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"Ich will's nicht": Ex-Schiri Drees rüffelt Regel-Wirrwarr

"Ich will's nicht": Ex-Schiri Drees rüffelt Regel-Wirrwarr

Das Viertelfinale im DFB-Pokal hat vor allem in zwei Spielen zu hitzigen Diskussionen geführt. Kurioserweise ging es in beiden Fällen um die gleiche Regel, die aber wegen eines Ausnahmefalles völlig unterschiedlich ausgelegt wurde.

Es betraf zunächst das Duell zwischen Borussia Dortmund und dem SC Paderborn (3:2 n.V.) und einen Tag später die Begegnung zwischen Jahn Regensburg und dem 1. FC Köln (6:5 n.E.). (Darum zählte Haalands Treffer)

Bei SPORT1 erklärt Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim DFB, warum beide Situation völlig korrekt entschieden wurden - und warum er trotzdem nicht ganz glücklich ist.

Dortmund - Paderborn: Erling Haalands Treffer zum 3:2

Die Situation:

BVB-Stürmer Haaland stand beim Zuspiel von Thomas Delaney im Abseits, doch nach knapp fünfminütiger Überprüfung durch den VAR erkannte Schiedsrichter Tobias Stieler den Treffer in der 95. Minute an. Stieler hatte eine minimale Berührung des Paderborners Svante Ingelsson, der versuchte, den Pass per Grätsche abzufangen, auditiv wahrgenommen. Dadurch hob Ingelsson das Abseits auf. Die Bilder konnten keinen Beweis für eine Berührung liefern, weswegen Stieler offenbar nicht zum Monitor ging, um die Situation zu überprüfen.

Das sagt Dr. Drees:

"In dem Fall war es so, dass ein Pass gespielt wurde auf einen Spieler, der im Abseits steht. Dann sieht die Regel einen Passus vor, der sagt: Wenn ein Verteidiger bei diesem Pass zum Ball geht - egal ob dies gelingt oder er im Prinzip über dem Ball tritt - dann wird dadurch die Abseitsstellung regeltechnisch aufgehoben. Dafür ist es auch nicht erforderlich, dass der Ball seine Richtung ändert. Übrigens hatte der Assistent auf der Seite die Abseitsstellung von Haaland erkannt, er hat sie aber nicht angezeigt, weil die Information sowohl vom Schiedsrichter als auch vom Assistenten auf der anderen Seite gekommen ist, dass ein so genanntes "Bad Play" vorlag - also ein misslungenes Spielen. Damit wird signalisiert, dass ein Verteidiger am Ball war und dadurch die Abseitsstellung nicht zum Tragen kam. Das ist eine Sonderregel, die beim Thema Abseits aufgenommen worden ist, nach der wir uns natürlich richten müssen.

Zum Monitor rausgehen sollte der Schiedsrichter immer nur dann, wenn der Video-Assistent ihm die bildlichen Informationen nachweisen kann, dass seine Wahrnehmung auf dem Platz falsch gewesen ist. Oder er Bilder und Sequenzen hat, die dem Schiedsrichter eine neue Information liefert, die seiner Wahrnehmung auf dem Platz nicht entsprochen hat.

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In diesem Fall war es schlicht unmöglich, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein anderes Bild zu liefern. An dem Abend in Dortmund gab es keine Bilder, die wirklich zweifelsfrei gezeigt hätten, dass es keine Berührung des Paderborner Spielers Ingelsson gegeben hat. Wir hätten das unnötig nach Außen gezogen. Wenn der Schiedsrichter es sich anschaut, ist er nicht schlauer als vorher, er hätte auf Grundlage dieser Bilder nicht anders entscheiden können. Deswegen ist klar vorgesehen, dass die Schiedsrichte in dem Moment nicht rausgehen sollen, weil es keinen Mehrwert bringt.

Es steht dem Schiedsrichter aber natürlich immer frei, selbst noch einmal an den Monitor zu gehen. Man kann sich überlegen, ob es aus "taktischen" Gründen cleverer gewesen wäre - dann wäre der Prozess aber noch länger geworden. Ich finde aber die Handlungsweise von Stieler, der zur Bank gegangen ist und erklärt hat, was passiert ist, durchaus respektvoll gegenüber dem Trainer (Steffen Baumgart, d.R.)."

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Regensburg - Köln: Aberkanntes Tor von Benno Schmitz

Die Situation:

Der Kölner Benno Schmitz köpfte den Ball in der 39. Minute zum vermeintlichen 3:1 ins Tor, doch Schiedsrichter Robert Hartmann erkannte den Treffer nach Rücksprache mit dem Video-Referee wegen einer Abseitsstellung des Flankengebers Ondrej Duda nicht an. Und dies, obwohl der Ball von einem gegnerischen Spieler gekommen war.

Das sagt Dr. Drees:

"In dieser konkreten Szene haben wir den absoluten Ausnahmefall für das Beispiel, das wir bei Haaland besprochen haben. Es gibt einen einzigen in der Regel hinterlegten Sonderfall: Wenn eine Abwehrreaktion in Richtung Tor erfolgt, das heißt, wenn ein Ball in die Nähe des Tors gespielt wird und ein Abwehrspieler macht einen Abwehrversuch und klärt diesen Ball aus dem Strafraum, dann ist dieses bewusste Spielen der einzige Ausnahmefall, dass eine vorher bestehende Abseitssituation wieder aktiv wird.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass auch wir als Schiedsrichter mit diesem Fakt sehr unglücklich sind. Denn: Erklären Sie mal jemandem, dem sie gerade die Besonderheit im Fall Haaland erklärt haben, die Situation von Regensburg. Es ist regeltechnisch zwar nicht angreifbar und auch korrekt ausgelegt worden - die Frage ist nur: Will das irgendjemand? Da muss ich klar sagen: Ich will's nicht. Leider sind wir an die Vorgabe des Regeltextes gebunden, sollten aber dringend darüber diskutieren, ob das wirklich sinnvoll ist.

Wir müssten mit dem IFAB, dem Organ, das sich tagtäglich mit Regeln auseinandersetzt, in Verbindung treten und sagen: 'Wir finden nicht, dass das abdeckt, was der Fußball erwartet und was Leute noch nachvollziehen können'. Wenn sie eine Regel kreieren, die kein Mensch mehr versteht, dann bringt sie nichts."