausgetretenen Ex-Parteifreund. Polens Außenminister Piotr Wawrzyk nannte den Mittwoch einen „Tag der Schande für das IOC“.

Wer ist wirklich neutral? Athletensprecher befürchtet mieses Spiel

Die empfohlenen Schritte mögen auf dem Papier gut aussehen, das IOC hat Neutralitätskriterien definiert und sie vor allem geschärft - doch die Zweifel an einer angemessenen Umsetzung sind massiv. Athletenvertreter Klein spricht von Empfehlungen, die von den Weltverbänden übergangen werden können.

„So entsteht organisierte Verantwortungslosigkeit, wie wir das auch schon im russischen Staatsdoping-Skandal beobachtet haben.“ Zudem sei „völlig unklar, was passiert, wenn russische auf ukrainische Athleten treffen“. Der neutrale Status schütze Russen und Belarussen nicht davor, „dass die Individualathleten von dritter Seite für Kriegspropaganda instrumentalisiert werden“.

Thomas Bach, seinem IOC und dem gesamten Weltsport stürmische Wochen und Monate bevor.

Im Video: Biometrische Überwachung: "Big Brother" zu Olympia in Paris