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Tour-Drama um Fast-Sieger Roglic: "Ich habe geweint"

Tadej Pogacar hat in einem Showdown für die Geschichtsbücher die Sensation geschafft. Beim letzten Zeitfahrt-Rennen entreißt er seinem slowenischen Landsmann Primoz Roglic den schon sicher geglaubten Tour-Sieg.

Primoz Roglic verliert beim letzten Zeitfahren den schon sicher geglaubten Sieg bei der Tour de France.
Primoz Roglic verliert beim letzten Zeitfahren den schon sicher geglaubten Sieg bei der Tour de France.

Auf der 20. Etappe hat sich der Slowene überraschend das Gelbe Trikot von Landsmann Primoz Roglic geschnappt und diesem damit den sicher geglaubten Tour-de-France-Sieg abgejagt.

Führender wird auf dem finalen Teilstück traditionell nicht mehr angegriffen

Damit geht der 21-Jährige, der das spannende Bergzeitfahren für sich entschied, als Gesamtführender auf die 21. und letzte Etappe Da der Führende auf dem finalen Teilstück traditionell nicht mehr angegriffen wird, darf sich Pogacar, sollte er unfallfrei auf den Champs Élysées ankommen, über den Tour-Sieg freuen (Die Gesamtwertung der Tour de France). Pogacar, der am Montag 22 wird, würde dann als erster slowenischer Sieger und jüngster Champion der Frankreich-Rundfahrt seit 116 Jahren in die Historie eingehen.

Cycling - Tour de France - Stage 20 - Lure to La Planche des Belles Filles - France - September 19, 2020. UAE Team Emirates rider Tadej Pogacar of Slovenia, wearing the white jersey for best young rider, after finishing. Pool via REUTERS
Tadej Pogacar gewinnt das letzte Zeitfahren und holt sich auf der vorletzten Etappe der Tour de France das Gelbe Trikot. (Bild: Reuters)

Roglic wurde damit unter dramatischen Umständen zum tragischen Helden der diesjährigen Tour - und rang um Fassung.

"Ich bin enttäuscht, ich werde weinen - ich habe es bereits getan", sagte der 30-Jährige, der aber ein guter Verlierer sein wollte: "Es ist, wie es ist. Ich hätte mir ein etwas anderes Ergebnis gewünscht, aber ich kann es nicht ändern. Ich hatte nicht meinen besten Tag und Tadej war in einer anderen Welt."

Pogacar: "Ich glaube, ich träume"

Roglic war mit 57 Sekunden Vorsprung in den brutalen Kampf gegen die Uhr an der Planche des Belles Filles gestartet, aber an seinem wohl schwärzesten Tag der Karriere hatte er seinem Landsmann vor allem in der zweiten Hälfte der Etappe nicht mehr viel entgegensetzen und wurde mit 1:56 Minuten Rückstand nur Fünfter. In der Gesamtwertung trennen die Slowenen nun 59 Sekunden.

Pogacars Aufholjagd weckte Erinnerungen an das legendäre Duell zwischen dem Franzosen Laurent Fignon und Greg LeMond 1989, bei dem Fignon auf der letzten Etappe 50 Sekunden Vorsprung verspielte und dem US-Amerikaner den Sieg überlassen musste. Während es bei Fignon und LeMond aber in den Wochen zuvor hin- und hergegangen war, verbrachte Roglic zwei Wochen in Gelb - was seinen verpassten Triumph nun noch dramatischer macht.

Radsport: Hat das slowenische Tour-Märchen einen Schatten?

Nach dem Rennen zeigte sich Pogacar selbst über den Coup überrascht: "Ich glaube, ich träume. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wann ich das kapieren werde. Mein Traum war eigentlich, mitzufahren, jetzt stehe ich hier. Ich bin so stolz auf die Mannschaft. Es ist eine große Leistung, das Gelbe Trikot am letzten Tag zu gewinnen. Ein großer Traum, aber wir haben es geschafft."

Tageszweiter wurde Roglics niederländischer Teamkollege Tom Dumoulin. Pogacar übernahm auch die Führung im Bergtrikot und verteidigte das weiße Trikot für den besten Nachwuchsfahrer.

Brutaler Kurs setzt Roglic zu

Wie konnte es zu dieser unglaublichen Wende kommen?

Roglic war um 17.14 Uhr als letzter Starter von der Rampe gerollt, die Ausgangslage war für den starken Zeitfahrer sehr gut. Der Mann in Gelb begann auf dem unheimlich selektiven Kurs - zuerst eben, dann spürbar ansteigend und die letzten sechs Kilometer als steile Rampe - dosiert, lag bei der ersten Zwischenzeit nur auf Platz fünf und 13 Sekunden hinter Pogacar.

Bis zum Anstieg der Schlusssteigung verlor Roglic weitere Sekunden auf Pogacar. Beide wechselten am Fuß der Steigung ihr Rad, stiegen von der Zeitfahr- auf die Bergmaschine um. Als Roglic bei der Vier-Kilometer-Marke ankam, war sein Vorsprung aufgebraucht. Der entfesselte Pogacar gab weiter Gas, Roglic hatte nichts mehr zuzusetzen und verlor Sekunde um Sekunde.

Bienenstich in den Mund! Schock für Tour-Profi

Das hammerharte Zeitfahren an der "Planke der schönen Töchter" sorgte nicht nur an der Spitze für riesige Abstände. "Es ist ein extrem schwieriges Zeitfahren. Der Scharfrichter ist La Planche de Belle Filles, er Anstieg ist extrem schwer, sehr ungleichmäßig", sagte Tony Martin. Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister hatte die Muße, den Kurs ohne zu große Anstrengungen betrachten, hatte rund sieben Minuten Rückstand. Im Ziel verfolgte er dann entgeistert mit, wie sein Jumbo-Teamkollege Roglic den großen Triumph aus der Hand gab.

Tour de France: Schachmann auf der Etappe bester Deutscher

Tour-Debütant Pogacar wird am Sonntag auf den Champs-Elysees gekrönt. Jünger war in der Geschichte der Grande Boucle nur ein Sieger: Im Jahr 1904 triumphierte der 19-jährige Henri Cornet.

Bester Deutscher war Max Schachmann auf Platz 17. "Ich habe mich in den vergangenen Tagen nicht mehr so fit gefühlt, bin heute nach Gefühl gefahren, und am Ende war es gar nicht so schlecht", sagte der Bora-Profi: "Es hat schon weh getan da hoch, aber die Atmosphäre war großartig."

Als Letzter des Gesamtklassements und damit als Erster war um 13 Uhr Roger Kluge gestartet. Der deutsche Routinier des Lotto-Soudal-Rennstalls behielt die Rote Laterne, wird sie wohl als erster Deutscher nach Willy Kutschbach im Jahr 1935 auch in Paris behalten. Sein Rückstand auf den Spitzenreiter - mehr als sechs Stunden auf Pogacar - ist der größte eines Schlusslichts seit 1955.

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Mit Sport-Informations-Dienst

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