Wenn Deutsche gegen Deutsche hetzen

"Es ist einfach nur beschämend, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft zu beleidigen. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis."

Was der deutsche U21-Trainer Stefan Kuntz bei SPORT1 sagt, sollte für jeden Menschen selbstverständlich sein. Wie der Rassismus-Skandal um Jordan Torunarigha, auf den sich Kuntz bezieht, allerdings zeigt: Auch im Jahr 2020 sind noch immer Querulanten in deutschen Stadien unterwegs, die rassistisch motivierte Laute von sich geben. (Mittlerweile gibt es erste Hinweise zu dem Fall)

Am Dienstag war Torunarigha mit Tränen in den Augen vom Platz gegangen - und daran war nicht einmal die Gelb-Rote Karte schuld, die Schiedsrichter Harm Osmers ihm beim 3:2-Sieg von Schalke 04 gegen seine Hertha gegeben hatte

Der Grund für seine Reaktion: Zuschauer in der Veltins-Arena hatten ihn mit Affenlauten rassistisch beleidigt. "Der war heulend auf dem Platz", erzählte sein Abwehrkollege Niklas Stark. "So etwas geht überhaupt nicht, das ist menschlich abstoßend."

Kuntz verurteilt Rassismus

Der gleichen Meinung ist auch Kuntz, der damit hadert, überhaupt über den Vorfall zu sprechen. "Ich bin hin- und hergerissen. Je mehr darüber berichtet wird, desto größer ist die Plattform für Beleidigungen dieser Art. Unabhängig, ob es ein ehemaliger U 21-Nationalspieler oder ein Kandidat für die Olympiaauswahl ist, hat Rassismus weder im Sport noch allgemein in unserer Gesellschaft einen Platz."

Was Jordan Torunarigha auf Schalke erlebte, hat sein Vater schon in den 1990er Jahren durchgemacht. "Rassismus tut unglaublich weh", berichtete Ojokojo Torunarigha in der Bild. Der heute 49-Jährige war mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen, um sich Fortuna Chemnitz und später dem Chemnitzer FC anzuschließen. Nach dem Mauerfall war er der erste Afrikaner im ostdeutschen Fußball.

Bei einem Stadtfest in Chemnitz sei er einmal durch die Stadt gejagt worden, berichtete Ojokojo Torunarigha. Die Polizeibeamten halfen ihm erst, als sie merkten, dass er ein Fußball-Profi war.

Während seiner Zeit in Chemnitz wurde sein jüngster Sohn geboren. Er nannte ihn Jordan, in Anlehnung an Michael Jordan. Der Basketball-Star imponierte ihm nicht nur sportlich, sondern vor allem, weil er ein großer Kämpfer gegen den Rassismus war und immer noch ist.

Torunarigha meldet sich zu Wort

Jordan Torunarigha verbrachte seine ersten acht Lebensjahre in Chemnitz, bevor es weiter nach Berlin ging. Er ist in Deutschland geboren, demzufolge im Besitz einen deutschen Passes. Schon seit 2006 spielt Torunarigha für Hertha BSC, der 22-Jährige ist längst fester Bestandteil der Alten Dame.

"Jordan ist charakterlich ein einwandfreier Junge, ein Teamplayer", berichtet Kuntz über seinen ehemaligen Schützling in der U21-Nationalmannschaft. "Er hatte eine hohe Akzeptanz in unserer Mannschaft. Uns fiel er bereits im Jugendalter auf, als er noch in Chemnitz und später bei Hertha BSC spielte. Er hat sich immer durchgekämpft."

Kämpfen muss der Verteidiger auch jetzt - und genau wie auf dem Platz ist es ein Kampf, den er alleine nicht gewinnen kann. Erst am Donnerstagnachmittag meldete er sich auf Instagram zu Wort, weil er sich nicht aus der Emotion heraus äußern wollte.

"Ich bin in Deutschland geboren, ich bin hier aufgewachsen, habe hier mein Abitur gemacht, spreche Deutsch wie alle anderen, deshalb kann ich diese Äußerungen, wie sie von einigen Idioten während des Spiels gemacht wurden, in keinster Weise verstehen", schreibt er und erklärt, was Rassismus anrichten kann: "Viele können nicht nachvollziehen, was das bedeutet und was sie damit bei den Menschen anrichten. Ich bin froh, dass ich das Glück habe, so einen Rückhalt durch meine Familie meine Mitspieler und den Verein zu haben! Das haben vielleicht nicht alle in einer solchen Situation."

Erschreckende Reaktionen nach Vorfall auf Schalke

Die Abneigung, die Torunarigha in Chemnitz entgegenschlug, wird auch nach dem Vorfall auf Schalke deutlich. Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind vielschichtig und vielfältig, so wie es der Fußball und auch das Leben generell ist. Teilweise sind sie erschreckend. Neben den Solidaritätsbekunden gegenüber dem Hertha-Profi gibt es auch Stimmen, die das Geschehene in Zweifel ziehen, den Fußball-Profi ohne jedes Wissen der Lüge bezichtigen, oder den Vorfall herunterspielen.

Dass es wohl Deutsche waren, die am Dienstagabend gegen einen Deutschen hetzten, macht das Problem erst richtig deutlich: Es ist der blanke Hass gegen eine andere Hautfarbe, der diese Menschen angetrieben hat, ohne jede Ahnung, wer das Opfer überhaupt ist.

Rassismus und Diskriminierung habe er in der U21 zum Glück noch nie erlebt, sagt Kuntz. "Das war bei uns noch nie ein Thema. Vielfalt ist bei uns etwas ganz normales und prägt auch unsere U-Nationalmannschaften. Spieler mit Migrationshintergrund hatten wir schon immer – und werden wir auch in Zukunft immer haben."

Der Sport bietet eine große Chance

Torunarigha hat aber auch erfahren, dass der Fußball eine Chance bietet. Wie er der Berliner Zeitung verriet, gebe es unter Kindern keinen Rassismus, zudem könne der Sport mit Vorurteilen und Hass aufräumen. "Ich wurde von den Eltern meiner Mitspieler immer zum Training der Hertha mitgenommen", erzählte er.

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Weil der Fußball nur ein Spiegel der Gesellschaft ist, ist es bedauernswerterweise nicht verwunderlich, dass es auch in Stadien zu rassistischen Vorfällen kommt. Hier sind auch DFB und DFL gefragt, damit Rassismus keinen Weg mehr in die Stadien findet.

Denn wenn in Zukunft ein Bundesliga-Spieler auf dem Spielfeld in Tränen ausbricht, dann höchstens wegen einer bitteren Niederlage - am besten aber wegen eines emotionalen Sieges.