Faktor Corona? Schwere Sturzwelle erschüttert Radsport

Zwei Wochen vor Beginn der Tour de France hat eine Sturzwelle den gerade erst wieder gestarteten Radsport erschüttert.

Nach dem bei der Polen-Rundfahrt im Sprint schwer verunglückten Fabio Jacobsen kam es bei der Lombardei-Rundfahrt und der traditionellen Tour-Generalprobe Dauphiné zu weiteren schweren Stürzen.

Unter anderem erwischte es auch den deutschen Hoffnungsträger für die Frankreich-Rundfahrt, Emanuel Buchmann. Stürze gehören im Radsport leider dazu und haben in der Regel unterschiedliche Ursachen, aber die Corona-Pandemie könnte ein unterschätzter Faktor für die aktuelle Häufung sein.

Schwere Stürze bei Abfahrten

Bei der Dauphiné fielen besonders Probleme auf Abfahrten besonders auf, am Samstag stürzte Buchmann auf der Abfahrt vom Col de Plan Bois - ebenso wie Teamkollege Gregor Mühlberger aus Österreich und der Niederländer Steven Kruijswijk.

Buchmann habe "ein großes Hämatom erlitten, jedoch keine Frakturen", wie sein Team Bora-hansgrohe mitteilte, und wurde ins Krankenhaus gebracht.

Bei der traditionsträchtigen Lombardei-Rundfahrt fiel Belgiens Phänomen Remco Evenepoel ebenfalls bei einer Abfahrt über die Brüstung einer Brücke und kam fast schon glücklicherweise mit einem Beckenbruch davon - nach den Bildern hatte man das Schlimmste befürchten müssen.

"Remco hat ein starkes Trauma am rechten Bein erlitten, aber er hat nie das Bewusstsein verloren und auf alle Fragen des Arztes geantwortet", sagte Quickstep-Sprecher Alessandro Tegner der italienischen Nachrichtenagentur Ansa.

Restart ohne "Einrollen" mit harten Rennen

Natürlich sind Abfahrten mit so hohen Geschwindigkeiten immer ein Risiko, aber die Häufung - auch bei Profis mit extrem guter Radbeherrschung wie Evenepoel fällt auf.

Dabei spielt möglicherweise die Coronapause eine Rolle. Während sich die Profis normalerweise im Januar und Februar mit Aufbaurennen wie der Tour Down Under für die Hauptsaison in Europa mit den schweren Frühjahrsklassikern und dann den großen Rundfahrten "einrollen", ging es jetzt nach dem Restart direkt mit brutalen Rennen los.

Bei Mailand-Sanremo, Strade Bianche, Dauphiné oder der Lombardei wird ein ganz anderes Tempo gefahren, es wird um jeden Zentimeter gerungen - und eben auch mehr Risiko eingegangen.

Wettkampfpause und Wetter als Risikofaktoren

Normalerweise sind die Profis auf diese knochenharten Rennen aber bereits mit zwei Monaten Rennpraxis vorbereitet, 2020 war das aufgrund der Pandemie schlicht nicht möglich.

Training ersetzt den Wettkampf nur bedingt, zudem kann man Abfahrten bei Autoverkehr eben auch kaum simulieren.

Dazu kommt das Wetter. Natürlich kann es im Frühjahr bei Sanremo oder Strade Bianche auch warm sein, aber so heiß und trocken wie im August wohl kaum - gleiches gilt für die Lombardei, die sonst im Oktober ausgetragen wird.

Bei heißeren Temperaturen gehen die Rennen noch mehr an die Substanz und die Konzentration lässt im roten Fitness-Bereich etwas nach.

Begleitfahrzeuge können auch zum Problem werden

Ein weiterer Punkt sind die Begleitfahrzeuge. Auch den Motorradpiloten oder sportlichen Leitern im Auto fehlt noch ein wenig die Praxis für ihre stressige Arbeit, entsprechend häufiger können zu Missverständnissen mit den Radprofis auftreten. So kam es bei der "Tortour Ultra" nach einem Unfall mit einem Motorrad sogar zu einem Todesfall.

Dass Maximilian Schachmann in der Lombardei von einem Privatauto angefahren wird, ist schlicht Pech, aber auch eine Panne der Sicherheitskräfte und des Fahrers.

Tour de France könnte gefährlich werden

Bei allem Risiko war die Zusammenstellung des Rennkalenders allerdings alternativlos. Die Fahrer brauchen diese harten Rennen, um sich vor der Tour ausreichend zu belasten. Titelverteidiger Egan Bernal gab die Dauphiné mit Rückenproblemen auf, ob Buchmann starten kann, ist aktuell noch offen. Inzwischen ist auch der Dauphiné-Führende und Tour-Topfavorit Primoz Roglic wegen der Folgen eines Sturzes ausgestiegen. Die Vorsicht der Teams ist verständlich.

Denn bei keinem anderen Rennen wird jede einzelne Etappe so hart und schnell gefahren wie bei der Großen Schleife. Zu wichtig sind Erfolge für die Profis und Sponsoren.

Aufgrund der Mini-Vorbereitung wird es in diesem Jahr auf Frankreichs Straßen noch gefährlicher. Es bleibt zu hoffen, dass alle Beteiligten ab dem 29. August - so gut es geht - einen kühlen Kopf bewahren.