"Zu Schweinsteiger gesagt: 'Spielst hier nur wegen deines Bruders'"

Lennart „Lenny“ Ingmann träumte wie viele Jugendliche davon, Fußballprofi zu werden. In der Jugend spielte er für Borussia Mönchengladbach und den FC Bayern. In der Saison 2014/2015 lief er für die Amateure der Münchner auf. Sein Trainer dort: Erik ten Hag (aktuell Manchester United).

Doch immer wieder warfen Ingmann Verletzungen zurück. 2020 musste er die Karriere mit 24 aufgrund eines Knorpelschadens beenden. Heute arbeitet er als Sozialpädagoge.

Im SPORT1-Interview spricht Ingmann über seine Zeit bei den Bayern, Tobias Schweinsteiger und erzählt Kurioses von Steeven Ribéry, dem kleinen Bruder von Franck Ribéry.

„Ich hatte sehr viel Angst vorm Scheitern“

SPORT1: Herr Ingmann, von Ihnen stammt eine Aussage im Alter von 19 Jahren. „Die Zeit wird zeigen, ob ich das hohe Niveau wieder erreichen kann oder ob es so bleibt, wie es nun ist. Ich habe nicht umsonst für drei Jahre hier unterschrieben und mache nebenbei eine Ausbildung.“ Zeigten Sie da, dass Profifußballer ein Traum sein kann, der schnell zerplatzt?

Lennart Ingmann: Ja. Auf jeden Fall. Ich habe das gesagt, als ich vom FC Bayern nach Wegberg-Beeck in NRW zurückging. Ich habe immer viel über das Scheitern nachgedacht. Ich hatte sehr viel Angst vorm Scheitern.

SPORT1: Sind Sie gescheitert als Profi?

Ingmann: Wenn wir ehrlich sind, war ich nie wirklich Profi. Natürlich hatte ich bei Bayern II einen Lizenz-Spielervertrag, habe auf professioneller Basis trainiert und gespielt. Du wirst zwar zum Profi ausgebildet, aber, ob du dann Profi wirst, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt Jungs, die in der gleichen Situation wie ich waren, die probieren es mit 27 immer noch. Ich habe mit 20 schon gemerkt, dass es eng wird. Ich wollte nicht alles auf eine Karte setzen. Deshalb habe ich noch eine Ausbildung gemacht.

SPORT1: Hatten Sie generell im Leben Angst vorm Scheitern oder nur im Fußball?

Ingmann: Nur im Fußball. Ich habe mir unglaublich viel Druck gemacht. Das fing schon vor meinem Wechsel zu Bayern an, als es mit dem Fußball ernster wurde. Ich bin mit sieben Jahren in die U9 von Borussia Mönchengladbach und in der U14 merkte ich, dass ich mir Druck mache. Ich wollte immer der Beste sein. Das war wirklich mein Anspruch. Und ich bin nicht umsonst von der Borussia zu den Bayern gewechselt. Aber es gab Zeiten, als ich nachts vor einem Spiel nicht schlafen konnte. Ich habe mir oft so viel Stress gemacht, ob ich ein Tor schieße oder eines vorbereite. Das war krass für meinen Kopf.

SPORT1: Können Sie Sebastian Deisler verstehen? Er begann wie Sie in Gladbach und beendete vorzeitig seine Karriere wegen Depressionen.

Ingmann: Es gibt wenig Personen, die Deisler besser verstehen können. Er stand nochmal ganz anders im Fokus. Es muss für Deisler eine Qual gewesen sein. Bei mir war es der eigene Anspruch an mich selbst, den ich nicht erfüllen konnte. Ich wusste, was ich drauf hatte und trotz meiner Verletzungen wurde mir bei Bayern auch immer wieder gesagt, was ich für Anlagen habe. Heiko Vogel, Hermann Gerland oder Erik ten Hag haben viel in mir gesehen. Aber der Druck war am Ende zu viel für mich. Ich habe großen Respekt vor Deisler, dass er einfach aufgehört hat.

„Scholl war absolut ehrlich und direkt“

SPORT1: Sie haben eine brutale Verletztenakte. Wie schwer war das in jungen Jahren für Sie?

Ingmann: Es war ein Zusammenspiel aus Verletzungspech und dem Druck, den ich mir selbst gemacht habe. Ich sprach einmal mit meinem Berater darüber. Vielleicht resultierten diese Verletzungen aus diesem Druck heraus. Die Psyche kann sich extrem auf den Körper auswirken. Das war schon erschreckend. Meine Verletzungen haben mir das Genick gebrochen. Und das immer, wenn ich mich wieder ran gekämpft hatte.

SPORT1: Hat Ihnen jemand helfen können?

Ingmann: Sören Osterland war damals bei Bayern II der Co-Trainer von Mehmet Scholl. Osterland war damals der jüngste Fußballlehrer. Auch Rainer Ulrich (am 9. Januar 2023 verstorben, d. Red.) hat sehr auf mich gesetzt. Nachdem ich wieder mal fit war und im Training gut aufgespielt hatte, war er so begeistert, dass er mir einen Pokal geschenkt hat. Er hat mir auch immer wertvolle Ernährungstipps gegeben, weil ich nach einer Verletzung etwas zugenommen hatte.

SPORT1: Wie klappte es mit Mehmet Scholl?

Ingmann: Er war sehr nah dran an den Spielern. Als ich als 16-Jähriger bei ihm mit trainieren durfte, hat er mich mal zur Seite genommen und mir nicht nur gesagt, was gut ist, sondern auch, was ihm negativ aufgefallen ist. Scholl war absolut ehrlich und direkt, das fand ich gut und hat mich total motiviert. Konstruktive Kritik ist für einen Spieler immer wertvoll.

Ingmann schwärmt von Scholl

SPORT1: Haben Sie diese schonungslose Ehrlichkeit bei Scholl besonders geschätzt?

Ingmann: Das fand ich auf jeden Fall besser als es unter Marc Kienle war, den ich in der U19 hatte. Er war anfangs ein Riesen-Fan von mir, weil ich im ersten Testspiel gleich zwei Hütten gemacht habe. Nach einer Verletzung lief es erst gut weiter, doch plötzlich war ich raus. Und ich habe nicht verstanden, wieso. Kienle hat nicht mit mir geredet. Das hätte Scholl nicht gemacht. Daher habe ich mich im Training etwas gehen lassen.

SPORT1: Was war für Sie das Besondere an Scholl?

Ingmann: Er war nicht mein richtiger Trainer, ich war nur ab und zu bei den Amateuren dabei. Er war aber menschlich und nahbar. Man hat ihm auch mal angesehen, wenn er nicht so gut drauf war. Er ist ein guter Typ und toller Trainer.

SPORT1: 2015 sind Sie nach Wegberg-Beeck und haben dort nebenbei die Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gemacht. Haben Sie damals den Traum vom Profifußball aufgegeben?

Ingmann: Schon. Ich hatte nicht die krasseste Vita, um in die 3. Liga zu wechseln. Das duale Angebot in Wegberg-Beeck passte für mich. Ich wollte das eigentlich als Sprungbrett nutzen, doch nach zwei Spielen war es wieder vorbei.

SPORT1: Warum?

Ingmann: Ich bin im zweiten Spiel mit Rot vom Platz geflogen, weil ich die Schiedsrichterin beleidigt habe.

SPORT1: Was haben Sie denn zu ihr gesagt?

Ingmann: Sie hatte eine sehr strenge Linie. Ich sagte zu ihr: ‚Du bist ja eine richtige Domina.‘ Dann durfte ich in der ersten Mannschaft nicht mehr spielen.

Das ist Ingmanns Lieblingstrainer

SPORT1: Sie hatten sich beim FC Bayern vertraglich reinschreiben lassen, dass Sie eine duale Schul-Ausbildung machen.

Ingmann: Ich wollte mindestens das Fach-Abi machen. Ich bin als einziger Spieler auf eine staatliche Schule gekommen und alle anderen Jungs waren auf Elite-Schulen des Fußballs. Bayern hat mich top unterstützt, aber ich wollte bei den anderen Jungs sein. Ich habe mit Absicht schlechte Noten geschrieben und kam dann zu meinen Freunden.

SPORT1: Wer war ihr Lieblingstrainer bei Bayern?

Ingmann: Vom menschlichen her war es Stefan Beckenbauer. Weil er eine totale Ruhe ausgestrahlt hat. Er ist nie wirklich laut geworden und hat wie Scholl auch versucht, konstruktive Kritik zu geben.

Mit Beckenbauer konnte man auch viel lachen. Im Trainingslager mit der U17 in Trentino hatten wir eine schöne Zeit. Beckenbauers Co-Trainer war Toni di Salvo (heute U21-Cheftrainer, d. Red.) und die beiden waren ein gutes Team. Fußballerisch und taktisch war Erik ten Hag top. Er hat nichts dem Zufall überlassen. Er war nah dran am Perfektionismus, das hat richtig Bock gemacht, unter ihm zu trainieren.

SPORT1: Wer war Ihr Lieblings-Mitspieler?

Ingmann: Benno Schmitz. Er war top. Er war in der U19 nicht auf dem Niveau von Philipp Lahm, aber er hat in der U23 auch keine Fehler gemacht. Er hat so sauber gespielt und es hat einfach Spaß gemacht mit ihm zusammenzuspielen.

„Schweinsteiger hat mich genervt“

SPORT1: Wie war es mit Tobias Schweinsteiger?

Ingmann: Ich war kein Fan von Schweinsteiger. Ich fand ihn einfach nicht gut. Und er hat mich genervt. Wobei ich auch sagen muss, dass ich nicht wirklich verstanden habe, was er von mir wollte. Tobi hat mich sehr oft kritisiert und ich habe mir gedacht ‚Warum machst du es denn nicht besser?‘

SPORT1: Gab es mal eine Aussprache mit Schweinsteiger?

Ingmann: Nein. Es gab eine Situation, die unsere Verbindung endgültig scheitern ließ. Zu Beginn der Rückrunde meiner letzten Saison bei den Amateuren zog ich mir eine fette Bronchitis zu und war fünf Wochen raus. Als ich dann wieder im Training war, brüllte mich Schweinsteiger an und fragte mich, warum ich nicht laufe. Ich habe ihn nur fassungslos angeschaut und meinte ‚Hast du mitbekommen, dass ich länger nicht da war?‘ Dann habe ich noch gesagt: ‚Du spielst hier nur wegen deines Bruders!‘

SPORT1: Tat es Ihnen später leid?

Ingmann: Etwas. Ich hätte als junger Spieler mehr annehmen und die Klappe halten müssen. Ich war oft zu aufmüpfig. Aber ich wollte wertgeschätzt werden. Ich habe leider oft auf die Fresse gekriegt.

SPORT1: Wie gefällt Ihnen Schweinsteiger als Trainer?

Ingmann: Überragend. Ich war damals sehr oft verletzt, als wir zusammen bei Bayern waren. Bezeichnend war es, dass das mit Tobi am Ende meiner Bayern-Zeit war. Ich beobachte gerne, was er in Osnabrück leistet. Unter Tobi ist der VfL eine Top-Mannschaft geworden. Das schafft man als Trainer, wenn man menschlich und fachlich top ist. Er achtet auf Details und nimmt offenbar alle mit. Aus Tobi kann ein großer Trainer werden.

SPORT1: Gab es eine Situation, an die Sie sich noch erinnern, in der sie besonders aufmüpfig waren?

Ingmann: Wir haben an meinem Geburtstag in Karlsruhe gespielt und führten 3:1. Ich wollte unbedingt eine Bude machen. Doch dann hat mich Beckenbauer in der 70. Minute ausgewechselt. Ich war sauer, habe ihm den Handschlag verweigert und bin einfach in die Kabine. Ich habe noch gesehen, wie Matthias Sammer, Hermann Hummels, Andries Jonker, Hermann Gerland und Michael Tarnat das mitbekommen haben. Das kam in dem Moment nicht so gut an.

SPORT1: Welcher Kollege hat Sie beeindruckt?

Ingmann: Angelos Oikonomou. Er war der Lieblingsspieler von ten Hag. Er ist früh schon in die U23 aufgerückt und spielte auf der Sechs. Mit ihm habe ich ab der U16 zusammengespielt. Angelos hat einfach alles aufgesaugt und war der größte Fan von ten Hag. Und umgekehrt. Angelos hat mich an Thiago erinnert und er war auch sein großes Vorbild.

Ex-FCB-Talent: „Dieser Typ war der Ronaldo der zweiten Mannschaft“

SPORT1: Gab es bei den kleinen Bayern einen Spieler, zu dem Sie aufgeschaut haben?

Ingmann: Stefan Buck. Er war ein Vorbild von mir, was seinen Körper und Disziplin anging. Dieser Typ war der Cristiano Ronaldo der zweiten Mannschaft. Stefan kam morgens als Erster und ging als Letzter. Er hat sich im Trainingslager immer seine Haferflocken gemacht, um Kohlenhydrate reinzukriegen, während andere wild durcheinander gegessen haben. Stefan hat sich die wildesten Salate von allen zusammengestellt und hatte einen Astralkörper mit 35, das war abartig. Er hat durchschnittlich pro Jahr fünf Prozent Fett-Anteil. Er war mein krasses Vorbild.

Ex-Bayern-Talent: „Mir ging Ribéry auf die Nerven“

SPORT1: Können Sie sich an ein krasses Kabinen-Erlebnis erinnern?

Ingmann: Oh ja. Steeven Ribéry, der kleine Bruder von Franck, hat einmal einem Kollegen einen Nacken-Klatscher verteilt. Ich war kein Fan von Steeven außer auf dem Rasen. Da war er unglaublich talentiert. Er hatte einen an der Klatsche und hat die halbe Mannschaftskasse durch seine Fehltritte auf und neben dem Platz gefüllt.

Er konnte Haken machen wie Ousmane Dembelé. Ribéry war sehr dominant und einfach unglaublich. Er hatte keinen Bock, Deutsch zu lernen und hat immer auf Französisch geredet. Alle fanden das cool, ich nicht. Vielleicht hatten die anderen Jungs nur Respekt, weil er der Bruder von Franck ist. Er hat sich genommen, was er wollte. Steeven musste öfter zum Rapport, aber das wurde wahrscheinlich von Franck ausgebügelt. Mir ging Steeven auf die Nerven.

SPORT1: Können Sie noch eine Anekdote zum Besten geben?

Ingmann: Bayern war immer schon der reine adidas-Klub. Als ich nach München ging, hat meine Mutter mir Jack & Jones-Shirts geschenkt. Diese habe ich dann auch getragen auf dem Platz. Dann kam der Athletiktrainer Andreas Kornmayer (heute Co-Trainer von Jürgen Klopp beim FC Liverpool, d. Red.) völlig aufgelöst auf mich zu und fragte mich, was mit mir los sei, dass ich in schwarzen Shirts trainiere. Ich war völlig geschockt.

Ähnlich war es, als ich meine Lacoste-Schuhe getragen habe. Da hat mich Hermann Gerland zusammengefaltet, was mir einfallen würde, solche Schuhe zu tragen. Ich habe die Dinger voller Stolz getragen. Gerland schimpfte nur: ‚Hier wird adidas getragen!‘ Danach habe ich meine Schuhe erst weit entfernt vom Trainingsgelände gewechselt.

SPORT1: Was machen Sie jetzt eigentlich?

Ingmann: Ich habe nach meiner Ausbildung zum Erzieher noch ein Sozialpädagogik-Studium dran gehängt. Seit August 2022 bin ich fertig und arbeite aktuell in der ambulanten Familien-Hilfe. Nebenbei mache ich meine Trainerscheine. Ich trainiere aktuell die U19-Mannschaft vom SC Kapellen Erft. Ich würde gerne in die stationäre Jugendhilfe, wo Jungs ohne Eltern aufwachsen und aufgefangen werden. In der Zukunft möchte ich gerne in einem NLZ arbeiten, um Jungs in einem Internat auf eine mögliche Profikarriere vorzubereiten. Zuletzt habe ich bei Borussia Mönchengladbach hospitiert, vielleicht klappt es ja mal bei den Bayern.