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Falsche Neun, keine Neun - der Fehler im System BVB

Natürlich hatte Sportdirektor Michael Zorc recht, als er zu später Stunde im Giuseppe-Meazza-Stadion die Dortmunder 0:2-Niederlage gegen Inter Mailand analysierte.

"Heute haben unsere zwei besten Torschützen gefehlt. Wir können über alles philosophieren, aber wenn Paco Alcácer und Marco Reus fehlen, dann sind die beiden besten Torschützen nicht auf dem Platz", betonte Zorc auf die Frage, warum es dem BVB denn so offensichtlich an Durchschlagskraft gefehlt hatte.

Man solle sich einmal vorstellen, das würde anderen so gehen, "dann werdet ihr sehen, was dann los ist", orakelte die Borussen-Legende. Und auch damit hatte er womöglich recht: Den Fans des FC Bayern würde mit Blick auf ihre Offensive wohl auch etwas mulmig, sollten Robert Lewandowski und Serge Gnabry gleichzeitig ausfallen.

Zorcs Problem ist nur, dass es aktuell nun mal den BVB getroffen hat - und eben nicht den FC Bayern und auch keinen anderen Verein. Und dass ein Ausfall des Duos Reus/Alcácer bei der Kaderzusammenstellung der Dortmunder so etwas wie das Horrorszenario schlechthin ist.

Hoch gelobte Transfers nur Schein?

Dabei schienen die Verantwortlichen der Borussia im Sommer noch alles richtig gemacht zu haben. Als das Transferfenster Anfang Juli öffnete, waren bereits fünf aufsehenerregende Neuzugänge eingetütet.

Innenverteidiger Mats Hummels kehrte vom FC Bayern zurück an die Strobelallee, in Nico Schulz kam der vielleicht beste deutsche Linksverteidiger. Dazu wurden Thorgan Hazard aus Gladbach und Julian Brandt aus Leverkusen verpflichtet, um Trainer Lucien Favre in der Offensive noch mehr Optionen zu geben. Und eben Alcácer, der nach seiner einjährigen Leihe vom FC Barcelona fest unter Vertrag genommen wurde.

Die Baustellen in der wackligen Defensive schienen geschlossen, die ohnehin explosive Offensive noch unberechenbarer.

Keine vier Monate später wirkt es, als habe der Schein getrogen.

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BVB in Mailand ohne Durchschlagskraft

Die Dortmunder Abwehr kassiert immer noch zu viele Gegentore - alleine in den acht bisherigen Bundesliga-Spielen schon deren elf. Das liegt am wenigsten an Hummels, der regelmäßig zu den besten Schwarz-Gelben zählt, und auch nicht an Schulz, der lange verletzt fehlte. In Mailand allerdings erwischten beide nicht ihren besten Tag: Schulz hob vor dem ersten Gegentor das Abseits auf, Hummels wirkte ungewohnt fahrig im Spielaufbau und verursachte in der zweiten Hälfte einen Elfmeter.

Noch viel eklatanter war jedoch, was Dortmunds Offensivkünstler - und dabei in erster Linie Brandt und Hazard - in Mailand auf den Rasen brachten. Oder vielmehr: was sie nicht auf den Rasen brachten.

In Abwesenheit von Alcácer war Brandt für die vorderste Position im ungewohnten 3-4-3 der Dortmunder vorgesehen - und nicht etwa Mario Götze, der vor allem in der vergangenen Saison des Öfteren als falsche Neun überzeugt hatte, in Mailand jedoch einmal mehr 90 Minuten auf der Bank schmorte.

Mit Brandt hatten die Dortmunder aber erst recht keinen echten Neuner, sie hatten nicht einmal eine falsche Neun. Genau genommen hatten sie überhaupt keine Neun.

Weder Brandt, noch Hazard und auch nicht Jadon Sancho schafften es, die Position in der Sturmspitze gewinnbringend zu besetzen. Der BVB sammelte zwar jede Menge Ballbesitz, kam dabei aber viel zu selten in die gefährliche Zone.

Zum Vergleich: Satte 75 Mal bekamen allein Hazard und Brandt von ihren Teamkollegen den Ball zugespielt, die Inter-Angreifer Romelu Lukaku und Lautaro Martínez zusammen nur 22 Mal - und wirkten dabei gerade durch den argentinischen Torschützen zum 1:0 doch deutlich zielstrebiger und gefährlicher.

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Fehlt ein kantiger Stürmer?

Der Spielertyp, den die beiden Mailänder Angreifer verkörpern, es gibt ihn nicht im Dortmunder Kader. Alcácer reicht immerhin in Sachen Stürmer-Instinkt und Torriecher an die beiden heran, rein körperlich und in Sachen Durchsetzungsvermögen jedoch eben auch nicht.

Vielleicht wollte Favre im Sommer keinen klassischen Stürmer, vielleicht war er der Meinung, dass er keinen brauche - wie sonst ist es zu erklären, dass der BVB auch noch Alexander Isak abgab, der in der vergangenen Saison immerhin mit 20 Torbeteiligungen in 16 Spielen für Willem II in der niederländischen Eredivisie auf sich aufmerksam machte?

Stattdessen hat der Dortmunder Trainer mehr denn je ein Überangebot an offensiven Mittelfeldspielern: Reus, Brandt, Hazard, Sancho, Jacob Bruun Larsen. Götze zählt eigentlich ebenso dazu, Raphael Guerreiro hat dort schon gespielt, Achraf Hakimi wird inzwischen auch überwiegend offensiv eingesetzt.

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Die meisten der Genannten erfüllen jedoch eher das Profil Vorbereiter als das des Vollstreckers. Zu beobachten war das auch am Mittwochabend in Mailand: Hakimi und Sancho gelang es zumindest stellenweise, über die Flügel mal in Flankenposition zu kommen. Mehr als einmal brachen sie jedoch noch vor der Hereingabe wieder ab, weil sie im Zentrum schlichtweg keine vielversprechende Anspielstation ausmachen konnten.

Dort, wo im Dortmunder System eigentlich Alcácer vorgesehen ist - und wo hinter dem Spanier eine riesige Lücke klafft.

Hummels moniert fehlende Chancen

"Das sieht ganz gut aus, aber im letzten Drittel ist das nicht genug", haderte Hummels nach dem Spiel in Mainz mit den Offensivbemühungen seiner Mannschaft: "Wir haben deutlich zu wenig Chancen kreiert."

Die Hoffnung ist groß, dass zumindest der kränkelnde Reus bis zum Derby auf Schalke am Samstag wieder einsatzbereit ist. Dann hätten die Dortmunder im Spiel nach vorne zumindest eine Option mehr, allerdings auch eine Ausrede weniger.

Nach den jüngsten Eindrücken vom lahmenden Dortmunder Offensivspiel müssen sich die Verantwortlichen ohnehin die Frage gefallen lassen, wie lange sie den personellen Ritt auf der Rasierklinge noch riskieren wollen - und ob sie die Lücke hinter Alcácer nicht im Winter durch einen externen Neuzugang schließen müssen.