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Löwe: "Wettbewerbs-Verzerrung von ganz besonderem Ausmaß"

Chris Löwe war immer schon ein Typ klarer Worte. Nach dem 0:2 seines Klubs Dynamo Dresden bei Holstein Kiel am Donnerstag, das den Klassenerhalt in weite Ferne hat rücken lassen, platzte dem 31-Jährigen der Kragen und er attackierte die Deutsche Fußball Liga.

Mit tränenerstickter Stimme kritisierte der Verteidiger die Regeln rund um die Coronakrise, weil die Sachsen deshalb zwei Wochen später in den Spielbetrieb einsteigen mussten. Der DFB teilte am Freitag mit, dass Löwes Äußerungen kein Verfahren des Kontrollausschusses zur Folge haben.

Im Interview mit SPORT1 erklärt der frühere Dortmunder und Kaiserslauterer Löwe die Gründe seines Ausbruchs und die Gefühlswelt bei Dynamo vor dem Abstieg.

SPORT1: Herr Löwe, wie denken Sie nach einer Nacht darüber schlafen über Ihre Worte gestern nach dem Spiel?

Chris Löwe: Was am Donnerstag in der ganzen Emotionalität unterging, war, dass wir natürlich eine unterirdische Hinrunde gespielt haben. Was uns in die Situation gebracht hat, in der wir vor der Corona-Pause waren. Wir waren in der Rückrunden-Tabelle, glaube ich, Fünfter. Wir waren einen Punkt hinter dem Relegationsplatz, hatten alle Möglichkeiten, uns aus eigener Kraft da raus zu ziehen. Was danach mit uns passiert ist, das ist einfach eine Wettbewerbsverzerrung von ganz besonderem Ausmaß. Es gibt in der 2. Liga keinen Klub, der in jedem Spiel fünf, sechs Positionen wechseln muss und am Ende seine Ziele erreicht. Und dann gibt es noch etwas Wichtiges ...

SPORT1: Nämlich?

Löwe: Der Drei-Tages-Rhythmus ist für mich nicht das entscheidende Problem. Das entscheidende Problem ist, dass wir die einzigen sind, die diesen Rhythmus spielen und die einzigen in Deutschland und wahrscheinlich auch in Europa waren, die vor ihrem Re-Start in Heim-Quarantäne waren - also nicht in der Lage waren zu laufen, nur Fahrrad gefahren sind und dadurch die körperlichen Voraussetzungen auch noch mal ganz andere waren.

Löwe: Es geht allein darum, mit dem Produkt Geld zu verdienen

SPORT1: Sie haben die DFL kritisiert und gesagt denen wäre es "scheißegal", was mit Dynamo passieren würde.

Löwe: Ich bleibe dabei, dass man das Gefühl bekommt, dass es einzig und alleine darum geht, das Produkt weiterlaufen zu lassen, Geld damit zu verdienen und das alles so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, damit die Bundesliga und die 2. Liga die ersten Ligen der Welt sind und man gut dasteht und mehr Geld verdient werden kann. Wir hätten uns einfach eine faire Chance gewünscht, doch die haben wir definitiv nicht bekommen. Am Anfang der Corona-Zeit wurde ganz groß von diesem Solidaritätsgedanken gesprochen, doch den gibt es nicht. Wenn man gewollt hätte, dass es andere Lösung gegeben hätte, dann wäre das möglich gewesen. In anderen Ländern ist es auch möglich, über den 30. Juni hinaus zu spielen. Da enden die Spielerverträge auch am 30. Juni. Warum ist Deutschland nicht in der Lage dazu? Das frage ich mich vor allem vor dem Hintergrund, was bei uns passiert ist mit der Quarantäne-Zeit. Da hätte ich mir gewünscht, etwas mehr Flexibilität rein zu bringen und uns zumindest eine faire Chance zu geben, das in einem sportlichen Wettbewerb auszutragen.

SPORT1: Wird der Fußball mehr und mehr zur Geldmaschine?

Löwe: Man hat das Gefühl, dass es nur darum geht. Und die Corona-Pandemie hat es klarer gemacht als es vorher schon war. Es geht nur um das Geld, nur um höher, schneller, weiter. Ich klopfe drei Mal auf Holz und bin sehr froh darüber, dass sich kein Spieler und auch kein Verantwortlicher mit dem Coronavirus infiziert hat. Damals, als die Entscheidung mit dem Re-Start getroffen wurde, konnte man das nicht zu 100 Prozent ausschließen. Und deshalb habe ich den Eindruck, dass für die DFL Geld an erster Stelle steht und nicht der Fußball. Ich spiele gerne Fußball und natürlich verstehe ich, dass das Produkt Bundesliga erhalten bleiben muss. Und ich will nach meinem Karriereende dann auch gerne Fußball schauen. Aber gerade ist es eine absolute Ausnahmesituation. Ich glaube, dass es da auch andere Lösungen gegeben hätte, die Saison zu Ende zu spielen.

Löwe: Die Tränen waren echt

SPORT1: Sie hatten nach dem Spiel am Donnerstag Tränen in den Augen. Beschreiben Sie bitte Ihre Gefühlswelt.

Löwe: Die Tränen waren echt. Bei mir ist das eine emotionale Geschichte. Ich bin im vergangenen Jahr schon mit Huddersfield aus der Premier League abgestiegen und kam logischerweise mit anderen Erwartungen nach Dresden. Was mich so aufgewühlt hat: Wenn du am Ende in einem fairen Wettbewerb absteigst, dann musst du dir am Ende selbst an die Nase fassen, weil es einfach nicht gereicht hat. Jetzt aber habe ich das Gefühl - und ich spreche für den ganzen Verein -, dass uns etwas geklaut wurde. Es kann keiner sagen, dass wir nicht auch unter normalen Bedingungen abgestiegen wären. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir nach dem 32. Spieltag über ganz andere Dinge sprechen würden, wenn diese Quarantäne im Vorfeld nicht gewesen wäre. Denn dann hätten wir ein normales Programm gehabt.

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SPORT1: Sie meinen die vielen Spiele in der kurzen Zeit?

Löwe: Es geht nicht nur darum, dass wir alle drei Tage spielen, sondern darum, dass wir in den vergangenen Wochen nur ein Mal mit dem Team trainiert hatten, bevor es wieder losging. Und dann werden wir in dieses Programm geschickt. Ein Training mit der Mannschaft war gar nicht möglich. Wir regenerieren am Tag nach dem Spiel, dann probieren wir irgendetwas Taktisches aus, was auch nicht zu viel sein darf, weil am nächsten oder übernächsten Tag wieder ein Spiel ist. Und so geht das seit dem Re-Start. Als Trainer kannst du gar nicht auf etwas Spieltaktisches einwirken. An der Tafel werden paar Männchen hin- und hergerückt, aber so ist das natürlich einfach.

SPORT1: Was würden Sie Christian Seifert in einem Vier-Augen-Gespräch sagen?

Löwe: Dass wir einzig und allein eine faire Chance haben wollten. Und die haben wir nicht bekommen. Deshalb habe ich auch am Donnerstag nach dem Spiel die berechtigte Frage gestellt: Wäre diese Situation genauso eingetreten, wenn der FC Bayern, Borussia Dortmund oder RB Leipzig in derselben Situation gewesen wären? Ich glaube, dass dann andere Mittel und Wege gefunden worden wären, um die Saison zu Ende zu spielen. Da kommst du dir schon verarscht vor. Wir sind ja nur ein Zweitligist, der eh absteigt.

"Mehr Solidarität wäre wichtig gewesen"

SPORT1: Die großen Klubs werden also am Ende des Tages bevorzugt?

Löwe: Das kann ich natürlich nicht beweisen, dass eine Entscheidung anders ausgefallen wäre. Aber ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Klub wie Bayern München, bei dem es um ganz andere Summen geht, in solch ein Programm wie wir geschickt worden wäre. Es haben sich auch andere beschwert …

SPORT1: Wer?

Löwe: Julian Nagelsmann zum Beispiel. Er hatte sich über die Spielansetzung aufgeregt, weil RB einen Tag weniger Pause zur Regeneration hatte als der kommende Gegner. Da merkt man schon, dass es ein Thema ist. Nicht bloß für Dynamo. Aber wir waren eben die einzigen, die in solch ein Programm geschickt wurden. Am Ende haben wir alles rausgehauen, was ging, aber es war für uns unmöglich, dieses Programm zu meistern.

SPORT1: Aber Sie glauben, dem FC Bayern wäre so etwas nicht zugemutet worden...

Löwe: Ich kann es nicht beweisen. Die Bayern sind natürlich das Aushängeschild des deutschen Fußballs. Und dass sie ein anderes Level haben als Dynamo, ist auch klar. Aber in dieser Zeit, die nicht nur für den Fußball schwierig ist, sondern für die ganze Bevölkerung, glaube ich einfach, dass etwas mehr Solidarität wichtig gewesen wäre.

Löwe: Dynamo wird mein letzter Verein sein

SPORT1: Es ist oft von Menschlichkeit die Rede. Gibt es die im Fußball noch?

Löwe: Es gibt immer weniger Menschlichkeit. Das ist aber kein Problem des Fußballs, sondern aller Gesellschaftsschichten. Man kann als Außenstehender schwer einschätzen, was sich in den Köpfen der Fußballer abspielt. Auch bei uns in der Mannschaft gibt es Spieler, die keine Millionen-Verträge haben, da geht es um die nackte Existenz. Da stellen sich die Fragen, wie es nächstes Jahr weitergeht. Habe ich einen Vertrag und wie kann ich meine Familie ernähren? Für Dynamo ist dieser Abstieg auch ein Riesen-Brett und jetzt gilt es, das Ganze irgendwie in eine Bahn zu lenken, dass es nächstes Jahr stabil weitergeht. Es gibt auch Jungs, die nicht so leicht mehre Monate ohne Vertrag überbrücken könnten, wie Patrick Ebert oder ich. Das fällt in der öffentlichen Wahrnehmung unter den Tisch.

SPORT1: In diesem Zusammenhang: Was halten Sie von dem neu gegründeten Spielerbündnis?

Löwe: Ich finde das als ersten Schritt sensationell. Den Satz von Mats Hummels mit den drei Playern fand ich sehr gut. Die Coronakrise hat gezeigt, dass es wichtig wäre, wenn die Spieler noch mehr gehört werden, und nicht, dass alles über deren Köpfe entschieden wird. Am Ende des Tages sind es wir Spieler mit all den Verantwortlichen und den Personen um das Team, die das größte Risiko tragen, sich mit dem Virus zu infizieren. Jetzt ist es aber an der Zeit, dass die Spieler noch stärker eine Meinung bekommen. Ich würde bei dem Bündnis mitmachen, wenn ich gefragt werde. Weil solch ein Zusammenschluss der ersten drei Ligen jetzt in dieser Zeit wichtiger denn je ist.

SPORT1: Letzte Frage: Sie haben noch zwei Jahre Vertrag. Wie geht es mit Ihnen weiter?

Löwe: Wenn ich ehrlich bin, kann ich gerade nicht sagen, ob ich den erfüllen werde. Das einzige, was ich zu 100 Prozent sagen kann, ist, dass Dynamo mein letzter Verein sein wird, für den ich spiele. Ob ich mit in die 3. Liga gehen werden, das muss ich mir mit den Leuten, die mir nahestehen, noch überlegen. Am Donnerstag hatten wir alle auf die Rettung gehofft, aber jetzt ist die Situation so, dass es unter normalen Umständen nicht mehr reicht. Jetzt müssen sich der Verein und ich Gedanken machen. In mir rumort es. Normalerweise kann es das nicht gewesen sein.