Ekstase in der Hansestadt: Das Nordderby zwischen St. Pauli und dem HSV

Landeshauptstadt gegen Stadtteil, David gegen Goliath oder einfach Hamburger SV gegen den FC St. Pauli.

Spielen diese beiden Vereine in einer Liga, verfällt die Hansestadt zweimal im Jahr in komplette Ekstase. Keine Partie ist für die Anhänger der jeweiligen Teams wichtiger als das Stadtderby.

Zugleich ist es auch das Duell des etablierten, in der Vergangenheit national wie international erfolgreichen, HSV und dem einfach gestrickten, etwas "schmuddeligen" FC St. Pauli aus dem gleichnamigen Stadtteil, der vor allem durch sein Vergnügungs- und Rotlichtviertel entlang der Reeperbahn weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt ist.

1924: HSV feiert im zweiten Spiel höchsten Derbysieg

Offiziell wurde der FC St. Pauli neun Jahre vor dem ungeliebten Rivalen im Jahr 1910 gegründet, jedoch erst 1924 im Zuge der reinlichen Scheidung zwischen Turn- und Sportverein als selbstständiger Klub in das Vereinsregister eingetragen.

Der Hamburger SV entstand hingen am 2. Juni 1919 durch den Zusammenschluss des SC Germania von 1887, des Hamburger FC von 1888 und des FC Falke 06. Dennoch führt der HSV den 29. September 1887 - das Gründungsdatum des SC Germania - als traditionelles Gründungsdatum an.

Das erste Hamburger Stadtderby fand am 19. Oktober 1924 im Rahmen der damaligen Alsterkreis-Liga statt. welches der HSV mit 3:1 für sich entscheiden konnte. Im Rückspiel rund einen Monat danach feierten die "Rothosen" beim 9:0-Erfolg im Rückspiel den bis heute höchsten HSV-Sieg in einem Derby.

Die "Kiezkicker" mussten ihrerseits dagegen bis 1930 warten, ehe sie erstmals gegen den großen Konkurrenten gewinnen konnten. Bis heute spricht die Bilanz von 59:14-Pflichtspielsiegen klar für den HSV.

1977: St. Pauli gewinnt erstes Bundesligaduell gegen HSV

Stand man sich bis 1963 noch beinahe jährlich mindestens einmal gegenüber, änderte sich dies mit Einführung des Bundesliga drastisch. Während der Hamburger SV fortan - und bis 2018 als einziger Verein ununterbrochen - in der Bundesliga spielte, gingen die Kiezkicker bis 1974 zunächst in der damals zweitklassigen Regionalliga Nord und anschließend in der neu-eingeführten 2. Bundesliga an den Start.

In dieser Zeit trafen die beiden erbitterten Rivalen daher lediglich zweimal in der Vorrunde des damaligen DFB-Ligapokals aufeinander. Zum ersten Duell in der Bundesliga kam es am 3. September 1977, als der Aufsteiger aus St. Pauli auswärts vor 48.000 Zuschauer im ausverkauften Volksparkstadion sensationell gegen den amtierenden Europapokal der Pokalsieger Gewinner gewann.

Gleichzeitig war es die erste Niederlage des HSV gegen den Stadt-Rivalen nach 17 Jahren.

HSV zwischen 1978 und 2010 ohne Derby-Niederlage

Nachdem sich die Rothosen im Rückspiel denkbar knapp mit 3:2 durchsetzen konnten, dauerte es bedingt durch den direkten Wiederabstieg des St. Paulis weitere achteinhalb Jahre, ehe sich beide Vereine wieder im DFB-Pokal über den Weg liefen, wobei erneut der favorisierte HSV vor der Rekordkulisse von 58.000 Zuschauern die Oberhand behielt.

Ab 1988 standen sich beide Klubs wieder öfters gegenüber. Insgesamt drei Jahre schaffte es St. Pauli zwischen den Spielzeiten 1988/1989 und 1990/1991 in der Bundesliga zu bleiben, ehe es zurück in die 2. Liga ging. Von Erfolg war die gemeinsame Zeit im Oberhaus jedoch sowieso nur für die Hamburger geprägt, die drei der sechs Duelle für sich entschieden und keine Partie verloren.

Auch bei den beiden nächsten, jeweils einjährigen Gastspielen der St. Paulianer in der Bundesliga konnten diese kein Derby gewinnen.

2011: Asamoah und Pliquett werden zu Derby-Helden

Dies änderte sich am 16. Februar 2011. Mit seinem Treffer zum 1:0 schoss der ehemalige Nationalspieler Gerald Asamoah die Kiezkicker zum ersten Derbysieg gegen den verhassten Kontrahenten seit 1977. "Die Fans bedanken sich heute noch, ich werde überall darauf angesprochen. Da merkt man genau, was das Spiel für eine Bedeutung hat", erzählte er sieben Jahre danach.

Neben Asamoah avancierte an diesem Tag noch ein weiterer Spieler zum Vereinshelden. Torhüter Benedikt Pliquett, damals eigentlich nur die Nummer zwei hinter Thomas Kessler, hielt mit etlichen Paraden den Sieg bei seinem Bundesliga-Debüt fest.

Ausgerechnet Pliquett, der mit 19 Jahren beim Hamburger SV aussortiert und wenige Wochen zuvor auf der Rückreise gemeinsam mit St.-Pauli-Fans von Anhängern des HSV überfallen worden war. Schon während des Spiels provozierte er Gegenspieler Mladen Petric, baute sich vor diesem auf, machte zweimal dessen typischen Bogenschützen-Jubel nach und lachte ihn aus.

Als der Derbysieg unter Dach und Fach war, trat er eine der HSV-Eckfahnen um und soll noch im Kabinentrakt geschrien haben: "Und ihr habt mich vom Hof gejagt, ihr Lutscher."

2019: Pyro-Chaoten verursachen beinahe Spielabbruch

Doch trotz des furiosen Derby-Erfolgs reichte es am Ende erneut nicht für den Klassenerhalt. So dauerte es bis 2018, ehe sich beide nach dem erstmaligen Abstieg der Hamburger in der zweiten Liga wieder trafen.

Nach einem 0:0-Unentschieden im Hinspiel gelang dem HSV beim 4:0 im Rückspiel der erste Sieg im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli seit 1962. Überschattet wurde das Spiel allerdings vom mehrfachen Abbrennen von Pyrotechnik auf beiden Seiten, sodass die Partie kurz vor dem Abbruch stand.

Insgesamt viermal musste Schiedsrichter Felix Brych das Spiel unterbrechen, beim letzten Mal schickte er beide Mannschaften sogar kurzzeitig in die Kabine.

Schon vor dem Spiel hatte die Polizei einen Marsch der HSV-Anhänger gestoppt, nachdem mehrfach Pyrotechnik gezündet wurde und sich einige der Fans vermummt hatten. Vor dem Stadion setzten die Polizisten zudem Pfefferspray und Schlagstöcke ein, weil eine Gruppe den Einlass stürmen wollte.

Mindestens zwei weitere Derby in der Saison 2019/2020

"Ich habe das Hamburger Derby kennenlernen dürfen. Es hat mir imponiert, was da in der Stadt los war", beschrieb Asamoah die Bedeutung des Duells vor dem Hinspiel in der Saison 2018/2019.

Dadurch, dass beide Vereine am Ende von besagter Spielzeit den Aufstieg in die Bundesliga verpassten, wird es auch in der kommenden Saison wieder mindestens zwei Begegnungen zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli geben.

Dann verfällt ganz Hamburg wieder in Ekstase. Die Fans in der Hansestadt werden sich bereits darauf freuen.