Elf auf einen Streich

Immer “on fire” – Christian Streich, Trainer vom SC Freiburg. Foto: Kai Pfaffenbach/REUTERS
Immer “on fire” – Christian Streich, Trainer vom SC Freiburg. Foto: Kai Pfaffenbach/REUTERS

Das WM-Aus in der Vorrunde ist noch ganz frisch. Jetzt heißt es Mund abputzen und weitermachen, am besten mit einem, der nie um eine Antwort verlegen ist. Warum Christian Streich der perfekte Mann für „die Mannschaft“ ist. Von Moritz Piehler

Die Gerüchteküche kocht hoch: Geht Löw? Bleibt er? Wer käme überhaupt in Frage? Didi Hamann sagte in einem Interview, dass für ihn Freiburgs Coach Christian Streich der einzige echte Ersatz wäre. Gar keine so dumme Idee! Vorweg muss noch mal gesagt werden, die letzten zwölf Jahre gehörten von den Ergebnissen her zur erfolgreichsten Epoche der Deutschen Nationalmannschaft und fußballerisch zum feinsten, was man bisher zu sehen bekam. Von Rumpelfüßlern und Bratwurstkickern war unter der Ägide Klinsmann/Löw nichts mehr zu spüren.

Irgendetwas aber ist anscheinend in der Kaderschmiede auf dem Weg zum Titel verloren gegangen. Viel wurde in den vergangenen Tagen nach dem historischen Vorrundenaus darüber diskutiert, spekuliert und polemisiert, wer nun eigentlich die Schuld an dem Desaster trägt. Die einfacher gestrickten Gemüter wollten alles auf Özil und Gündogan schieben, teils aus mehr als zwielichtiger Motivation. Andere fanden Kroos zu brav und Khedira zu lethargisch, Hummels zu schlau und Boateng zu stylish, um ein Team zu führen.

Und dann kamen da noch die Löw-Kritiker aus allen Löchern hervor. Fakt ist, dem Bundestrainer ist es diesmal nicht gelungen, ein miteinander funktionierendes Kollektiv zusammen zu bringen und dann zu führen. Am Talent der Spieler mangelt es sicher nicht, denn die haben gemeinsam Schränke voller Titel und Auszeichnungen vorzuweisen. Aber vielleicht fehlte es Löw dieses mal am richtigen Gespür für die menschlichen Aspekte dieses Teamsports. Und vielleicht auch an der Fähigkeit, klare Worte zu finden und zu sprechen. Eine Mehrheit der in einer Umfrage angesprochenen Deutschen wünscht sich Gute-Laune-Kloppo als Bundestrainer. Aber das wäre genau das falsche Signal (abgesehen davon, dass Klopp dabei ist, sich in Liverpool einen Mainz-mäßigen Legendenstatus aufzubauen und vermutlich beim ersten großen Titel lebenslang Fish and Chips umsonst in jedem Pub bekommen wird). Was der Nationalmannschaft fehlte, waren Spieler – und ein Trainer – der Marke klare Kante. Da kann es eigentlich nur einen geben. Den Bonmot-König der Bundesliga. Christian Streich.

Streich positioniert sich gern – auch politisch

Jogi Löw wirkte nach dem Aus erstaunlich gefasst, fast reserviert. Vielleicht hatte er es insgeheim geahnt, er ist ja ein kluger Fußballtrainer. Weder überhastet noch besonders emotional waren seine ersten Reaktionen in Interviews und selbst auf dem Platz. Dass der DFB sich nicht zu einer Hauruck-Aktion entschloss, spricht für Löws Verdienste und war aller Ehren wert. Aber Kritik und ein in-Frage-Stellen der verkorksten Weltmeisterschaft sind jetzt trotzdem mehr als angebracht. Christian Streich ist niemand, mit dem irgendwer das Adjektiv „reserviert“ jemals im gleichen Satz genannt hätte. Streich sagt, was der denkt und das auch gerne laut und direkt. Gerade in der Özil/Gündogan-Krise im Vorfeld der WM schossen sich Löw und der DFB mit ihrer Zurückhaltung selbst ins Knie. Jemand wie Streich hätte es geschafft, die Spieler beiseite zu nehmen und ihnen eine klare Ansage zu machen – aber eben auch sie in der Mannschaft und vor allem vor der Öffentlichkeit zu schützen. So etwas ist für den Zusammenhalt in einem Team unabdingbar. Gerade bei politischen Themen positioniert sich Streich gerne klar. Das war Löws Sache nie.

Der Fall Sané. Im Nachhinein hätte in der Meinung vieler Sané Deutschland quasi im Alleingang zum Titel geschossen, wenn Löw ihn nur gelassen hätte. Reine Spekulation natürlich. Aber: Warum gelingt es Löw nicht, den besten Nachwuchsspieler der Premiere-League in sein Team zu integrieren? Menschlich ist der Junge vielleicht nicht ganz so gereift, wie Löw es gerne hätte. Er ist aber eben auch erst 22. Was für ein Signal war es auch an die anderen Spieler, ihn zuhause zu lassen? Streich muss sich sicher nicht vorwerfen lassen, dass er sich von Spielern auf der Nase herumtanzen ließe, aber er ist als Pädagoge vermutlich deutlich besser geeignet, mit als schwierig geltenden Spielern umzugehen und das Beste aus ihnen heraus zu holen. Löw wird nicht zu Unrecht oft vorgeworfen, dass er einen Lieblingsspielertypen hat und alle anderen gerne ignoriert. Das bekam Max Kruse bereits zu spüren, Sandro Wagner und eben zuletzt auch Leroy Sané. Das stromlinienartige Bild, das die Mannschaft dann abgab, war auch ein Resultat dieser Politik. Es muss kein Typ Effenberg oder Ballack mehr sein, der als Leitwolf vorangeht. Aber dass dem Team menschliche und spielerische Leader fehlten, ist wohl unbestritten. Und die sind eben per Definition nicht immer die leisen braven Typen.

SC Freiburg als Blaupause

Streich ist selbst alles andere als brav und leise. Der setzt sich an der Seitenlinie auch gerne mal mit den Schiedsrichtern und den gegnerischen Trainern auseinander. Und entschuldigt sich danach dann zerknirscht. Das ist vielleicht nicht die perfekt zu vermarktenden Vorbildfunktion, die der DFB anstrebt mit seinem Marketingprodukt Nationalmannschaft. Aber es ist zutiefst menschlich. Das spüren die Fans das spürt vor allem auch ein Team: Da ist einer, der kämpft für uns und stellt sich vor uns. Das fehlte Löw und Co zuletzt deutlich.

Und dann gibt es da auch noch den taktischen Aspekt. Der SC Freiburg hat eine recht undankbare Rolle. Seit den Neunzigern erwarten dort alle quasi jährlich kleiner Wunder. Mini-Budget, Mini-Stadion aber trotzdem gute Ergebnisse mit attraktivem Fußball. Basierend hauptsächlich auf guter Nachwuchsarbeit und cleverem Scouting. Was dann allerdings jedes Jahr wieder zunichte gemacht wird, weil die besten Spieler munter weggekauft werden von der liquideren Konkurrenz. Also arbeitet Streich seit sieben Jahren mit großer Akribie und viel Herzblut mit beschränkten Mitteln daran, das optimale Ergebnis zu erzielen.

Klingt nach guten Vorraussetzungen für einen Bundestrainer, oder? Und ganz ehrlich: Würden wir nicht alle lieber eine PK nach einem glücklichen 2:1 gegen Liechtenstein in der EM-Quali sehen, in der Streich eine seiner Tiraden ablässt? Jogi – Danke für alles, aber es wird Zeit für einen neuen Streich!