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FC Bayern paradox: Es fehlt ein echter Leader

Der FC Bayern München rumpelt weiter durch die Saison. Mats Hummels machte nach dem Sieg in Athen ein grundsätzliches Problem aus. Seine Aussagen lassen sich auf ein entscheidendes Versäumnis in der Kaderzusammenstellung runterbrechen.

So spektakulär wie hier Thiago spielt der FC Bayern seit langem nicht mehr.
So spektakulär wie hier Thiago spielt der FC Bayern seit langem nicht mehr.

Niko Kovac hat letzten Freitag offensichtlich genau hingeschaut, als seine Chefs zum verbalen Rundumschlag gegen Medien und Experten ausholten. Es ging Rummenigge und Co. ja bekanntlich nicht darum, den Journalisten vorzuschreiben, wie sie über den FC Bayern zu berichten hätten. Es ging ja vor allem darum, die Mannschaft zu schützen und nach außen hin zu verteidigen.

Nichts anderes hatte Kovac nach dem zähen 2:0 in Athen im Sinn. Er habe ein “sehr, sehr gutes Spiel” seiner Mannschaft gesehen, versicherte er im Interview mit Sky. Mit dieser Darstellung stand der Bayern-Trainer allerdings weitgehend alleine da. Vor allem die erste Viertelstunde der zweiten Halbzeit war schlimm aus Bayern-Sicht, da war praktisch alles falsch: Passspiel, Bewegung ohne Ball, Verhalten nach Ballverlust, defensive Absicherung.

Für Kovac hat das alles keine Rolle gespielt. Er legte dem Sky-Reporter nahe, nicht wieder “das Haar in der Suppe zu suchen” und nicht auch noch Siege schlecht zu reden, schließlich gehe es im Fußball in erster Linie um das Ergebnis. Und wenn das positiv ist, müsse man eben auch als kritischer Journalist einfach mal die Klappe halten.

“Es stimmen grundsätzliche Dinge nicht”

Doch so einfach darf man Kovac nicht davonkommen lassen. Zumal einige seiner Spieler eine gänzlich andere Sichtweise hatten, allen voran Mats Hummels.

“Es stimmen grundsätzliche Dinge nicht, weil sie uns immer wieder passieren”, klagte Hummels. Wenn ich an Ende der letzten Saison denke, als wir gegen Stuttgart verloren haben, oder ans Pokalfinale – da haben wir manchmal nicht das Gespür dafür, dass es gefährlich werden könnte, wenn wir den Ball verlieren. Wir wollen dann ein bisschen zocken oder nochmal etwas Besonderes machen. Das ist manchmal in gewissen Räumen nicht angebracht. So sind wir auch in der Champions League ausgeschieden, durch große individuelle Fehler. Wir müssen ein Gespür dafür kriegen, dass solche Dinge nicht passieren, oder zumindest seltener passieren.”

Diese Aussage ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie suggeriert, dass der FC Bayern schon lange ein grundsätzliches Problem hat, dessen Ursprung weit vor Beginn der Kovac-Zeit liegt. Dem Trainer ist es aber offenbar nicht gelungen, dieses zu erkennen, respektive zu lösen.

Martinez schwächelt, Thiago zockt

Zudem stellt Hummels die Qualität der Spieler infrage, wenn er bemängelt, dass es der Mannschaft nicht gelinge, in bestimmten Spiel-Situationen das Richtige zu tun. Gleiches gilt für die Aussage, dass große Spiele durch große individuelle Fehler verloren wurden. In der Champions League gegen Real Madrid, im Pokal gegen Eintracht Frankfurt.

Hummels’ Aussagen lassen sich auf ein wesentliches Dilemma im Bayern-Kader runterbrechen: Es fehlen Spieler, die besonders in kritischen, nicht vorhersehbaren Spielsituationen den Laden zusammenhalten. Ein präsenter Leader im Mittelfeld, der die Fäden zieht, der die Statik lenkt. Javi Martinez hat seine besten Tage lange hinter sich. Thiago taucht in großen Spielen regelmäßig ab und ist einer der von Hummels’ erwähnten “Zocker”. Leon Goretzka ist erst seit drei Monaten im Verein und kann diese Rolle noch gar nicht übernehmen, unabhängig von seinen fußballerischen Fähigkeiten.

Thomas Müller steckt im Dauer-Formtief und muss sich – zumindest vorerst – mit einer Reservistenrolle begnügen. Arjen Robben und Franck Ribery spielen ihre wohl endgültig letzte Bayern-Saison und sind von ihrer Position auf den Flügeln her nicht vorgesehen, für Ordnung und Stabilität im Zentrum zu sorgen. Das gleiche gilt für James als Kreativkopf, Hummels als Abwehrspieler und Manuel Neuer als Torhüter.

Kroos, Alonso, Vidal – und jetzt?

Die Bayern hatten regelmäßig Spieler für diese Leaderrolle im Mittelfeld: Stefan Effenberg, Mark van Bommel, Toni Kroos und zuletzt Xabi Alonso. Der Spanier beendete 2016 seine Karriere, seitdem ist die Stelle bei Bayern vakant. Am ehesten war noch Arturo Vidal dafür geeignet. Der Krieger überdrehte zwar hin und wieder, war aber der Spieler, der dem Gegner durch seine bloße Anwesenheit Respekt einflößte und sei es durch ein Foul nach wenigen Sekunden. Stand Vidal auf dem Platz, war klar: der FC Bayern ist da! Doch auch der Chilene hat den Klub verlassen.

Aus dem aktuellen Kader drängt sich derzeit niemand auf, in die Leaderrolle zu schlüpfen. Einige sind aus den erwähnten Gründen blockiert, andere per se dazu nicht in der Lage. So hat der FC Bayern seine Dominanz verloren, Spiele von Anfang bis Ende zu kontrollieren. Hertha BSC, Ajax, Gladbach und auch AEK Athen haben dies erkannt und entsprechend richtig reagiert. Der Respekt vor den großen Bayern ist passé. Natürlich ist auch das eine Momentaufnahme. Aber Hummels’ Worte sind ein deutliches Warnzeichen. Was seit mehreren Monaten nicht funktioniert, wird sich nicht über Nacht abstellen lassen. Insofern zählt in diesen Tagen auch für den FC Bayern nur das Ergebnis. Auf Dauer ist das aber keine Alternative.