Ins Finale gemogelt? "Lasst uns den Moment genießen!"

Ins Finale gemogelt? "Lasst uns den Moment genießen!"

Es ist ein Duell der Extraklasse!

Jeder englische Fußballfan dürfte seit Tagen unruhig auf seinem Sofa hin und her rutschen, denn: Die Three Lions stehen am Sonntag gegen Italien im Finale der Europameisterschaft (EM 2021: Italien - England, ab 21 Uhr im LIVETICKER) - und dann auch noch in Wembley. Mehr geht eigentlich nicht.

Das Team von Trainer Gareth Southgate hat nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1966 erstmals die Chance, den EM-Titel zu holen. Doch wie verdient ist das?

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Es gibt Stimmen, die sagen, dass sich die Engländer durch das Turnier gemauert hätten - mit nur einem Gegentor gegen Dänemark. Trotz herausragender Offensiv-Spieler spielen sie einen extrem ergebnisorientierten Fußball.

Kritik an England bei der EM 2021

Weiteres Futter für die Kritiker der englischen Mannschaft: die Pfiffe der Fans bei der Nationalhymne der Gegner und die vermeintliche Schwalbe von Raheem Sterling im Halbfinale gegen Dänemark.

Ist den Engländern nach 55 Jahren ohne Titel jedes Mittel recht? Viv Anderson ist auf der Insel eine Fußball-Ikone - und will davon nichts wissen.

"55 Jahre sind verdammt lange her! Man darf nicht vergessen, dass es in dieser Zeit auch viel Kummer in unserem Spiel gab, also lasst uns den Moment genießen, damit wir diese letzte Hürde nehmen können", sagt der 64-Jährige zu SPORT1.

Anderson wurde als erster Schwarzer englischer Nationalspieler bekannt, spielte zwischen 1974 und 1995 unter anderem für Nottingham Forrest, den FC Arsenal und Manchester United und absolvierte insgesamt 30 Länderspiele für die Three Lions.

Die Anhänger von Nottingham Forest wählten ihn 1997 mit überwältigenden 96 Prozent der Stimmen als Rechtsverteidiger in die beste Elf der Vereinsgeschichte, 2000 erhielt er von der Queen den Order of the British Empire, seit 2004 ist Anderson Mitglied der English Football Hall of Fame.

"Bei Sterling hören die Leute zu"

"In der Vergangenheit hatte ich keinen Einfluss, weil es nicht viele Schwarze Gesichter gab, aber jetzt gibt es immer wieder Schwarze in den englischen Teams", sagt Anderson mit Blick auf die Unterschiede zu früher: "Wenn Raheem Sterling und Marcus Rashford sprechen, hören die Leute zu."

Als Fußballexperte hat auch Andersons Stimme Gewicht, schließlich gewann er mit Nottingham Forest unter anderem zweimal den Europapokal der Landesmeister (1979 und 1980) und wurde 1978 Englischer Meister.

"Der englische Fußball hat sich verändert, als wir anfingen, in unserer U16, U17 oder U18 Weltklasse-Jugendliche hervorzubringen. Und als Gareth Southgate anfing, mit ihnen in diesem frühen Stadium zu arbeiten", erklärt er.

Southgate habe eine "familiäre Atmosphäre und einen tollen Mannschaftsgeist geschaffen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das man eigentlich nur in Vereinsmannschaften hinbekommt".

Ritterschlag für Gareth Southgate?

Falls England auch das Finale erfolgreich bestreiten sollte, fordern die Fans nicht weniger als einen Ritterschlag für Southgate.

Der englische Premierminister Boris Johnson sprach sich zuletzt immerhin nicht dagegen aus: "Ich möchte natürlich nichts vorwegnehmen, was die Ehrenleute entscheiden. Aber ich denke, Gareth Southgate hat einen absolut hervorragenden Job gemacht."

Wird die EM-Trophäe dank dem Erfolgstrainer also schon am Sonntagabend wieder in England in der Vitrine stehen?

"Für die Lions begann es recht schleppend, aber im Verlauf des Turniers wurde die Mannschaft besser", meint Anderson und fordert: "Niemand weiß später, wer der Vizemeister bei der EM 2021 war. Wir müssen es nun nach Hause bringen, das steht fest."

Trägt Wembley England zum EM-Titel?

Zum entscheidenden Faktor könnte dabei einmal mehr die Atmosphäre in Wembley werden.

"Das neue Stadion ist eines der Stadien, wo jeder Fußballer einmal spielen möchte", beschrieb England-Ikone Tony Woodcock zuletzt im SPORT1-Interview, was den Mythos Wembley ausmacht. "Von solchen Stadien gibt es in der Welt nur eine Handvoll. Eins ist klar: Wenn eine große Karriere vorbei ist, musst du eigentlich einmal dort gespielt haben."

Das EM-Finale ist dafür sicherlich nicht der schlechteste Anlass - und ein Erfolg gegen die Squadra Azzurra würde ganz England in einen Ausnahmezustand versetzen.

"Ein Sieg bei der Europameisterschaft würde so viel für das Land und alle, die mit dem englischen Team verbunden sind, bedeuten", weiß Anderson und ergänzt: "Besonders nach den 15 Monaten, die die Welt unter dieser Pandemie leiden musste."