Das außergewöhnliche Team Zverev

Folgt man Legende Boris Becker, dann ist Alexander Zverev gerade so etwas wie der Tennis-Buddha bei den Australian Open. Der zweite Aufschlag sei "der Blick in die Seele eines Tennisspielers" hatte Becker im vergangenen Jahr mal gesagt - und an keinem Spieler lässt sich das so gut zeigen, wie an Deutschlands Nummer eins.

Wer ihn derzeit beim Aufschlag betrachtet, kann kaum glauben, dass da der gleiche Mann an der Linie steht, der beim Vorbereitungsturnier auf die Australian Open noch 31 Doppelfehler in nur drei Matches geschlagen hatte. Denn plötzlich ist der Aufschlag Zverevs Erfolgsgarant: Mit 56 Assen bei nur elf Doppelfehlern und einer Spitzenquote von 79 Prozent ersten Aufschlägen hat Zverev statistisch die besten Service-Werte der verbleibenden drei Spieler. Kurzum: In seiner Seele sieht es fabelhaft aus.

So sind auch die Aussichten für das anstehende Halbfinale gegen Dominic Thiem gut (Australian Open: Zverev - Thiem ab 9.30 Uhr im LIVETICKER), obwohl er gegen den Österreicher bislang nur zwei von acht Duellen gewonnen hat.

Woran liegt das völlig veränderte Bild, die plötzliche Ausgeglichenheit und Sicherheit, die sich im Aufschlag widerspiegelt? Die Rechnung ist einfach: Wenn im Team Zverev Harmonie und Zusammenhalt herrscht, dann läuft es auch auf dem Platz.

SPORT1 stellt die wichtigsten Figuren in seinem Team vor.

Vater Alexander Zverev sr.:

Zverevs Vater hat die Karriere seines Sohnes von frühester Kindheit an geplant und vorangetrieben. Er ist sein erster Ansprechpartner, Trainer und Mentor. Was viele nicht wissen: Er war selbst ein richtig guter Tennisspieler, ein eleganter Ästhet im Stile eines Roger Federer, der aber aufgrund der politischen Situation in Russland nicht über Platz 175 in der Weltrangliste hinauskam.

Öffentlich hält sich Vater Zverev komplett bedeckt, gibt kaum Interviews und fällt hauptsächlich durch seinen grimmigen Gesichtsausdruck auf. Er sei der "ganz normale Trainertyp", scherzte Zverev am Mittwoch in der Rod Laver Arena, "einer, der seinen Spieler im Grunde nicht besonders mag".

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Das ist aber nur Koketterie. Zverev jr. hat immer wieder betont, dass er nicht ohne seinen Vater auf die Tennis-Tour gehen könne, was die Arbeit mit anderen Trainern wie Juan Carlos Ferrero oder Ivan Lendl erschwert hat. Viele Tennis-Experten, auch Becker, haben dieses enge Verhältnis immer wieder kritisiert. Letztlich ist im Hause Zverev aber wohl keine Zusammenarbeit so fruchtbar wie die zwischen Vater und Sohn. Er ist der Hauptverantwortliche des Erfolgs. (Hier zum Spielplan der Australian Open 2020)

Freundin Brenda Patea:

Zverevs neue Freundin ist schnell zu einem vertrauten Gesicht in seiner Box geworden. Sie ist Saschas "größter Fan", wie sie kürzlich auf Instagram schrieb. "Sie gehört jetzt dazu, zu ihr habe ich Vertrauen", sagte Zverev. Die ehemalige "Germany's Next Topmodel"-Kandidatin aus Berlin mit rumänischen Wurzeln hatte vorher mit Tennis nichts zu tun - und genau das hilft dem Deutschen beim Abschalten.

"Wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Wir haben auch ein gemeinsames Lieblingsthema: Musik. Aber wir schauen uns natürlich auch mal einen schönen Film an. Und wir gehen gern spazieren, das lenkt uns beide ab", verriet Patea der Bild-Zeitung.

Zverev betont umgekehrt die Nähe, die er sucht und schätzt: "Wenn ich eine Person liebe und ihr vertraue, dann brauche ich sie auch neben mir - das ist wirklich so." War die neu gefundene Liebe im Winter noch ein Grund für manche ausgelassene Trainingsstunde, scheint sie Zverev jetzt zu beflügeln.

Hitting-Partner Sergej Bubka:

Der Ukrainer Bubka versuchte sich selbst länger auf der Profi-Tour, scheiterte aber und gab seine eigenen Karrierepläne 2016 auf. Während seiner aktiven Zeit war er ohnehin mehr als Sohn des weltbekannten Stabhochspringers Sergej Bubka sr. und Freund der ehemaligen Weltranglisten-Ersten Viktoria Azarenka bekannt. Dazu für seinen nicht allzu ehrgeizigen Trainingseifer und manche Eskapade, wie einen Sturz aus dem dritten Stock einer Pariser Wohnung.

Die etwas unkonventionelle, extrovertierte Art des Ukrainers kommt ihm bei seiner Funktion im Team Zverev als Mann, der alles macht, entgegen. Bubka ist Sparrings-Partner, Organisator und Frohnatur zugleich.

"Er ist für den Transport zuständig, organisiert die Hotels, er ist einer meiner besten Freunde, er macht alles. Abends gehe ich mit ihm dann an den Spielautomaten", schilderte Zverev bei Eurosport. "Immer mit einem Lächeln, immer fröhlich, immer gut gelaunt."

Mit seiner Vorgeschichte hat Bubka kein Problem im Schatten von anderen zu stehen. Die Spitzenspieler haben alle einen Typen "Bubka" im Team - und der ist am Erfolg maßgeblich beteiligt.

Fitnesstrainer Jez Green und Physiotherapeut Hugo Gravil

Green und Gravil begleiten Zverev bereits seit längerer Zeit, genau fünf und drei Jahre. Fitnesstrainer Green hat vorher bereits Andy Murray zum Spitzenathleten geformt, auch bei Zverev ist die körperliche Entwicklung deutlich zu merken. Dafür reicht ein schneller Blick auf seine Beine.

Dazu zeichnet Green ein enormes Tenniswissen aus, das er im Zverev-Team einbringen kann: "Er ist auch derjenige, der mal mit mir meinen Aufschlag und meinen Grundschlag analysiert", verriet Zverev bei Eurosport. "Teilweise sitzen wir zwei bis drei Stunden im Zimmer und schauen uns YouTube-Matches von 2014 an. Das mache ich mit ihm, weil er ein unglaubliches Auge für das Detail hat."

Physiotherapeut Gravil hat nicht nur ein gutes Händchen, sondern auch einen ausgereiften Humor: An Silvester tanzte der Franzose schon mal im Schottenrock ins neue Jahr. "Er ist der, der die Witze macht und alle irgendwie bei guter Laune hält", erklärt Zverev. Dazu kümmert er sich um die Ernährung des Hamburgers, wenn Mama Irina nicht dabei ist.

Fazit

Grundvoraussetzung für Zverevs Erfolg ist die totale Loyalität seiner engsten Vertrauten und auch ein gutes Verhältnis untereinander. Dabei müssen die Rollen gut verteilt sein und alle die herausragende Stellung der Eltern, insbesondere des Vaters, anerkennen.

In Australien hat Zverev nun wohl auch die Fans auf seiner Seite, und das nicht nur dank seines großzügigen Spenden-Versprechens, sondern auch wegen seines mitreißenden Spiels und seiner lockeren, humorvollen Art, die er plötzlich an den Tag legt.

Alles eine Frage der Tennis-Familie.